Klimapolitik: Der Preis ist heiss

Nr. 6 –

Das Kioto-Protokoll, das am 16. Februar 2005 in Kraft tritt, will den weltweiten Ausstoss von Treibhausgasen reduzieren. Worum geht es im Einzelnen? Eine lexikografische Einführung.

CO2-Abgabe: Vom CO2-Gesetz vorgesehene Massnahme für den Fall, dass die Ziele dieses Gesetzes mit freiwilligen Massnahmen nicht zu erreichen sind. Die Abgabe von beispielsweise neun Rappen pro Liter Heizöl und dreissig Rappen pro Liter Benzin wird in Form von Krankenkassen-Gutschriften (rund 192 Franken pro Kopf) an die KonsumentInnen zurückerstattet; es handelt sich also nicht um eine Steuer. Obwohl offensichtlich ist, dass die Emissionsziele ohne diese Abgabe nicht zu erreichen sind, ist deren Einführung höchst ungewiss; die Erdölvereinigung will dies mit ihrem Konkurrenzvorschlag Klimarappen verhindern. Der Bundesrat wird aufgrund der im Januar abgeschlossenen Vernehmlassung bis im Sommer 2005 über die Einführung von CO2-Abgabe oder Klimarappen entscheiden; das letzte Wort hat das Parlament.

CO2-Gesetz: Mit dem Gesetz vom 8. Oktober 1999 sollen die CO2-Emissionen der Schweiz bis 2010 um zehn Prozent gegenüber 1990 vermindert werden (ausgenommen sind die vom Flugverkehr verursachten Emissionen - diese soll der Bundesrat «im Rahmen internationaler Abkommen begrenzen»). Die Unterzeichnung des Kioto-Protokolls verpflichtet die Schweiz zu einer Reduktion um acht Prozent gegenüber 1990. So wie es heute aussieht, dürfte das Ziel des Gesetzes kaum erreicht werden: Von 1990 bis 2002 haben die Emissionen erst um 0,7 Prozent abgenommen; diejenigen aus der Verbrennung von Treibstoffen haben gar um 6,6 Prozent zugenommen. Für die Zeit nach 2010 muss der Bundesrat der Bundesversammlung laut Gesetz «rechtzeitig Vorschläge unterbreiten».

CO2-Senke: Pflanzen verbrauchen Kohlendioxid (CO2). Grosse Vegetationen - beispielsweise Wälder - reduzieren deshalb den CO2-Gehalt in der Atmosphäre. Die Signatarstaaten des Kioto-Protokolls können sich eine Zunahme der pflanzlichen Biomasse als so genannte CO2-Senken anrechnen lassen. Das in Pflanzen «gespeicherte» CO2 wird wieder freigesetzt, wenn die Biomasse abgebaut wird (durch Verbrennen oder Verrotten). Das Verbrennen von Holz ist dann CO2-neutral, wenn die gleiche Menge Holz wieder nachwächst.

Emissionsrechtehandel: Die EU setzt seit dem 1. Januar 2005 zur Senkung der CO2-Emissionen auf den Handel mit Emissionsrechten. Emissionsrechte werden von den jeweiligen Staaten ausgegeben und erlauben den Ausstoss einer gewissen Menge von Kohlendioxid (CO2). Produziert eine Firma mehr CO2, muss sie solche Rechte von Firmen kaufen, die weniger produzieren. Derzeit kostet die Berechtigung, eine Tonne CO2 auszustossen, an der Leipziger Energiebörse gegen sieben Euro. Da kleine Emittenten (Haushalte, Autos ...) keine Emissionsrechte brauchen, erfasst dieser Handel nur rund die Hälfte der gesamten Emissionen.

Entwicklungsländer: Nachdem die Wirtschaften der Industriestaaten jahrzehntelang auf Kosten der Umwelt gewachsen sind, fehlt diesen Staaten jegliche Legitimation, die Entwicklungsländer auf eine CO2-Reduktion zu verpflichten. Die Entwicklungsländer sind denn auch von den Verpflichtungen des Kioto-Protokolls ausgenommen. Das ist folgerichtig, könnte aber ein Pferdefuss sein: Gerade das Industriewachstum etwa Chinas (dreizehn Prozent Anteil am weltweiten CO2-Ausstoss) oder Indiens könnte die moderaten Fortschritte der Industrienationen wettmachen.

