Christlicher Fundamentalismus: Politik vor dem Ende der Welt

Nr. 42 –

Die Journalistin und Schriftstellerin Barbara Victor hat recherchiert, wie die Evangelikalen in den USA an die Schaltstellen der Macht gelangten.

Nachdem US-Präsident George Bush am 13. Dezember 2003 über die Festnahme des ehemaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein informiert worden war, wollte er beten und organisierte zu diesem Zweck eine Telefonkonferenz. Er rief seine Eltern an, die beiden bekannten evanglikanischen Prediger Billy Graham und Franklin Graham und den Gemeindevorsteher der United-Methodist-Kirche in Dallas, der Bush angehört. Ausserdem nahm er den streng religiösen damaligen Justizminister John Ashcroft zur Seite. Franklin Graham sprach das Gebet: «Jesus, diese Mission trägt Deine Handschrift, und es ist Dein Werk, o Herr, dass das Böse, das Saddam Hussein verkörpert, der Gerechtigkeit zugeführt wird.» Diese Anekdote erzählt Barbara Victor in ihrem Buch «Beten im Oval Office». Sie ist sinnbildlich für den Einfluss des christlichen Fundamentalismus auf die US-Politik.

Gemäss Victor beläuft sich die Zahl der Evangelikalen in den USA auf rund achtzig Millionen. Viele bezeichnen sich selber als «wiedergeborene Christen» und treten für eine wortgetreue Auslegung der Bibel ein. Sie haben eine Art Erweckungserlebnis hinter sich, das sie vom Pfad der Sünde zu Gott geführt haben soll. Auch George Bush weiss von einem solchen Erlebnis zu berichten, das ihn von seiner Trunksucht befreit haben soll. Anders als andere Glaubensgemeinschaften betreiben die evangelikalen Kirchen in den USA mit ihrem Netz von Radio- und Fernsehstationen eigentliche politische Kampagnen. Sie kämpfen gegen das Recht auf Abtreibung, gegen die Stammzellenforschung und gegen Homo-Ehen. In den Schulen, so verlangen sie, soll die Evolutionstheorie von Charles Darwin relativiert und alternativ dazu dargelegt werden, wie Gott die Welt erschaffen habe. Die Evangelikalen haben bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen mit grosser Mehrheit ihre Stimme ihrem Glaubensbruder George Bush gegeben und somit entscheidend zu seinem Sieg beigetragen.

Schon in den siebziger Jahren wurde die USA von einem Evangelikalen präsidiert - dem früheren Erdnussfarmer Jimmy Carter. Auch dieser war während seiner Amtszeit ein fleissiger Beter, doch war er in vielen Fragen nicht auf der Linie der evangelikalen Prediger. Was sie Carter gemäss Barbara Victor am meisten anlasteten, war nicht seine liberale Haltung in der Abtreibungsfrage und bei den Rechten der Homosexuellen, sondern dass er «entscheidend dabei mitwirkte, biblisches Land herzuschenken, von dem es in einem unfehlbaren alttestamentarischen Text hiess, es sei den Juden versprochen». Carter war es, der das Friedensabkommen zwischen dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin und dem ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat zustande brachte. Für die Evangelikalen ist ihr Einstehen für ein Grossisrael nicht einfach eine von vielen politischen Fragen. Victor sagte dazu in einem Gespräch anlässlich ihrer Leserreise in Zürich: «Die Mehrheit der Evangelikalen lebt im Bewusstsein, dass das Ende der Welt kommt und Jesus zurückkehrt. Laut der Bibel ist das dann, wenn alles Land Israels in den Händen der Juden ist. Dann ist die Prophezeiung vollendet. Die Gläubigen fahren dann in den Himmel auf, während die Ungläubigen in die Hölle kommen.» Carter wurde bei den Wahlen 1979 von Ronald Reagan geschlagen, der zwar mehr an Astrologie als an die Bibel glaubte, es aber, so Victor, bestens verstand, die Evangelikalen mit den richtigen Sprüchen an der richtigen Stelle für sich einzunehmen.

In den neunziger Jahren unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton war der Einfluss der Evangelikalen gering. Allerdings gelang es den Republikanern in der zweiten Amtsperiode Clintons, eine effiziente Kampagne gegen die angebliche Unmoral des Präsidenten zu entfachen. Dies vermochte die Evangelikalen zu mobilisieren und verhalf George Bush zum Sieg gegen die Demokraten. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 schaffte es Bush, seine Popularität zu erhöhen. Den Weckruf Gottes, als das laut Victor viele Evangelikale die Terroranschläge sehen, beantwortet Bush mit seinem Kreuzzug gegen das Böse. Eine islamfeindliche Haltung gehört heute zum ideologischen Rüstzeug vieler Evangelikaler. Gleichzeitig zählen sie zu den grössten UnterstützerInnen der SiedlerInnenbewegung in Israel, die sich gegen den Abzug aus Gasa gewehrt hat und weiterhin alle Zugeständnisse im Westjordanland zu verhindern versucht. Rund eine Milliarde US-Dollar spenden die Evangelikalen jährlich für Israel. Eine der im Buch vorgestellten evangelikalen Christinnen etwa zahlt monatlich einen Betrag an die Organisation «On the Wings of Eagles», die russischen Juden die Auswanderung nach Israel finanziert; sie zieht zu Hause in New Jersey acht Kinder auf und unterrichtet diese auch gleich selber, wie es eine wachsende Zahl von Evangelikalen mit ihren Kindern tut. Ihr bescheidenes Einkommen verdient die Frau mit Servieren in einem Fernfahrerlokal, während ihr Ehemann arbeitslos ist.

Es ist eine Stärke von Barbara Victors Buch, dass sie mit vielen Evangelikalen gesprochen hat, von den prominenten Fernsehpredigern bis zu einfachen Gemeindemitgliedern. Den politischen Analysen kann die Autorin so immer wieder Schilderungen über die Lebensumstände von einzelnen Evangelikalen dazufügen. Das macht ihre Analysen nachvollziehbar.

Barbara Victor: Beten im Oval Office. Pendo Verlag. Zürich 2005. 341 Seiten. 36 Franken