Sexzwangsarbeit: Arbeitskommando Bordell

Nr. 33 –

In den Konzentrationslagern des «Dritten Reiches» wurden Frauen zur Prostitution gezwungen - für die Wehrmacht, die SS, für Zwangsarbeiter und Mithäftlinge. Lange wurde das verschwiegen.

«Unsere Bekleidung war ein weisser Faltenrock, ein kleiner Schlüpfer und ein Büstenhalter. Das waren die Arbeitskleider im Puff», erzählt Margarete W. Bis auf das Ticken der Uhr an der Wand ist es still in dem Zimmer. Zwei Jahre lang, von 1943 bis 1944, musste Margarethe W. im Häftlingsbordell des Konzentrationslagers Buchenwald Sexzwangsarbeit verrichten. Über diese demütigende Erfahrung hat sie nach dem Krieg geschwiegen. Erst im Alter, den Tod vor Augen, überwindet sie ihre Scham.

«Jeden Abend mussten wir ungefähr zehn Männer über uns rüber steigen lassen. Die mussten zuerst ins Ärztezimmer, sich eine Spritze abholen. Dann konnten sie ihre Sachen verrichten: rauf, rein, raus, rein - wieder runter.» Jeder Mann hatte eine Viertelstunde Zeit. Dann kam der Nächste. «Dafür mussten sie zwei Mark bezahlen und konnten sich von den Frauen - die hatten Nummern 1, 2, 3, 4 und so weiter - eine aussuchen», erzählt Margarethe W. Vorher untersuchten Ärzte die Männer auf Geschlechtskrankheiten und gaben manchem vorsorglich eine Spritze. Die Frauen mussten sich nach jedem Geschlechtsakt waschen. An Sauberkeit mangelte es nicht.

Wie Margarethe W. erging es tausenden von Frauen. Allein in den Jahren 1940 bis 1942 wurden rund 35 000 Frauen von den Nazis zur Sexarbeit gezwungen, meist alle sechs Monate ausgewechselt und danach vielfach umgebracht. Bordelle gab es für die Wehrmacht und die SS sowie für Zwangs- und Fremdarbeiter. In Auschwitz und anderen Lagern mussten die Frauen auch männlichen Mithäftlingen zur Verfügung stehen.

«Mit diesen Häftlingsbordellen wollte man in erster Linie die Zwangsarbeiter, die sehr wichtige Arbeit innehatten, etwa in der Textil-, Chemie- und Rüstungsindustrie oder in der Lagerverwaltung, zu weiterer Leistungssteigerung anreizen», erklärt Brigitte Halbmayr vom Institut für Konfliktforschung in Wien. Zusammen mit ihren Kolleginnen Helga Amesberger und Katrin Auer hat die Soziologin Formen der vom Nazistaat angewandten sexualisierten Gewalt gegen Frauen im «Dritten Reich» erforscht - ein bis in die neunziger Jahre tabuisiertes Kapitel der NS-Geschichte.

Das erste Häftlingsbordell in einem KZ entsteht auf Befehl Heinrich Himmlers, Reichsführer SS, im Juni 1942 in Mauthausen. Die Lage an der Ostfront spitzt sich zu, alle Reserven müssen mobilisiert werden. Auf Anregung der IG Farben - einer der grössten Förderer und Nutzniesser des Regimes - schlägt Himmler deshalb ein mehrstufiges Prämiensystem vor: «Die dritte Stufe muss in jedem Lager die Möglichkeit sein, dass der Mann ein- oder zweimal in der Woche das Lagerbordell besucht. Dieser ganze letzte Komplex ist nicht übertrieben schön, aber er ist natürlich, und wenn ich diese Natürlichkeit als Antriebsmittel für höhere Leistungen habe, so finde ich, dass wir verpflichtet sind, diesen Ansporn auszunutzen.»

Ein wichtiger Grund dürfte für Himmler darüber hinaus gewesen sein, homosexuellen Neigungen in der Männergesellschaft des Heeres und der SS vorbeugen zu wollen - das gilt auch für die Männergesellschaften in den Konzentrationslagern. Politische Häftlinge sahen darin auch einen Versuch, diese Häftlingsgruppe zu korrumpieren und vom Widerstand abzuhalten sowie die Lagergesellschaft zu entsolidarisieren, indem die Hierarchisierung der Häftlinge nochmals verstärkt wurde.

