Das Geschlecht der Denkmäler: Heroen in Stein gemeisselt, Frauen ganz nackt

Nr. 6 –

Steinerne oder gusseiserne Helden aus alter Zeit gehören selbstverständlich zum heutigen Stadtbild. Wo aber sind die Heldinnen geblieben? - Ein exemplarischer Spaziergang durch Bern.

Ein Bummel durch die Hauptgassen Berns führt die Flanierende an einer Vielzahl von mittelalterlichen Brunnen mit ihren Figuren vorbei. In Gelb und Schwarz, den Farben der Stadt, stehen die Herren Ryffli und Zähringer, der Läufer, der Venner und viele andere der Kälte trotzend stolz, aufrecht und in breiter Grätschhaltung auf ihrem Fundament - wie es sich für einen richtigen Berner gehört in Begleitung des Bären, des Stadtberner Wappentiers. Ob in Rüstung oder offizieller Amtskleidung, ob mit Armbrust, Muskete, Dolch oder Lanze bewaffnet - von einem berichten uns diese Figuren eindeutig: vom Selbstbewusstsein des mächtigen Alten Bern, dessen Autorität tatkräftig gegen innen und aussen verteidigt werden soll.

In dieses Bild heroisierter männlicher Tapferkeit passt auch das Bubenbergdenkmal am Hirschengraben. «So lang in uns eine Ader lebt, gibt keiner nach»; diesem auf seinem Sockel vermerkten Motto ist Adrian von Bubenberg, der von 1434 bis 1479 lebte, auch in den Wirren der Umgestaltung von Bahnhofplatz und Bubenbergplatz treu geblieben. Die Waffen seiner besiegten Feinde zu Füssen, schaut der Politiker und Feldherr mit unnachgiebiger Miene auf das städtische Gewimmel rund um den Hirschengraben nieder. Für ihn steht fest: Wer einst eine solch prominente Stellung in der städtischen Politik eingenommen hat, der verdient es auch, eine ebensolche Stellung im städtischen Raum einzunehmen - auf ewig.

Spiegel der Macht

In der Hektik des städtischen Alltags nehmen wir den uns umgebenden Raum selten bewusst wahr. Raum ist für uns höchstens ein Umweltfaktor, an den wir uns gegebenenfalls anpassen müssen. Doch Raum ist mehr als das. Er wird von den Menschen produziert, genutzt, angeeignet und verändert. Eine Stadt ist sowohl ein räumliches als auch ein soziales Phänomen: Sie tritt zwar sichtbar in Erscheinung, ihre Bestimmungsfaktoren sind aber unsichtbar und lassen sich nur indirekt ablesen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass sich in den räumlichen Strukturen gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse widerspiegeln. Raum und Macht sind untrennbare Kategorien. Die Stellung eines Objekts im Raum gibt einen Hinweis auf seine Stellung in der Gesellschaft, wie der Soziologe Pierre Bourdieu gezeigt hat. Dies gilt nicht nur für die Menschen mit ihren Besitztümern, sondern auch für Denkmäler.

Wo befindet sich eigentlich das weibliche Pendant zum ästhetisch heroisierten Adrian von Bubenberg? Wenn wir weitergehen und den Blick schweifen lassen, zum Beispiel zum Dach des Bundeshauses, sieht man sie: Helvetia. Mit leerem Gesichtsausdruck thront sie als Teil einer Figurengruppe graziös über dem Eingang zum Parlamentsgebäude. Die klassizistische Kleidung betont das Formelle, Entindividualisierte dieses Frauenkörpers. In luftiger Höhe repräsentiert Helvetia die politische Ordnung. Imperfektion, Leidenschaft, Individualität und Vergänglichkeit finden sich hingegen nur unter lebenden Frauen.

