Durch den Monat mit Christoph Simon (Teil 1): Wer ist denn Franz?

Nr. 40 –

WOZ: In Ihrem ersten, im Jahr 2001 erschienenen Buch «Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen» ist die Hauptfigur der Gymnasiast Franz Obrist. Die Hauptfigur Ihres neuen Buches «Planet Obrist. Ein Schelmenroman» ist der zwischen 20- und 25-jährige Franz Obrist. Wer ist dieser Franz Obrist?
Christoph Simon: Ein Charakter, mit dem ich mich gern beschäftige.

Warum?
Weil er ein paar Seiten hat, besser, weil ich in ihm ein paar Seiten ausdrücke, die bei mir selbst vielleicht zu kurz kommen: Er ist unkonventionell, eigensinnig und hat eine lakonische Art, sich auszudrücken. Und es gefällt mir, dass er in seinem Leben immer wieder in Sackgassen gerät.

Franz ist also unkonventionell und Sie konventionell?
Ja sicher. Ich lebe in einer Wohngemeinschaft wie tausende andere Schweizerinnen und Schweizer auch. Ich arbeite nach klaren Wochenplänen, ich weiss, dass ich schreiben will und habe ein Ziel. Franz ist ein zielloser Charakter. Er weiss überhaupt nicht, was er will. Ausserdem beziehe ich staatliche Unterstützung für meine Krankenkassenprämien – der Franz wäre noch nicht einmal bei der Kasse angemeldet.

Sie vergleichen sich mit der Figur Franz, aber der ist sicher zehn Jahre jünger als Sie. Gabs bei Ihnen nie eine solche ziellose und unsichere Phase?
Natürlich gabs die. Gerade bei «Planet Obrist» ging es mir darum, diese Zeit zwischen 20 und 25 Jahren zu beschreiben, in der ich selber grosse Mühe hatte, eine Antwort auf die Frage zu finden, was ich mit meinem Leben anfangen will. Und zwar eine Antwort, die nicht darin besteht, jährlich die Studienrichtung zu wechseln. Diese Atmosphäre herrscht im Buch, das war die Ausgangslage für die Geschichte. Und Franz kommt auf seiner Suche vom Überhaupt-nicht-Wissen immerhin dazu, sein Leben anzunehmen und es selbst zu gestalten. Das ist schon viel – finde ich. Wie verlässlich das ist, ist allerdings nicht klar. Vielleicht verlässt ihn dieses Gefühl schon nach zwei, drei Wochen wieder, und er steht am gleichen Punkt wie vorher. Vielleicht aber auch nicht.

Franz reist ohne Geld von Bern nach Ljubljana. Was machten Sie in seinem Alter, um die Sinnfrage zu klären?
Auch ich bin gereist. Nach der Matura war ich anderthalb Jahre in Südamerika, Israel und Ägypten unterwegs.

Wie haben Sie das finanziert?
Ich erhielt von meinem Vater 3000 Franken, um die Autoprüfung zu machen. Die haben alle meine Geschwister auch bekommen. Der Unterschied: Ich kann bis heute nicht Auto fahren.

Sie haben Ihren Vater betrogen?
Nein! – Doch. Aber ich bin immerhin nicht auf der Strasse gelandet. Die 3000 Franken waren der Grundstock für meine Reisen. Den Rest habe ich mir mit Arbeit verdient, in Israel in einem Kibbuz, und in Ägypten haben ein Freund und ich in Fünfsternehotels Musik gemacht. Ich habe Gitarre gespielt und er Geige.

Sie konnten so gut Gitarre spielen?
Es hat immerhin für ein paar Jazzstücke gereicht. Ich war während des Gymnasiums drei Jahre in der allgemeinen Jazzschule. Ein halbes Jahr habe ich sogar das Gymi unterbrochen, um vollzeitlich dort zu sein. Aber es stellte sich als Missverständnis heraus: Ich wollte gar nicht Musiker werden, sondern Songschreiber und zweiter Gitarrist in einer Band. Sobald ich das gemerkt hatte, hörte ich in der Jazzschule auf.

Hat Sie das Reisen weitergebracht?
Ich bin jedenfalls mit einem Ziel zurückgekehrt: Ich wollte Psychologie studieren, weil ich es super spannend fand, mich mit gesellschaftlichen Themen zu beschäftigen. Leider hat sich der Reichtum der Reise als Katzengold herausgestellt, und nach zwei Jahren brach ich das Studium ab. Ich hatte gemerkt, dass mich diese Gesellschaft gar nicht wissenschaftlich interessierte, sondern dass ich mich künstlerisch mit ihr auseinander setzen will, schreibend. Um mir das Schreiben zu finanzieren, habe ich zuerst bei der Päcklipost in Basel und dann bei einer Bank als Sachbearbeiter gearbeitet. Die Stellen erhielt ich über eine Freundin und über meinen Vater – nicht so wie der Franz, der sich seine Stellen selber beschafft hat. Die wahre Unabhängigkeit gibt es eben nur in Büchern.

Ach, wie romantisch ...
Unbedingt. Das hat mit meinem Cowboy-Background zu tun: Mit zwanzig liebte ich diese Leinwandhelden, die all ihre Probleme eigenständig und eigenhändig gelöst haben. Die haben dreimal geschossen, und alles war geregelt. Mit dem unabhängigen Franz schaffe ich eine Gegenwelt zur Realität, wo man mindestens sieben Leute involvieren muss, wenn man etwas Bestimmtes will. Das ist eine Sehnsucht nach Unabhängigkeit, die man vielleicht «die Sehnsucht nach der Feuerwaffe» nennen könnte. Wäre das nicht ein guter Titel für dieses Interview?

Christoph Simon, 33, ist Schriftsteller und lebt in Bern. Nachtrag: Von ihm erschienen bis 2014 fünf Bücher im Bilger-Verlag.

Zur Besprechung von Planet Obrist

Zur Besprechung seines späteren Buches «Viel Gutes zum kleinen Preis» (erschienen in WOZ Nr. 20/2012)