Spenden ja oder nein?: Tsunami und das gute Herz

Nr. 2 –




Nachbeben I

Ich bekenne, ich habe gespendet!

Es ist der 5. Januar 2005. Ich stehe im Berner Bahnhof am Postomaten und versorge mich mit Taschengeld für das noch junge Jahr. Neben mir stehen ewig lächelnde Mitglieder der Heilsarmee und ihr an Ketten hängender Spendentopf. Mir ist kalt, vor wenigen Tagen erst bin ich aus dem warmen südlichsten Afrika zurückgekehrt. Schuhe, so richtig warme, könnte ich gebrauchen, denke ich und packe die paar Noten, die der Apparat mir entgegenspuckt, ein. «Die Heilsarmee sammelt für die Glückskette», neben dem Spendentopf steht ein Schild, ich lese, beobachtet von einem der Lächelnden. Oben aus dem Spendentopf gucken neckisch ein paar Noten, die kaum mehr Platz im Opferstock finden können. Vor meinem geistigen Auge blitzt das Bild unglaublich warmer, wasserdichter und hocheleganter Winterstiefel auf, dann mehrere Bilder von obdachlosen Menschen, verwüsteten Stränden, Elend, Trauer … Das kannst du nicht machen, denke ich, du kannst dir jetzt nicht Stiefel kaufen, und am andern Ende der Welt kämpfen die Menschen ums Überleben. Dann geht es ganz schnell: Ich zupfe zwei der frisch gezogenen Noten aus meiner Brieftasche (irrsinnigerweise das Haushaltsgeld einer ganzen Woche), stopfe sie - was ob der erwähnten Völle des Topfes mehrere Versuche benötigt - mitten ins Herz der Heilsarmee, nehme ein gerührtes Lächeln des uniformierten Gotteskämpfers entgegen, «Gott segne Sie für diese grosszügige Spende, Gott segne Sie», sagt er und steckt mir einen Zettel zu, «Gott segne Sie!», steht da drauf, und schon bin ich weg, selbst fast zu Tränen gerührt ob meiner Grosszügigkeit, ob der Verbundenheit und Hilfsbereitschaft der vom Unglück unbetroffenen Gesamtwelt. - Schnitt. - Ich sitze zuhause, gucke die Nachrichten, höre von Spenden aus aller Welt, von Unterstützung des Katastrophengebietes durch alle Staaten, Millionen, Milliarden, Billionen, Fantastillionen sind zusammengekommen, kommen noch zusammen, ich sehe die Menschen in den betroffenen Gebieten bis zum Hals im Geld stehen, weder glücklich noch unglücklich ... Ein etwas unbequemes Gefühl schleicht sich ob meiner eigenen Spende in meinen Bauch ein. Ich schaffe es gerade noch, ein paar Minuten von der nationalen Spendengala anzugucken, zu sehen, wie Francine Jordi aufgestellt die Spenden am Telefon entgegennimmt («Kaufen Sie meine Lieder, liebe Leute», blitzt es aus ihren Augen), wie Post-, Amag- und andere Chefs Millionen zücken - dann wird mir schlecht. Ich schleppe mich zu meiner lieben Freundin N. Sie ist gerade mit ihrer Mitbewohnerin, die bei Swissaid arbeitet, in eine Diskussion verwickelt, in der beide einstimmig die Unsinnigkeit dieser Glückskette-Spenden verurteilen, über all die dummen Leute schimpfen, die es noch nie geschafft haben für den Kongo, für Darfur, für all die hungernden Menschen auf der Erde auch nur einen Franken herzugeben - meinen sie mich? - und jetzt auf diese Tränenseligkeit hereinfallen, auf diesen Spendenwettbewerb. «Ich habe auch was gespendet», flüstere ich erschöpft in die erregte Runde. «Oje», sagt N. nur. Ihre Mitbewohnerin meldet sich ab ins Bett. Ich schliesse die Augen, sehe warme Winterstiefel. Dann streite ich noch ein bisschen mit N., verteidige ein bisschen meine Spende - «zu viel Geld kann es dort gar nicht geben». «Ja, dann sollen die meinetwegen vergoldete Wasserhähne kriegen, ist mir schnurzegal.» - Dann gehe ich wieder nach Hause. Der nationale Glücksketten-Sammeltag ist auch für mich zu Ende gegangen.