Duldsam, allegorisch

Allegorien wie Helvetia oder Justitia teilen uns mit: «Ich bin die Nation» oder «Ich bin die Gerechtigkeit». Gleichzeitig scheinen sie zu sagen: «Ich bin eine Frau.» Paradoxerweise dienen diese Bilder des Weiblichen dazu, etwas darzustellen, wozu den Frauen der Zugang lange verwehrt wurde: zur Politik, zur Öffentlichkeit, zur rechtlichen Gleichstellung. So thront Helvetia zwar auf dem Bundeshaus, im Bundeshaus drin jedoch dominierte und dominiert noch heute das männliche Geschlecht. Die Unterteilung der Gesellschaft in eine öffentliche und eine private Sphäre ist nicht nur in den bürgerlichen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts zu finden, sondern reicht bis in die Antike zurück. Mit dieser Trennung von Privatsphäre und Öffentlichkeit geht die Zuteilung der Geschlechter einher. Der Mann als autonomes, rationales Individuum nimmt seinen Platz in Politik und Wirtschaft ein, die Frau als duldsames, emotionales Wesen wird auf ihre Reproduktionsfähigkeit im Privaten reduziert. Für das raue Klima der öffentlichen Sphäre scheint sie aufgrund ihrer zarten Konstitution nicht geeignet. Und gerade weil sie jenseits der politischen und ökonomischen Konkurrenz steht, eignet sich ihr stilisiertes Bild zur Repräsentation von Idealen, die auch über die grossen Männer ihrer Zeit hinausgehen.

Folgen wir schliesslich Pfaden, die in Parkanlagen führen, können wir dort ab und zu einen Blick auf nackte Körper erhaschen. Zwischen Sträuchern lugt ein sich scheu anbietender, formvollendeter Frauenkörper hervor. Doch nicht nur Frauenfiguren harmonieren scheinbar perfekt mit der sie umgebenden (domestizierten) Natur. Auf Grünflächen sind auch die einfachen Linien eines kraftvollen, scheinbar innehaltenden Männerkörpers zu entdecken. Dies mag auf den ersten Blick erstaunen: Herrscht abseits des pulsierenden städtischen Lebens etwa doch eine egalitäre Geschlechterordnung?

Denkmal als Identifikationsfigur?

Schaut man diese Figuren etwas genauer an, fällt schnell einmal auf: Nackt ist nicht gleich nackt. Die männlichen Nacktheiten verkörpern Aktivität, Harmonie zwischen Geist und Körper und eine unkomplizierte Sexualität. Die Frauen hingegen stehen passiv und ganz eins mit der Natur da, Scham und Verführung kokett vereinend. Solche Figuren holen das Paradies auf die Erde zurück. Sie legitimieren die gottgewollte Fügung einer Sozialordnung, welche die Unterordnung der kreatürlichen Frau unter die Perfektion der Maskulinität fordert. Der plastische Höhepunkt dieses Gegensatzes findet sich in der Figur der Eva im Hinterhof der Landesbibliothek. Mit mutlos gesenktem Kopf, die verbotene Frucht noch in der Hand, steht die Personifikation der Verführung und des Ungehorsams mitten unter uns, als Ursprung von Übel und Tod, Sünde und Hochmut.

Denkmäler und andere figürliche Darstellungen des öffentlichen Raumes dienen nicht nur zu dessen Zierde. Sie sind auch Erinnerungsstätte und Identifikationsfiguren einer gemeinsamen Geschichte. Wie mit dieser Geschichte umgegangen wird, kann nicht jede und jeder gleich beeinflussen; nicht alle Bevölkerungsgruppen haben dieselbe Definitionsmacht, wenn es gilt, Entscheide über den öffentlichen Raum zu fällen. Welche Sicht auf die Stadt wird sich durchsetzen? Ob Bubenbergs Sockel in Zukunft nur noch als blosse Sitzgelegenheit für ein hastiges Mittagsmahl herhalten muss, aus Mangel an Veloabstellplätzen in den städtischen Werkhof verbannt wird oder aber bis in alle Ewigkeit über die Stadt zu seinen Füssen wacht, bleibt durchaus ungewiss.

Michèle Métrailler studiert Soziologie an der Universität Bern. Sie ist die Autorin von «Topographie der Geschlechter. Eine historische Analyse visueller Konstruktion von Weiblichkeit im öffentlichen Raum am Beispiel der Denkmäler und Skulpturen Berns». Schriftenreihe Kultursoziologie. Universität Bern 2004. 109 Seiten. 19 Franken.