IPCC: Der International Panel on Climate Change ist das Gremium der weltweit führenden ExpertInnen der Klimaforschung mit Sitz in Genf. Er wurde 1988 vom Uno-Umweltprogramm und der Welt-Meteorologie-Organisation ins Leben gerufen und verfasst alle fünf bis sechs Jahre (zuletzt 2001) einen Bericht mit Prognosen zur Klimaentwicklung.

Klimarappen: Versuch der Erdöllobby und zugewandter Orte, eine CO2-Abgabe zu verhindern durch eine Massnahme, die den Brennstoffverbrauch, mithin den CO2-Ausstoss, in der Schweiz nicht antastet. Mit einer freiwillig erhobenen Abgabe auf Brennstoffen sollen in Entwicklungsländern billige Projekte zur Minimierung des dortigen CO2-Ausstosses unterstützt werden. Der Klimarappen ist ein billiger Ablasshandel; würde er zusätzlich zur CO2-Abgabe erhoben, wäre er eine sinnvolle freiwillige Abgabe - die freilich dem Kartellrecht widerspricht.

KlimaskeptikerInnen: Die Evidenz, dass eine menschgemachte Klimaveränderung stattfindet, ist erdrückend, der Konsens unter den WissenschaftlerInnen ist breit. Dennoch kann natürlich nichts mit absoluter Sicherheit bewiesen werden, weshalb es immer noch so genannte KlimaskeptikerInnen gibt, die diese Erkenntnis leugnen. Russland hat seine KlimaskeptikerInnen an der Klimakonferenz in Moskau (2003) inszeniert. Eine prominente Plattform erhalten diese ExotInnen im neuen Roman des Thrillerautors Michael Crichton («Welt in Angst»).

Kohlendioxid (CO2): Geruchloses, ungiftiges Treibhausgas, das bei jeder Verbrennung organischer Stoffe entsteht - in Benzinmotoren ebenso wie bei der Energiegewinnung aus Traubenzucker in tierischen und menschlichen Zellen - und nicht aus den Abgasen gefiltert werden kann. Die natürliche CO2-Konzentration in der Atmosphäre betrug bis 1800 0,27 bis 0,29 Promille, steigt aber seit der Industrialisierung immer schneller an und liegt heute bei gegen 0,38 Promillen. Pflanzen gewinnen in der Fotosynthese mithilfe von Sonnenlicht als Energiequelle aus CO2 Kohlenstoff zum Aufbau von Traubenzucker ( CO2-Senke).

Kioto-Protokoll: Das 1997 ausgehandelte Abkommen will den weltweiten Ausstoss von Treibhausgasen bis 2012 um sechs bis acht Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Damit es in Kraft treten kann, mussten mindestens 55 Staaten unterzeichnen, die zusammen mindestens 55 Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantworten, was seit der Ratifizierung des Protokolls durch Russland erfüllt ist. Die Entwicklungsländer sind von den Reduktionsverpflichtungen ausgenommen. Fachleute sind sich einig, dass die Kioto-Ziele - wenn sie denn erreicht werden - nicht ausreichend sind, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Die prominentesten Industriestaaten, die das Abkommen nicht unterzeichnet haben, sind die USA und Australien.

Methan: Treibhausgas mit einer zwanzigfach stärkeren Treibhauswirkung als Kohlendioxid (CO2). Es kommt natürlicherweise in einer Konzentration von 700 Teilen pro Milliarde (ppb) in der Atmosphäre vor; heute aber beträgt diese Konzentration 1720 ppb. Hauptverursacherin dieser Zunahme ist die industrialisierte Landwirtschaft. Gefährlich für das Klima[100] könnte aber auch das in arktischen, dauerhaft gefrorenen Böden gebundene Methan werden, wenn durch eine Erderwärmung diese Böden auftauen und Teile dieser riesigen Methanvorräte in die Atmosphäre gelangen.

Prognosen: Prognosen haben es an sich, dass sie nicht beweisbar sind, bis die Zukunft eingetreten ist, dass es dann aber zu spät ist zu handeln. Dennoch berufen sich Kioto-Verweigerer wie die USA auf die Nichtbeweisbarkeit der Prognosen. Diese sind düster: Das IPCC errechnete in seinem letzten Bericht von 2001 sechs Szenarien, die einen Anstieg der durchschnittlichen Temperatur der Erdatmosphäre um 1,4 bis 5,8 Grad bis ins Jahr 2100 bringen würden - eine Erwärmung «ohne Vorbild in den letzten 10 000 Jahren» -, begleitet von einem Anstieg des Meeresspiegels um 9 bis 88 Zentimeter. Die jüngste Prognose, eine Computersimulation der Universität Oxford (www.climateprediction.net), geht gar von einer Zunahme um 2 bis 11 Grad aus. Besonders unberechenbar sind positive Rückkoppelungseffekte, etwa das Freiwerden von im Boden gespeichertem Methan bei Erwärmung des Bodens oder Verschiebungen der Meeresströmungen.

