Bankenkritik: CS tötet Wale!

Nr. 18 –

Erst noch gab es Empörung über die Millionengehälter, doch die nächste Generation der Skandale wartet schon.

Der Grauwal (Eschrichtius robustus) ist nicht unbedingt ein schönes Tier. Dafür hat er einen interessanten Spitznamen: Staubsauger der Meere. Als einzige Grosswalart weiden die bis zu 35 Tonnen schweren, 14 Meter langen Tiere auf dem Meeresgrund. Sie schlürfen - wie ein riesiger Staubsauger - den Meeresboden ein, Tonnen von Schlick, aus dem sie mit zwei Meter langen Barten Krebse und Weichtiere herausfiltern.

Grauwale sind ortstreu. Der ostpazifische Grauwal hatte Glück. Er frisst sich regelmässig den ungefährlichen Küsten Mexikos und Kaliforniens entlang - von ihm gibts 21 000 Exemplare. Der westpazifische Grauwal hingegen hat Pech. Er frisst in Ostsibirien, vor der hundert Kilometer langen, sturmumtobten Insel Sachalin. Es gibt nur noch rund hundert Exemplare der riesigen Tiere. Und auf sie lauert in Sachalin eine tödliche Gefahr: Öl. Und damit ein weit entfernter Feind: die Credit Suisse (CS).

An der letzten Generalversammlung der CS meldeten sich zwei kritische Aktionärsgruppen: Das Pensionskassenbündnis Ethos prangerte die Toplöhne sowie die Wahl des Multiverwaltungsrats im Nebenjob Peter Brabeck an. Seitdem diskutiert die Schweiz über Filz und darüber, wie ein nur zu sechzig Prozent angestellter Verwaltungsratspräsident namens Walter Kielholz pro Jahr zwölf Millionen Franken Gehalt wert sein könnte.

Weit diskreter behandelt wurde der Protest der Aktionärsgruppe Actares, die sich mit der Rolle der Credit Suisse bei der Projektfinanzierung des Ölkonsortiums Sachalin II beschäftigte. Und trotzdem ist dieser Protest - wie das «Time Magazine» feststellte - ein ebenso aktueller Trend wie die Frage nach Filz und Topgehältern. Mehr und mehr nehmen die Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen den Bankensektor unter Beschuss.

Dies ist - laut dem Spezialisten der Erklärung von Bern (EvB), Andreas Missbach - eine logische Entwicklung. Früher sassen Nationen, dann internationale Institutionen wie IWF oder Weltbank auf der Anklagebank. Ende der achtziger Jahre änderten sich die Machtverhältnisse: Mit den Liberalisierungen und Privatisierungen von Strom bis Bergbau erhielten Konzerne mehr Macht. Und ernteten damit Protestkampagnen. Diese wirkten bei imageabhängigen Firmen wie Reebook oder Nike - aber nicht bei fast anonymen Konsortien. Die Frage war: Wo den Protest ansetzen? Die StrategInnen der NGO konzentrieren sich deshalb zunehmend auf die Lebensader grosser Geschäfte: die Kredite. Und damit, so das «Time Magazine», erleben seit einigen Jahren «die Banken den Alptraum der Proteste»: Der erste Überraschte war Sandy Weill, Chef der US-amerikanischen Citigroup, der im Jahr 2000 persönlich wegen der Finanzierung einer Pipeline als Umweltverschmutzer haftbar gemacht wurde. Es folgten Giganten wie Price Waterhouse, ABN Amro, JPMorgan-Chase, die wegen Finanzierung der Regenwaldabholzung, Menschenrechtsverletzungen in Minen Perus, schlechter Umweltbilanzen angegriffen wurden; mittlerweile richten Organisationen wie Greenpeace oder die EvB eigene Büros für Kampagnen auf dem Finanzsektor ein.

