40. Solothurner Filmtage: Der Schweizer Film kann gar nicht besser sein

Nr. 5 –

Etliche Lichtblicke auf der Leinwand - dem frostigen Klima zwischen FilmemacherInnen und Staat zum Trotz.

Das Klima über Solothurn vereinte strahlenden Sonnenschein mit klirrendem Frost, und auch in den Kinosälen trafen harte Gegensätze aufeinander: Auf der einen Seite der Staat als Financier des Filmgeschäfts - im Lager gegenüber die Filmschaffenden: Produzenten, Autorinnen, Festivaldirektoren. Schon die Eröffnung schien symptomatisch: Auf eine kämpferische Rede von Festivaldirektor Ivo Kummer folgte ein lauwarmer Erguss von Pascal Couchepin, bevor schliesslich Clemens Klopfenstein mit «Die Vogelpredigt oder das Schweigen der Mönche» einen bitterbösen Exkurs zum Thema Filmschaffen in der Schweiz vorlegte.

Worum gehts? Zunächst einmal liegen die Filmtage am Ende eines filmpolitisch katastrophalen Jahres, und damit sind weder die Arbeit im Kulturdepartement noch die reale Verteilung der Filmkredite gemeint als vielmehr Couchepins Entgleisungen - seine Rede vom «linken Filz» in den Kulturkommissionen, seine über eine eitle Betroffenheit in Auftrag gegebene Untersuchung der Sektion Film im Bundesamt für Kultur (BAK). Diese mündete zwar in der Entlassung von David Streiff, brachte sonst aber keine Resultate (es wurde weder Filz noch sonstiger Stoff gefunden). Gleichwohl richtete sie massiven Schaden an, nicht zuletzt im Vertrauensverhältnis zwischen Bund und Filmschaffenden. Mehrfach hatte die Öffentlichkeit ein klares filmpolitisches Statement vom Bundesrat gefordert - doch auch nach Solothurn kam Couchepin mit leeren Händen. Sein Geschenk zum 40. Geburtstag des Festivals sei seine Bewunderung, meinte er. Im Übrigen pfiff er hauptsächlich andere Akteure und Untergebene zurück: Die Filmförderung werde beim BAK verbleiben, musste Pius Knüsel von der Pro Helvetia hören; der Schweizer Filmpreis wiederum in Solothurn, bekam Micha Schiwow von Swiss Films (der sich für eine Verlegung nach Luzern ausgesprochen hatte) mitgeteilt. Dass Couchepin schliesslich für die Freiheit der Kunst plädierte, schien manchen schon eher eine Ironie.

Was beim Bundesrat als Ungeschick anmutet, wusste die Branche weit besser zu formulieren - Clemens Klopfenstein liess bewusst keinen Fettnapf aus: In «Die Vogelpredigt» treten mit Max Rüdlinger und Polo Hofer zwei Schauspieler an, den Schweizer Film zu revolutionieren. «Äkschn», Liebe, Sex, schöne Frauen und natürlich zwei Kerle wie sie sollen für einen Megahit sorgen, der alles, was Hollywood, Lausanne und Zürich bislang gesehen haben, in den Schatten stellt. Jetzt gilt es nur noch, den Regisseur Klopfenstein ins Boot zu holen. Der aber lebt so spartanisch wie eigenbrötlerisch in einem alten Bauernhof im umbrischen Bevagna, schlachtet zum Dinner schon mal eine Gans namens Bruno. Doch auch nach unzähligen Gläsern Wein und Grappa ist der Schweizer Film noch immer nicht gerettet. Während Klopfenstein von einem Projekt träumt, in dem franziskanische Mönche das Kapital zum Leben erwecken, verdammen Rüdlinger und Hofer das AutorInnenkino. Wenn tags darauf die drei schliesslich vor einem Pappbaum und ausgestopften Vögeln die Bergpredigt in immer neuen Varianten sprechen, singen und rappen - «sehet die Vögel auf dem Felde, sie säen nicht, sie ernten nicht, und der Herrgott ernähret sie doch» -, dann scheint erneut die Rede von den armen Filmschaffenden, die der Vater Staat eher schlecht ernährt, obwohl sie permanent säen und gelegentlich sogar ernten dürfen.

Es herrscht der wahre Kriegszustand zwischen Staat und FilmemacherInnen, dabei könnte die Lage doch so entspannt sein: Die Schaffensbilanz für 2004 sieht nicht schlecht aus (auch wenn sie nicht an das ausgezeichnete Jahr 2003 heranreichen kann): Der Schweizer Film hielt immerhin 5,4 Prozent des deutschsprachigen Markts, und bereinigt man die Zahl der Eintritte um die drei Topproduktionen, die eher zufällig in einen bestimmten Jahrgang fallen, so zeigt sich, dass es einen durchaus annehmbaren «Bodensatz» (Marc Wehrlin) an produzierten und besuchten Schweizer Filmen gibt. Auch für 2005 ist erneut eine Förderung der Film- und Kinolandschaft von 23 Millionen Franken vorgesehen, gemeinsam mit kantonalen und städtischen Initiativen erlaubt sie eine ansatzweise kontinuierliche Produktion.

