«Neuer Antisemitismus»: Gordische Lösung

Nr. 14 –

Ein Sammelband diskutiert den Antisemitismus kontrovers - und leider oft grobschlächtig.

Als Beitrag zu einer «globalen Debatte» versteht sich der Sammelband «Neuer Antisemitismus?», in dem sich sechzehn Autoren und eine Autorin dem Thema auf unterschiedliche Weise nähern. In der Einleitung definieren die Herausgeber - Doron Rabinovici, Historiker in Wien, Ulrich Speck, Redaktor der «Frankfurter Rundschau», und Natan Sznaider, Soziologe in Tel Aviv - den Nahostkonflikt als gemeinsamen Bezugspunkt der Debatte. Sie betreffe drei Fragen: die Legitimität der Kritik an der israelischen Aussenpolitik, den Antisemitismus der Linken und die Verbreitung des Antisemitismus in der islamischen Welt.

Der US-amerikanische Soziologe Andrei S. Markovits sieht die Bereitschaft, «wieder auf antisemitische Topoi zurückzugreifen», durch die «wachsende Modernisierungsfeindlichkeit» der globalisierungskritischen Bewegung begünstigt. Juden, Amerika, Modernität - das sind für Markovits die «drei Säulen des klassischen Antisemitismus und Antiamerikanismus». Für antiamerikanisch und antisemitisch hält er auch den Mainstream der europäischen Protestbewegung gegen den Irakkrieg. Dass den Juden und Jüdinnen die «emotionale Aufmerksamkeit und Solidarität» der Linken zuteil würde, erscheine «im heutigen Europa weiter entfernt denn je» - ein falscher Befund, der einmal mehr zeigt, wie Alarmismus den Blick für die Realitäten trüben kann.

Andere Autoren gehen noch weiter. So sieht Daniel Jonah Goldhagen «Rechte und Linke vereint in ihren verbalen Angriffen und ihrer politischen Agitation gegen Israel und infolgedessen gegen fast das ganze Judentum». Der israelische, in den USA lebende Historiker Omer Bartov ist überzeugt, «dass der Islamismus einen sehr europäischen, naziähnlichen, genozidalen Antisemitismus in sich aufgenommen» habe. Woraus für ihn folgt: «Wenn man sie nicht vernichtet, werden sie einen vernichten.» Ähnlich sieht es Jeffrey Herf, ebenfalls Historiker in den USA. Mit ihrer Kritik am Irakkrieg hätten sich «zumindest Teile der europäischen und deutschen Linken von einer ihrer nobelsten Traditionen verabschiedet, nämlich dem bewaffneten Antifaschismus».

«Islamo-Faschismus»?

Sowohl Bartov als auch Herf berufen sich auf den Hamburger Journalisten Matthias Küntzel. Dessen Beitrag suggeriert einen unmittelbaren und bis heute andauernden Einfluss der nationalsozialistischen Rassenideologen auf die arabischen Massen. Wer die «Islamo-Faschisten» (Küntzel) zu FortsetzerInnen des nazistischen Völkermordes stempelt, landet zwangsläufig bei der Befürwortung von Präventivkriegen. Dass sich daraus zum grossen Teil die heftigen innerlinken Kontroversen erklären, liegt auf der Hand.

Die Herausgeber ziehen sich indes darauf zurück, mit ihrer Auswahl «unterschiedliche, ja kontroverse Deutungen und Schlussfolgerungen anzubieten». Aus einer Reihe im besten Sinne anregender Beiträge ragen zwei heraus. Besonders faktenreich ist Anthony Lermans Artikel über Antisemitismus in Europa. Lerman, Gründungsherausgeber des renommierten Londoner «Antisemitism World Report», warnt vor einer Übertreibung der antisemitischen Bedrohung: «Wenn wir uns in einer Weise äussern, die suggeriert, dass der Antisemitismus heute so schlimm ist wie in den 1930er Jahren, dann beschmutzen wir die Erinnerung an Millionen von Juden, die von den Nazis und ihren Helfern entmenschlicht, verfolgt und ermordet wurden.»

Zu Recht stehen am Schluss des Buches Überlegungen Dan Diners, der eine «Vermischung zwischen dem realen und in seinen Folgen dramatischen Konflikt zwischen Arabern und Juden, Israelis und Palästinensern und den in seine Poren eindringenden antisemitisierenden bis antisemitischen Bebilderungen» diagnostiziert. Um diese Vermischung zu überwinden, schlägt er eine «gordische Lösung» vor: «Nämlich zum einen den Antisemitismus zu bekämpfen, als ob es den arabisch-jüdischen, israelisch-palästinensischen Konflikt nicht gäbe; zum anderen alles zu unternehmen, um ebenjenen Konflikt einer beiden Seiten zuträglichen Lösung zuzuführen - so, als gäbe es den Antisemitismus nicht.» Ein weiser Ratschlag. Diners Aufsatz entschädigt für einige allzu grobschlächtige Beiträge, die eher propagandistisch als analytisch zu nennen sind. Aber vielleicht ist dieses Niveau kennzeichnend für die laufende Antisemitismusdebatte.

Doron Rabinovici, Ulrich Speck und Natan Sznaider: Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte. Edition Suhrkamp. Frankfurt am Main 2004. 332 Seiten. 23 Franken