Durchaus mit Erfolg: 2003 verpflichteten sich dreissig Grossbanken auf die «Äquator Prinzipien» - die Prüfung aller Grossprojekte auf Sozial- und Umweltverträglichkeit. Die Frage aber ist, wieweit dies nur Bürokratie auf Papier bleibt.

Sachalin II ist ein gutes Beispiel dafür: Im 19. Jahrhundert war die Insel ein Gefangenenlager, im 20. Jahrhundert militärisches Sperrgebiet. Ausser Fischern, Rentierzüchtern und Robbenjägern lebte trotz ihres liebenswerten Spitznamens «das wilde, zerzauste Tier» niemand freiwillig dort. Im Winter ist die Insel fast ganz vom Eis umschlossen; Erdbeben sind häufig. Es ist ein schlechtes Zeichen für die Ölvorräte des Planeten, dass unter diesen Bedingungen jemand auf die Idee kam, dort Öl und Erdgas zu fördern: Seit 1998 gibt es zwei nur im Sommer aktive Plattformen.

Die südlichere dieser Plattformen wird von einem Konsortium mit Sitz auf den Bahamas betrieben, kontrolliert von Shell. Dieses Konsortium plant nun das teuerste Ölförderungsprojekt der Geschichte: eine zwölf Milliarden Dollar teure Ganzjahresförderung mit einer abenteuerlichen Pipeline längs über die ganze Insel (also über 1100 Flüsse und 24 erdbebenaktive Falten) hinweg zum einzigen eisfreien Hafen. Durch die Erdbeben (1995 zerstörte ein grösseres die sibirische Stadt Neftegorsk) und das Eis ist Sachalin II nicht nur wegen der enormen Kosten ein Hochrisikoprojekt - auch sozial ist es eine gefährliche Sache: Die russische Regierung hat mit dem Konsortium einen miserablen Vertrag geschlossen (Anteile erhält der Staat erst ab 17,5 Prozent Nettorendite), die lokale Bevölkerung erhält nichts.

Die westpazifischen Grauwale hingegen erhalten die Emissionen: Öl, Pipelines und Lärm. Dank der guten Schallleitqualität unter Wasser klingt ein Tanker auf dreissig Kilometer Entfernung weit lauter als ein Presslufthammer. Schon heute werden in Sachalin weniger Grauwalbabys geboren als in Mexiko.

Sachalin II ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Name auf dem Grabstein des westpazifischen Grauwals.

Und was hat dies mit Credit Suisse zu tun? Credit Suisse spielt die Rolle des «Financial Advisor» - sie ist jene Bank, die die zwölf Milliarden bei Grossinvestoren zusammensammelt. Das Problem bei Sachalin II ist, dass die zuständigen Leute bei CS First Boston in Amerika sitzen - und für einen abgeschlossenen Deal fette Boni einstreichen. Während die Prüfungsgruppe im Hauptsitz in Zürich sitzt. Und nicht besonders gross zu sein scheint. Da der zuständige Mann diese Woche in den Ferien war, konnte zu Sachalin II nur der CS-Pressesprecher antworten: Wenn es die CS nicht täte, täte es jemand anderes, und die UBS hätte im Gegensatz zur CS nicht einmal die «Äquator Prinzipien» unterschrieben, argumentiert er. Ausserdem sei das Projekt schon verbessert worden: eine Pipeline werde nun nicht direkt durch die Weidegründe der Grauwale gelegt; mit den NGO sei man «im Dialog».

Die Antwort lässt einige Fragen offen: Wie genau wurde das Projekt geprüft? Welche Kompetenzen hat die CS-Umweltabteilung? Wie viel Personal? Warum hat CS den abenteuerlichen Sachalin-Job angenommen - wegen der paar Millionen Prämie oder wegen des Grosskunden Shell? Und last, not least die ökonomische Frage: Wie viel ist Credit Suisse ihr Image wert? Wie viel ein Wal? Und wie viel eine ganze Walunterart?

Weitere Informationen: www.evb.ch, www.banktrack.org