PS: Um das alles wieder gutzumachen, kaufe ich mir die Winterstiefel wohl doch noch. Obwohl: Meine liebe Freundin E. meinte ja, sie versuche ihre Seebebenspende mit einer Darfur-Spende in gleicher Höhe wieder in Ordnung zu bringen. Ach du Scheisse.




Nachbeben II

Ablasszahlungen sind o.k.!

«Sammle nicht leicht für Arme bei Vornehmen und andern Leuten von der grossen Welt. Sie geben nur aus Prahlerei und behandeln Dich, als wäre es ein Almosen für Dich. - Überhaupt hilf selbst, wo Du kannst!», schrieb der Freiherr von Knigge im Jahre 1789. Hatte Knigge als Sozialkritiker, der er war, in diesem Jahr der Revolution nichts Besseres zu tun, als eine Anleitung zum anständigen Spenden zu schreiben?

In der dritten Woche nach der Flutwelle streben die hiesigen Nachrichtengefässe nach Differenzierung: Katastrophenhilfe steht gegen Nachhaltigkeit, staatliches Pledging (Gelder versprechen) versus private Barspenden, medienwirksame Not gegen nicht beachtetes Elend. Nicht zuletzt thematisieren diverse Medien heuchlerisches Wohltätertum statt uneigennütziger Solidarität - nach dem Schweizer Rekordergebnis für die Opfer der Flutkatastrophe beherrschen Zweifel und Selbstzweifel die mediale Öffentlichkeit.

SchweizerInnen spenden normalerweise vor allem für Behinderte, Bergbauern und Tiere - diesmal haben sie sogar die im Verhältnis zum Anlass absurd hohe Spende für Gondo, das Bergdorf, weit übertroffen! Bricht aber der übrige Spendenmarkt nun ein? Haben die SpenderInnen sich den Opfern nahe gefühlt wegen der eigenen TouristInnen vor Ort? «Es hätte jedeN von uns (in den Ferien) treffen können» oder «Die könnten wir sein» und «Die Leute in dem Ort, an dem ich war, sind betroffen» ist doch für Normalverbrauchende in Alltagssituationen - und da sich gerade keine revolutionäre Veränderung des Welthandels abzeichnet - immerhin ein Anfang, eine rudimentäre Bewegung von etwas, das entfernt an Solidarität grenzen könnte. Schön, dass die Leute schon Bekannte in der Weltgegend haben, die gerade ins Elend geraten ist. Wärs doch überall so.

Sind Spenden immer in erster Linie Selbstberuhigung? Ist die Alternative also, politisch am Umsturz der Verhältnisse zu arbeiten, die das Bedürfnis der einen nach Spenden erst erzeugen? Bis zum Erfolg dieses Projektes in eher bourgeoiser Weise sein Geld bei sich zu behalten?

Gerechtigkeit solls geben, nicht Almosen. Auf Hebräisch heisst «Sidhakah» «Gerechtigkeit» und steht so auch auf Sammelbüchsen. Wer nicht grundsätzlich jede Arbeit jedes Hilfswerks ablehnt, könnte diese Arbeit pekuniär unterstützen. Zweifel an der Reinheit der eigenen Motive sind eine wenig subtile Form von Narzissmus angesichts des enormen faktischen Bedarfs an Mitteln in Asien. Die mediale Überbetreuung der betroffenen Weltgegend gibt wenigstens Gelegenheit, auf die vergessenen Notlagen und Kriege aufmerksam zu machen. Auch wenn sie nur als unsichtbare aufgezählt werden, sind sie doch damit ein bisschen weniger unsichtbar. Antizyklisch Spenden ist sicher nicht das Dümmste. Man kanns ja zusätzlich tun.

Wenn Geld gefragt ist, heisst die Frage immer auch: Welche Unterstützung? Wo? Für wen? Wo zuerst?

Dass beim Almosengeben die linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut, ist in Islam, Christentum und Judentum spirituell von hoher Bedeutung. Abseits der spirituellen Ebene ist die eigene Haltung jedoch nicht viel mehr als eine Stilfrage. Als katholische Theologin und selbst ernannte Fachfrau für das komplexe Verhältnis von schlechtem Gewissen und Solidarität sage ich: Ablasszahlungen sind o.k.! Ergebnisse zählen.