Russland: Verantwortlich für siebzehn Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses (1990). Weil die USA das Kioto-Protokoll nicht ratifizierten, war die Unterschrift Russlands nötig, damit das Protokoll in Kraft treten konnte. Die russische Regierung liess ihre Teilnahme lange offen; eine Klimakonferenz in Moskau im Dezember 2003 diente vor allem als Plattform für «Klimaskeptiker» - dies obwohl Russland aufgrund seiner Deindustrialisierung die Kioto-Vorgaben erfüllt und dank Emissionsrechtehandel mit neuen Einnahmen rechnen darf. Schliesslich unterzeichnete Russland doch; das Protokoll tritt am 16. Februar 2005, neunzig Tage nach der Ratifikation durch das russische Parlament, in Kraft.

Schweiz: Pro Kopf emittiert die Schweiz 10,6 Tonnen CO2 pro Jahr; damit liegt sie weltweit an sechster Stelle. Mit der Unterzeichnung des Kioto-Protokolls und ihrem CO2-Gesetz hat sie sich zu einer Reduktion dieses Ausstosses verpflichtet - ob das Gesetz auch umgesetzt wird, steht noch in den Sternen. Bereits jetzt hat die Schweiz eine Verpflichtung verfehlt: Artikel 3 des Kioto-Protokolls fordert, dass die Vertragsstaaten «bis 2005 vorzeigbare Fortschritte in der Erreichung ihrer Ziele» zu machen hätten.

Treibhausgase: Gase, die für (kurzwellige) Sonnenstrahlung weitgehend durchlässig sind, die (langwellige) Wärmeabstrahlung der Erde aber teilweise zurückbehalten. Ohne Treibhausgase wäre die Erde eisig kalt; zu viele Treibhausgase erwärmen sie übermässig. Das wichtigste Treibhausgas ist Kohlendioxid (CO2); andere Treibhausgase sind Methan, Distickstoffoxid (Lachgas) oder Ozon. Auch Russ und Wasserdampf tragen zum Treibhauseffekt bei.

USA: Unter der Regierung von Bill Clinton unterzeichneten die USA das Kioto-Protokoll, was aber von der Bush-Regierung rückgängig gemacht wurde. Damit steht der Staat mit dem höchsten CO2-Ausstoss weltweit (ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstosses; 21,2 Tonnen pro Kopf und Jahr - das Doppelte der Schweiz -; Zunahme von 1990 bis 2002: sechzehn Prozent) klimapolitisch im Abseits. Einzelne US-Bundesstaaten wollen die Kioto-Ziele dennoch anstreben; so hat sich Maine 2003 ein entsprechendes Gesetz gegeben.

Vergangenheit: Klimaschwankungen, auch dramatische, gab es in der Erdgeschichte immer wieder. Auch in historischer Zeit war das Klima[100] nicht konstant: Europa erlebte im Hochmittelalter ein Temperaturoptimum, während die frühe Neuzeit als «kleine Eiszeit» gilt. KlimaskeptikerInnen verweisen gerne auf diese Schwankungen. Allerdings lässt sich die derzeitige Erwärmung mit solch natürlichen Schwankungen nicht erklären. Im 20. Jahrhundert erwärmte sich die Durchschnittstemperatur der Erde um 0,6 Grad. Die neunziger Jahre waren laut IPCC wahrscheinlich das wärmste Jahrzehnt der vergangenen 1000 Jahre in der Nordhemisphäre; 2003 dürfte Europa den heissesten Sommer der letzten 500 Jahre erlebt haben.

Zukunft: Die Bestimmungen des Kioto-Protokolls reichen bis 2012. Wie es danach weitergehen sollte, war Thema an der Klimakonferenz in Buenos Aires vom Dezember 2004. Nach Schätzungen von ExpertInnen der EU müsste der weltweite CO2-Ausstoss bis 2050 um fünfzig bis sechzig Prozent, derjenige der EU um siebzig bis neunzig Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden, um eine Katastrophe zu verhindern. Konkrete Resultate in Bezug auf eine verbindliche Klimapolitik nach 2012 kamen in Buenos Aires aber wegen des Widerstands der USA nicht zustande. ·