Sicher ist das immer noch wenig, und eine nachhaltige Förderung kann man genauso vermissen wie ein grundsätzliches Vertrauen seitens des Bundes zu Filmproduzenten, Autorinnen und anderen Filmschaffenden. Trotzdem verwundert die Selbstgeisselung der Akteure - «Es gibt den Film, und es gibt den Schweizer Film» (Clemens Klopfenstein, «Die Vogelpredigt»), «Was ist aus dem politischen Film geworden, seit es eine Filmförderung gibt?» (Thema eines Podiums 2005), «Schon die Existenz eines Schweizer Films ist ein Politikum» (Marcy Goldberg, auf eben diesem Podium). Wäre es nicht an der Zeit, mit dieser Selbstzerfleischung aufzuhören? «Der deutsche Film kann gar nicht besser sein», schrieb der Filmkritiker Joe Hembus 1981 in die Annalen der deutschen Filmgeschichte. Seither hat sich dort das Klima massgeblich entspannt. Sollte man deshalb nicht gelassen resümieren, der Schweizer Film könne nicht besser sein?

Das Festival von Solothurn selbst zeigt, wie diese Wege aussehen könnten: Von einer verbissenen Retrospektive des zurückliegenden Jahrs hat es sich zu einer spannenden Erstaufführungsveranstaltung gemausert, viele Produktionen benutzen die Presseaufmerksamkeit um die Filmtage und um den Schweizer Filmpreis zu einem viel beachteten Kinostart: Bereits letzte Woche startete Bettina Oberlis «Im Nordwind» in mehreren Deutschschweizer Kinos (siehe WOZ-Nr. 04/05), diese Woche wird Walo Deubers «Ricordare Anna» anlaufen, in den nächsten Wochen stehen Greg Zglinskis « Tout un hiver sans feu», Bea-trice Michels «Klingenhof», «Alles auf Zucker» von Dani Levy und Christophe Marzals «Au large de Bad Ragaz» an.

Man hatte dieses Jahr in Solothurn keine Schwierigkeiten mehr, abends spannende Spielfilme zu zeigen - und auch andere Festivals haben Interesse. Stolz zeigte man vor Klopfensteins «Vogelpredigt» den Vorspann des Internationalen Forums der Berlinale, mit «Tout un hiver sans feu» lief seit Jahren zum ersten Mal wieder ein Schweizer im Wettbewerb der Filmfestspiele Venedig. Die Geschichte von Laure und Jean, die in einem Feuer nicht nur den Hof, sondern auch ihre Tochter verlieren, ist ein hartes, klares Stück Kino, in dem die Landschaft des Jura auf wunderbare Weise die filmische Ästhetik ergänzt. Weniger Melo- als vielmehr soziales Drama und feines Psychogramm, hat der Film des aus Polen stammenden Greg Zglinski viel von den Arbeiten eines Krystow Kieslowski oder Andrzei Munk - kein Wunder, der Mann hat in Lodz studiert.

Als ganz anderes Highlight darf «Klingenhof» von Beatrice Michel gelten, ein unspektakuläres Porträt eines Wohnbiotops im Zürcher Kreis 5. Zu Beginn des Films arbeitete Michel noch mit ihrem Lebensgefährten Hans Stürm zusammen, und so dokumentiert «Klingenhof» auch seinen Tod. Wir sehen letzte Bilder von Stürm, Schach spielend sitzt er mit einem Mädchen im sonnigen Hof. Weiterzumachen, war Michel nicht nur Versprechen, sondern Aufgabe: Wie sonst wäre die viele Energie, die Zeit und das Vertrauen der vielen Porträtierten zu rechtfertigen? Sie erzählen von Heimat und Heimatlosigkeit, vom Fremd- und Zuhausesein in der Schweiz, vom Sterben und Leben alter und junger Menschen.

«Alles auf Zucker» von Dani Levy hingegen scheint von einem anderen Stern zu kommen: Der Wahlberliner gehört mit seiner Firma X-Filme mittlerweile zum deutschen Filmestablishment, das schlägt sich in der Art nieder, wie Drehbücher konzipiert, diskutiert und finanziert werden. Gleichwohl lag «Alles auf Zucker» eine ganze Zeit auf der Konzeptbank, erst eine vom Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, angelegte Fernsehfilmreihe zum aktuellen jüdischen Leben in Deutschland verhalf auch diesem Drehbuch zur Realisation. Gleichzeitig Wiedervereinigungsgeschichte und jüdische Komödie, trägt «Alles auf Zucker» Töne ins deutsche Kino, die dort seit den dreissiger Jahren nicht mehr anklangen. Die Story dreht sich um Jackie Zucker, einen gefeierten DDR-Sportreporter, der sich seit dem Fall der Mauer mit dubiosen Geschichten über Wasser hält. Erst der Tod seiner Mutter und ihr radikales Testament lässt ihn seine jüdischen Wurzeln erkennen, nun hat er sich mit seinem (orthodoxen) Bruder aus Frankfurt am Main zu versöhnen. «Es ist nie zu spät, Jude zu werden», meint die Verkäuferin eines koscheren Bedarfsartikelladens - und tatsächlich, es gelingt.

Es gelingt. Und es gelingt immer wieder. Vielleicht sind dies sogar die sehr guten Zeiten des Schweizer Films. Denn, so erklärte Marc Wehrlin auf der Pressekonferenz des BAK, es stehen wesentlich schlechtere Zeiten bevor. Im Finanzdepartement spiele man bereits Sparvarianten durch: Zehn Prozent. Zwanzig Prozent. Dreissig Prozent. Des gesamten Bundesbudgets. «Und glauben Sie bloss nicht, dass die Sektion Film mit ihrem vergleichsweise minimalen Budget davon verschont bleibt» (Wehrlin). Auch wenn sich die Branche diese paternalistischen Töne verbat - «Euch gibt es doch nur, weil es uns gibt!», konterte Samir - könnte sie eher früher als später unter Beweiszwang geraten.