Insgesamt werden zehn Häftlingsbordelle errichtet. Ihr Besuch ist in erster Linie einer kleinen Gruppe privilegierter Häftlinge vorbehalten. Sie müssen einen Bordellschein - den so genannten «Sprungschein» - beantragen. «Da ging man hin zum Blockältesten und sagte, ich möchte mal in den Sonderbau», erzählt der Niederländer Albert van Dijk, der als achtzehnjähriger nach Buchenwald kam. Am gleichen Abend oder am nächsten oder übernächsten Abend wurde beim Appell

seine Nummer aufgerufen: «7646?» - «Jawohl!» - «Weisst Bescheid?» - «Jawohl!» - «Zum Bad und sauberes Handtuch mitbringen!» Im Bad erhielt er saubere Unterwäsche. «Wenn der Häftlingsanzug nicht mehr sauber war, auch einen neuen Häftlingsanzug. Das war schon was ... Und dann hatte man noch ein Mädchen - alles für zwei Mark.»

Vor den Fenstern des Sonderbaus hängen Gardinen, Blumen stehen auf den Tischen. Der Gemeinschaftsraum ist hell, in den Arbeitszimmern sind breite Liegen mit sorgsam gefalteten Decken. In der Verwaltung herrscht preussische Gründlichkeit: Über jeden Besuch wird akribisch Buch geführt: Name der Frau, Anzahl der Freier, Gesamteinnahmen. Viele Häftlinge kommen vor allem, um menschlichen Kontakt zu haben und zu reden - was eigentlich streng verboten ist. «Es gab sehr viele Affären dort», sagt Hans Marsalek, ehemaliger Häftling in Mauthausen. «Wenn die Männer da plötzlich in den Armen der Frauen hingen beim Geschlechtsverkehr, haben sich manche verliebt.»

Die meisten Häftlinge sind jedoch körperlich zu schwach für Geschlechtsverkehr. Unter den politischen Häftlingen ist der Besuch des Sonderbaus verpönt. In Buchenwald, wo kommunistische Häftlinge eine illegale Lagerregierung aufgebaut haben, verbietet eine interne Weisung, die Einrichtung zu benutzen - viele gehen trotzdem. Der bekannteste Fall ist der des KPD-Mitglieds Ernst Busse. Als Kapo im Krankenbau wohnte er sogar mit einer Sexzwangsarbeiterin zusammen. Nach dem Krieg wird dies dem damaligen Innenminister von Thüringen zum Verhängnis: Er wird Opfer einer «Säuberungsaktion» und in den Gulag deportiert.

Hauptumschlagplatz für die Sexzwangsarbeiterinnen ist das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Als Margarethe W. dorthin verschleppt wird, ist sie gerade 21. Als sie dabei erwischt wird, wie sie sich einige Kartoffeln «abzweigt», kommt sie in den Strafblock. Im Juli 1943 wird sie mit sechzehn anderen Frauen für das Bordellkommando in Buchenwald ausgewählt. Zu der Zeit ist sie noch Jungfrau.

Auf Befehl Himmlers sind für das Bordell anfangs nur vorbelastete Frauen «abzustellen», die unter die Häftlingskategorie «asozial» fallen. Die SS soll sich nie vorwerfen müssen, einen «für das deutsche Volk noch zu rettenden Menschen verdorben zu haben». Zwangsrekrutiert werden auch so genannte «Bettpolitische» - Frauen, die aufgrund einer Beziehung zu einem Fremdarbeiter inhaftiert worden sind. Der Nazistaat, der Frauen wegen - nachgesagter - Prostitution ins KZ sperrt, wird nun selbst zum Zuhälter. Auch Lesben werden bevorzugt abkommandiert, um sie auf den «richtigen» Weg der Heterosexualität zurückzuführen.

