Kulturindustrie: Schlechte Zeiten für Hofnarren

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«Genial daneben», «Black ’n’ Blond»: Die neuen Comedy-Shows des Schweizer Fernsehens könnten unpolitischer nicht sein. Warum eigentlich? Und warum machen es die Amerikaner so viel besser?

Man sagt, dass Hofnarren ihr Leben riskierten, wenn sie dem König einen schlechten Witz erzählten. Aber ist nicht ein guter Witz noch viel gefährlicher? Das jedenfalls liesse sich aus dem Skandal schliessen, den Patrick Frey Ende letzten Jahres im Schweizer Fernsehen ausgelöst hat. Bei der Aufzeichnung der Samstagabendshow «Der Rote Teppich» hatte er Exbundesrat Ogi und Armeechef Keckeis mit einer falschen Landeshymne zum echten Salutieren verleitet. Die Szene wurde, man weiss es, nicht ausgestrahlt. Und Frey war sein Engagement bei der Sendung los.

Sie dürfen nicht

Dafür sitzt er seit Anfang Januar in «Genial daneben», der neuen Show von Frank Baumann. In diesem Format, das das Schweizer Fernsehen Sat 1 abgeguckt hat, stellt der Moderator Fragen aus abwegigen Wissensgebieten: «Was ist eine Gummikirche?» oder «Warum haben Flamingos im Zoo nur Sex, wenn der Käfig mit Spiegeln abgedeckt wird?» Eine Reihe von Komikern hat die Aufgabe, möglichst lustige und falsche Antworten zu finden. Auch wenn es für ein definitives Urteil noch etwas früh sein dürfte - der erste Eindruck ist schlecht. Fast scheint es, als sei die Sendung das Verlies, in das man den Hofnarren Frey gesteckt hat: Die Atmosphäre ist muffig und weit und breit kein Gedankenblitz in Sicht, der die finstere Nacht erhellen würde.

Nun mag man einwenden, die beiden Ereignisse hätten nichts miteinander zu tun: «Genial daneben» sei längst geplant gewesen, als Frey in «Der Rote Teppich» zensiert wurde. Aber symptomatisch ist der Fall für die allgemeine Tendenz der Infantilisierung, die unter der neuen Direktion zu beobachten ist, allemal: Politische Comedy ist im Schweizer Fernsehen nicht mehr gefragt. Einst trat in «Viktors Spätprogramm» eine lebensechte Karikatur von Christoph Blocher auf und analysierte Frank Baumann in «Ventil» die Gestik von Adolf Ogi. Heute basteln die Comedians auf Kommando Zoten, die jeder Abendunterhaltung in einer Rekrutenschule gut anstehen würden.

Sie können nicht

In eine ähnliche Richtung zielt «Black ’n’ Blond», die wöchentliche Late-Night-Show mit Roman Kilchsperger und Chris von Rohr. Hier gibt es, soweit man das nach drei Monaten beurteilen kann, zwei grosse Themen: Kilchsperger fiebert der Fussballweltmeisterschaft entgegen, und Chris von Rohr betätigt sich - wie schon in «MusicStar» - als Friedhofsgärtner auf dem Grab des Rock ’n’ Roll. Das Ergebnis sieht aus wie Stefan Raabs «TV Total» auf ProSieben: Eine harmlose Mischung aus Sport, Spass (je nach Geschmack) und Spiel.

Im Unterschied zu den Protagonisten von «Genial daneben» muss man Kilchsperger und von Rohr jedoch zugute halten, dass sie den Anspruch auf politische Witze nicht ganz aufgegeben haben. Alle zwei oder drei Wochen starten sie einen Versuch. Das sieht dann so aus: Kilchsperger ruft Moritz Leuenberger an, um ihm vor der Bundespräsidentenwahl Mut zu machen. Leuenberger beziehungsweise ein Stimmenimitator beklagt sich darüber, dass es schon wieder ein Interview gebe, und lästert über das neue Design des «Tagesschau»-Studios: «Jetzt haben wir seit zwanzig Jahren gelernt, abzusitzen, und nun stehen die wieder alle, wenn sie ihren Seich ablassen. Haben sie mich verstanden?»

Das - repräsentative - Beispiel legt die Vermutung nahe, dass die Vorgaben der Direktion nicht das einzige Problem sind. Könnte es sein, dass die Comedians heute schlicht keine politischen Witze mehr zustande bringen? Jedenfalls scheint die traditionelle Technik der politischen Comedy nicht mehr zu funktionieren. Denn genau besehen unterscheidet sich Kilchspergers Versuch nicht gross von den früheren Blocher-Parodien, beispielsweise in «Viktors Spätprogramm»: Es ist eine klassische Karikatur, die einen hohen Würdenträger «herabzieht». Eine Person, die normalerweise in einem elaborierten Stil redet, bedient sich plötzlich eines volkstümlichen, obszönen Jargons, der mit ihrem Amt nicht übereinstimmt. Alles wie gehabt also. Nur lustig ist das nicht mehr.

