Tschechisches Bier: Flüssiges Brot

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Die TschechInnen sind Weltmeister im Biertrinken. Dabei lässt die Qualität zu wünschen übrig, sagen britische Experten.

Konsumentenschützer aus Britannien wollen festgestellt haben, dass das berühmte tschechische Bier nicht mehr an die Qualität früherer Jahre heranreicht. Das Urteil von britischen Bierexperten hat die TschechInnen im Innersten getroffen: Ihr berühmtes Bier, als Pilsner und Budweiser auf der ganzen Welt geschätzt, soll in der Heimat nur noch ein Schatten seiner selbst sein. Verwässert und zu bitter sei es, jedenfalls deutlich weniger geschmacks- und gehaltvoll als einst, stellten Mike Benner und Roger Protz nach einem Degustationsausflug in die Tschechische Republik fest. Benner steht der Konsumentenorganisation «Campaign for Real Ale» (Camra) vor, einer 75 000 Mitglieder starken Interessengruppe, die sich für die Erhaltung hoher Bierqualität und grosser Vielfalt einsetzt. Protz ist ein international anerkannter Bierfachmann und Autor mehrerer Bücher zum Thema.

Ihr Verdikt entspringe nicht dem Zufall, sondern sei das Ergebnis jahrelangen intensiven Testens, liessen die Briten auf hartnäckiges Nachfragen tschechischer Medien durch den Camra-Sprecher Iain Loe verkünden. Den Grund für die Geschmackseinbusse sehen sie in den veränderten Gärungsprozessen, welche die meisten Brauereien aus kommerziellen Überlegungen drastisch verkürzten, sowie in der minderen Qualität des Hopfens, der überwiegend nicht mehr aus böhmischen Landen, sondern aus dem Fernen Osten stammt. Ausserdem würden immer mehr tschechische Biere unter Lizenz im Ausland gebraut.

Bierpreis ist Politikum

In Tschechien bekundet man freilich Mühe, die Kritik zu akzeptieren. Man hält ganz unbescheiden das einheimische Bier für das beste der Welt und begreift nicht, was die Testtrinker von der Insel zu bemängeln haben. Das Privatfernsehen bot genügend Raum für entsprechende Unmutsäusserungen. Bier ist in Tschechien nicht bloss ein Getränk, sondern Kultur und Identität. Es ist ein Grundnahrungsmittel und wird im Volksmund als «flüssiges Brot» bezeichnet. Wenn etwa der Bierpreis um ein paar Kronen angehoben wird, so ist dies ein Politikum - bei einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 160 Litern nicht weiter verwunderlich. Mit dieser Menge sind die TschechInnen einsame Weltspitze. Sie konsumieren, vom Säugling bis zum Greis, etwa einen halben Liter pro Tag. Die zweitplatzierten Deutschen bringen es im Jahr auf 122 Liter, in der Schweiz werden 57 Liter Bier getrunken.

Der extensive Alkoholkonsum in Tschechien - nebst dem Bier vor allem der Schnaps - hat die Weltgesundheitsorganisation auf den Plan gerufen. Die Preise für Alkohol seien viel zu niedrig, kritisiert die WHO, ausserdem gebe es ein zu dichtes Netz an Verkaufsstellen, und Alkoholwerbung sei praktisch uneingeschränkt möglich. Die Regierung in Prag müsse dringend Massnahmen ergreifen, um den Alkoholkonsum der Bevölkerung einzudämmen. Eine markante Erhöhung der Alkoholpreise wird empfohlen - in Tschechien ist Bier billiger als Mineralwasser.

