Umweltpolitik: Benzin her – Klima hin

Nr. 6 –

Ob Kioto-Protokoll oder CO2-Gesetz: Die Schweizer Politik schreibt Ziele fest, Wirtschaft und bürgerliche Parteien verhindern den Vollzug.

«Macht die vorauseilende Einführung einer CO2-Abgabe die einheimische Wirtschaft wettbewerbsfähiger?», fragt Nationalrat Duri Bezzola im freisinnigen Pressedienst. Die Antwort liefert er gleich nach: «Nein, eine diesbezügliche Vorreiterrolle der Schweiz wird genau das Gegenteil bewirken.» Die Schweiz, schreibt Bezzola weiter, handle sich damit «erhebliche Wettbewerbsnachteile» ein. Damit vertritt er die Mehrheitsmeinung von Wirtschaft und bürgerlichen Parteien.

«Vorreiterrolle»? Die Mehrheit der EU-Staaten hat CO2- oder andere Ökoabgaben längst eingeführt. «Wettbewerbsnachteile»? Fakt ist: Eine CO2-Abgabe würde bloss den Wettbewerbsvorteil verringern, den die Schweiz als Erdöl exportierendes Land geniesst. Denn ein Teil des Rohöls, das die Schweiz via Pipelines importiert und im Inland zu Benzin raffiniert, wird durch Autos in Vierzig- bis Achtzigliterportionen reexportiert.

Insel für Billigenergie

Dieser Benzintourismus nützt nicht nur grenznahen Tankstellen. Die rund 400 Millionen Liter Benzin pro Jahr, die in der Schweiz getankt und im Ausland verbrannt werden, leiten pro Jahr zusätzlich über 300 Millionen Franken Treibstoffsteuern in die Bundeskasse. Diese Einnahmen verdankt die Schweiz dem Umstand, dass die Nachbarstaaten Deutschland, Frankreich und Italien ihren Treibstoff um 35 bis 40 Rappen pro Liter stärker besteuern (Stand Januar 2005). Denn die Schweiz ist nicht nur für Millionäre das Steuerparadies Europas, sondern eben auch für Heizöl, Erdgas und Benzin. Die Tiefpreispolitik bewirkte und bewirkt, dass der Primärenergiebedarf der Schweiz seit 1980 weiterhin stärker wächst als die Wirtschaft (gemessen am teuerungsbereinigten BIP).

An Versuchen, diesen energie- und umweltpolitisch zweifelhaften Zustand zu verändern, fehlte es nicht. Schon vor fünfzehn Jahren kündigte der damalige Umweltminister Flavio Cotti an, die Schweiz werde ab 1993 eine Lenkungsabgabe auf CO2 einführen, um einen Beitrag gegen den drohenden Klimawandel zu leisten. Die damals angekündigte Abgabe hätte die fossilen Energieträger ab 1993 um 22 Prozent, ab 1997 um 44 Prozent verteuert.

Doch Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien bekämpften stets alle Bemühungen, den Energieverbrauch und CO2-Ausstoss mittels Lenkungsabgaben zu bremsen, mit konstruktivem Widerstand: Stand eine CO2-Abgabe auf der Traktandenliste, schlugen sie eine Energieabgabe vor, und als die Energieabgaben vors Volk kamen, boten sie als bessere Alternative das CO2-Gesetz an.

Ja zum Ziel, Nein zum Mittel

Das CO2-Gesetz trat im Mai 2000 in Kraft und orientiert sich am Kioto-Protokoll, das die Schweiz oppositionslos ratifizierte. Demnach muss die Schweiz ihre CO2-Emissionen aus fossiler Energie bis 2010 gegenüber 1990 um zehn Prozent vermindern, aus Treibstoff allein um acht Prozent. «Falls absehbar wird», dass diese Ziele mit bisherigen Mitteln nicht erreicht werden, muss der Bundesrat eine CO2-Abgabe einführen, schreibt das Gesetz weiter vor.

Absehbar war das schon in den neunziger Jahren; neuere Studien bestätigen, dass die Reduktionsziele ohne Abgabe klar verfehlt werden. Trotzdem verzichteten die Nutzniesser von billiger Energie auf ein Referendum gegen das CO2-Gesetz. Erst ab Herbst 2000, als die Energieabgaben vom Tisch waren, intensivierten Öllobby und SVP ihren Widerstand gegen den Vollzug des Gesetzes. Dem erneuten Kampf gegen die CO2-Abgabe haben sich mittlerweile die meisten Wirtschaftsverbände sowie FDP und CVP angeschlossen.

Die Taktik, wie sie auch im Transitverkehr (Verkehrsverlagerungsgesetz) angewendet wird, ist klar: Sag Ja zum politisch schwer anfechtbaren Ziel und Nein zu den dafür notwendigen Mitteln. Dabei setzt die Öllobby weiterhin auf konstruktives Spiel auf Zeit; diesmal, indem sie als Alternative den «Klimarappen» anbietet. Dieser Rappen pro Liter dient vor allem dazu, den zu hohen CO2-Ausstoss der Schweiz mit flexiblen Mechanismen im Ausland wegzurechnen. Damit wird aber eindeutig das Teilziel des CO2-Gesetzes verletzt, wonach «der CO2-Ausstoss aus Treibstoffen» um acht Prozent reduziert werden muss.

15 Jahre Rückschritt

Selbst wenn Bundesrat und Parlament die gesetzeskonforme CO2-Abgabe dem gesetzeswidrigen Klimarappen vorziehen sollten, hinkt die Schweiz der EU klimapolitisch hinterher. Denn die ambitionierteste CO2-Abgaben-Variante, die Umweltminister Moritz Leuenberger in die Vernehmlassung geschickt hat, wird den Liter Benzin frühestens ab 2006 um maximal 15 Rappen und ab 2008 um maximal 30 Rappen verteuern. Das ist weniger, als Leuenbergers Vorvorgänger Cotti vor 15 Jahren versprach – und zu wenig, um den Benzinpreis in der Schweiz aufs Niveau seiner Nachbarstaaten anzuheben. So funktioniert Realpolitik im Krämerstaat: Damit die postindustrielle Schweiz ihre Wettbewerbsvorteile als Benzin exportierendes Land erhalten kann, muss marktkonformer Umwelt- und Klimaschutz auf der Strecke bleiben.