Volljährig, gesund und «einigermassen hübsch» sollen die Frauen für das Bordell sein. Sie werden auf Geschlechtskrankheiten untersucht und unter die Höhensonne gesetzt. Zudem wird ihnen besseres Essen versprochen, ein kleiner Lohn - und vor allem die vorzeitige Entlassung. Viele greifen in ihrer Verzweiflung nach diesem Strohhalm und lassen sich auch «freiwillig» anwerben.

«Aus diesem Umstand erwuchs der Mythos der freiwilligen Meldung für das KZ-Bordell», sagt Brigitte Halbmayr. Sie hält das für eine ungerechtfertigte Bezeichnung. Denn in einem KZ, wo man ums Überleben kämpft, könne von Freiwilligkeit und Wahlfreiheit nicht die Rede sein. «Wenn Frauen sich gemeldet haben, dann nicht ‹freiwillig›, sondern aus der Not heraus. Die Arbeit im Häftlingsbordell und den anderen Bordellen war ein Arbeitskommando. Eine Zwangsarbeit wie andere auch.»

Frauen, die sich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert hatten, wurden nach Ravensbrück zurückverlegt und medizinischen Versuchen unterzogen. Schwangeren verordnete man eine Zwangsabtreibung, die meist im Lager selbst ausgeführt wurde. «Man wird abgestumpft. Das Leben zählt nichts mehr, denn sie hatten einen als Mensch kaputtgemacht», erinnert sich Margarethe W. Tagsüber waren die Frauen im Sonderbau eingeschlossen, durften höchstens um die Baracke herum spazieren. Kontakt zu den Mithäftlingen war ihnen verboten. Margarete W. fühlte sich ausgeliefert. Sie sagte sich: Je eher sterben, desto besser.

Nur wenige Frauen überstehen die seelische und körperliche Tortur. Als Krieg und Naziterror dann endlich vorbei sind, wird ihnen von den beiden neuen Republiken die Anerkennung als Zwangsarbeiterinnen jedoch versagt. Unter den Verantwortlichen der Gedenkstätten und den ehemaligen politischen Häftlingen wird befürchtet, die Schrecken und unmenschlichen Bedingungen in den Lagern könnten durch Berichte über Häftlingsbordelle relativiert werden - und schweigen deren Existenz jahrzehntelang tot. Andere stellen die ehemaligen Sexzwangsarbeiterinnen moralisch an den Pranger. Der NS-Forscher Eugen Kogon etwa schreibt im Buch «Der SS-Staat», bis auf wenige Ausnahmen hätten sie sich «in ihr Schicksal ziemlich hemmungslos gefügt». Der spanische Schriftsteller Jorge Semprun veröffentlichte sogar die vollen Namen der Frauen aus dem Buchenwalder Häftlingsbordell.

Aus Scham sprechen nur wenige ehemalige Sexzwangsarbeiterinnen über das, was sie in den Bordellen erlitten haben. Bereits im KZ standen sie in der Häftlingshierarchie als «Asoziale» auf unterster Stufe der Reichsdeutschen. Die Hierarchisierung setzt sich in der Nachkriegsgesellschaft fort.

Margarethe W. war unter den Nazis insgesamt fünf Jahre in Konzentrationslagern eingesperrt. Als «Asoziale» gehörte sie jedoch nicht zu den nach dem Bundesentschädigungsgesetz anerkannten Verfolgten des NS-Regimes. Damit fand sie sich aber nicht ab. Sie nahm sich einen Anwalt und ging vor Gericht. Nach jahrelangem Prozessieren erhält sie 1988 eine einmalige Entschädigung. Schliesslich erkennt man ihr nach dem Landeshärtefonds eine laufende finanzielle Unterstützung zu, die nach einer Rentenerhöhung jedoch wieder gestrichen wird. Dagegen legt sie erneut Widerspruch ein. Sie will Wiedergutmachung und Anerkennung ihres Leidens.

Der endgültige Ablehnungsbescheid kommt an einem Montag im Oktober. Einen Tag zuvor ist Margarethe W. an einem Schlaganfall gestorben.


Die Forschungsergebnisse des Wissenschaftlerinnenteams sind nachzulesen in dem Buch: Helga Amesberger, Katrin Auer, Brigitte Halbmayr: «Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern». Mandelbaum Verlag Michael. Wien 2004. 359 Seiten. Fr. 43.70.