Noch immer versorgen etwa hundert Brauereien die durstigen Kehlen mit dem flüssigen Brot. Bier ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, was sich auch am Rekordexport von 2,4 Millionen Hektolitern ablesen lässt, der für 2004 erwartet wird. Und gilt es irgendwo im Land einen Sport- oder kulturellen Anlass zu unterstützen, so sind dazu nebst den obligaten Mobiltelefongesellschaften nur die Brauereien flächendeckend in der Lage. Fast unnötig zu erwähnen, dass es landauf, landab Bierklubs, Auktionen, Märkte, Chatrooms im Internet und sogar zwei monatlich erscheinende Bierzeitschriften gibt.

Allerdings hat die Vielfalt in den letzten Jahren etwas gelitten, weil im Zuge von Fusionen oder Übernahmen einige Marken verschwanden oder unter ausländische Kontrolle gerieten. So befindet sich zum Beispiel das legendäre Pilsner Urquell in südafrikanischer Hand. Nicht zuletzt die Globalisierung auf dem Biermarkt ist nach Ansicht von Camra dafür verantwortlich, dass beim tschechischen Bier eine Geschmacksverflachung festzustellen ist. Die Multis seien primär an einer hohen Produktion und guten Verkaufszahlen interessiert, weshalb sich - wie in der Popmusik - ein international akzeptierter, aber langweiliger Mehrheitsgeschmack einpendle.

Antrag auf Schutzmarke

Dass es «zu einer gewissen Standardisierung» gekommen sei, streitet auch Jan Vesely nicht ab. Doch der Präsident des tschechischen Brauereiverbands erkennt das tschechische Bier immer noch deutlich als solches und weist darauf hin, dass sich durch die verbesserten Herstellungsbedingungen die Hygiene und damit auch die Qualität des Produkts markant erhöht hätten. Dank den ausländischen Investitionen habe die dringend nötige Modernisierung der Brauereien vorgenommen werden können. Die Infrastruktur sei während der vierzig Jahre kommunistischer Herrschaft komplett vernachlässigt worden. Und Vesely fügt an: «Es kann schon sein, dass die mangelhafte Hygiene den Bieren früher noch eine eigene Geschmacksnote verliehen hat.»

Als Beweis dafür, dass das tschechische Bier weiterhin unvergleichlich ist und auch so zur Kenntnis genommen werden soll, will der Brauereiverband den Stolz des Landes als Schutzmarke eintragen lassen. Mit einem entsprechenden Antrag ist er letztes Jahr bei der Europäischen Kommission in Brüssel vorstellig geworden. Das Label «Tschechisches Bier» soll also wie beim Parmaschinken oder dem Emmentaler Käse dem Kunden signalisieren, dass er das Original konsumiert. «Tschechisches Bier» wäre demnach nur, was in der spezifischen Zusammensetzung der Rohstoffe und in dem typischen Produktionsverfahren innerhalb der tschechischen Grenzen hergestellt wird. Mit einer Entscheidung der EU-Kommission rechnen die Bierbrauer frühestens Ende Jahr.

Ob sich die englischen Bierexperten von derlei technokratischen Massnahmen beeindrucken lassen und ihre Meinung bald ändern, bleibt dahingestellt. Sicher ist, dass sich die Horden britischer TrinkerInnen, die mit den Billig-Airlines übers Wochenende in Prag einfallen und sich bis zur Bewusstlosigkeit betrinken, nicht so rasch durch das Urteil ihrer Landsleute abschrecken lassen.

Wem gehört Budweiser?

• Die Stadt Budweis - heute Ceske Budejovice - erhält bei ihrer Gründung im 13. Jahrhundert das Braurecht.

• 1895 beginnt das Böhmische Aktienbrauhaus - heute Budweiser Budvar - mit der Grossproduktion von Bier. Budweiser Budvar befindet sich in staatlicher Hand.

• 1878 beginnt das US-amerikanische Unternehmen Anheuser-Busch, ihr Bier unter dem Label Budweiser zu vermarkten.

• In der Folge entsteht ein über hundertjähriger erbitterter Markenstreit zwischen den zwei Unternehmen. Heute sind über vierzig Gerichtsfälle hängig.