Politiker als Komiker

Woran das liegt, lässt sich ebenfalls anhand von Leuenberger untersuchen. Er ist in den letzten Jahren dafür berühmt und berüchtigt geworden, dass er eine schlechte Laune nicht zu kaschieren versucht. Regelmässig passiert es ihm, dass er sich gegenüber ReporterInnen nicht an die Vorgaben des politischen Jargons hält. In diesen Fällen bedient er sich jeweils genau einer solchen «niederen» Rede, wie sie Kilchsperger in seinem Witz verwendete. Anders gesagt: Bundesrat Leuenberger tritt selbst als seine eigene Karikatur auf. Das ist der Grund, dass man ihn nicht mehr karikieren kann: Die Verdoppelung ist nicht lustig.

Nun ist Leuenberger heute nicht der Einzige, der diese Strategie anwendet. Sein grosser Antipode, Christoph Blocher, verhält sich, seit er im Bundesrat sitzt, genau gleich. Ob bei Pressekonferenzen vor Abstimmungsvorlagen oder in Interviews, er lässt keine Gelegenheit aus, um zu zeigen, dass er «eigentlich» kein Bundesrat sei. Permanent «zieht» er sich selbst aus seiner würdevollen Position «herab», um die Nähe zum Volk nicht zu verlieren, das die Classe politique verachtet. Zugespitzt formulierte er seine Haltung kürzlich in einem Interview mit der «Schweizer Illustrierten»: «Ich wäre froh, wenn es mich irgendwann in der Politik nicht mehr braucht.»

Wie konsequent Blocher die Selbstkarikierung zu seiner Politik macht, war zuletzt im Wirbel um die Swisscom zu sehen. Da setzte er im Bundesrat durch, dass ein Management, das von allen Seiten gelobt wird, eine geplante Akquisition nicht tätigen darf. Bald darauf zeigte sich aber, dass es gar nicht darum ging, einen eventuellen Fehlkauf zu verhindern. Das eigentliche Ziel war, eine Debatte um die Privatisierung der Swisscom in Gang zu bringen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Blocher veranlasst als Politiker, dass das Unternehmen sich nicht entwickeln kann, um damit zu demonstrieren, dass der Einfluss der Politik auf die Wirtschaft schlecht ist! Kein Wunder, verkommt eine Sendung wie «Arena», in der das Thema anschliessend diskutiert wird, zur Realsatire. Es gibt sie also doch noch, die politische Comedy! Aber was es nicht mehr gibt, ist eine Politik, die sich ernst nimmt.

So neu das Phänomen hierzulande ist, erfunden haben es weder Leuenberger noch Blocher. Natürlich kommt es aus den USA. Kaum jemand beherrscht die Technik so perfekt wie George Bush. Er bedient sich eines sehr niederen Redestils. Unfähig, ein Argument in zwei, drei zusammenhängenden Sätzen zu entwickeln, verspricht er sich dauernd und verhaspelt sich in Widersprüchen. Am liebsten erzählt er deshalb Zoten. Zudem ist er besonders stolz darauf, kein «richtiger» Politiker zu sein. Er brüstet sich damit, noch nie ein Buch zu Ende gelesen zu haben (auch nicht während des Studiums an der Eliteuniversität Yale), und spielt lieber Golf, als Dossiers zu studieren. Entsprechend besteht seine Politik - wie diejenige Blochers im Fall der Swisscom - aus in sich widersprüchlichen Argumenten. So wird die Politik als eine Welt des Scheins und der Lüge vorgeführt, in der man sich nur temporär - und wegen unglücklicher äusserer Umstände - bewegt.

Komödianten als Politiker

Wenn also Schweizer Politiker von den USA lernen, warum sollten das nicht auch die Hofnarren tun, und das umso mehr, als dort der politische Witz gerade ein kaum mehr erwartetes Revival feiert? Seit drei, vier Jahren hat nämlich eine völlig neue Form der politischen Comedy Fuss gefasst, der es gelingt, die Selbstdemontage von Bush und Co. zu kontern. Der König des Genres heisst Jon Stewart und moderiert «The Daily Show» auf dem New Yorker Kabelsender Comedy Central.

Die Sendung kommt wie ein seriöses Abendmagazin daher. Stewart präsentiert die Schlagzeilen des Tages und bietet Analysen, Hintergründe, Kommentare. Aber trotzdem ist es Comedy. So funktioniert es: Stewart «hebt» die Politiker, die sich selbst «hinabziehen», wieder «herauf». Egal wie nieder ihr Redestil ist, er behandelt ihre Aussagen als ernste Statements, die an den Massstäben des politischen Diskurses gemessen werden müssen. Das gezielt eingesetzte Missverständnis bringt den Witz hervor. Jetzt sehen wir, wie weit die Politiker hinter ganz einfachen, vernünftigen Überlegungen zurückbleiben. Damit tritt die Methode hervor, die in ihrem Wahnsinn steckt. Der einzige Schluss, der übrig bleibt, ist, dass sie sich absichtlich dumm stellen.

Ein besonders schönes Beispiel gelang Stewart neulich im Zusammenhang mit der illegalen Telefonabhöraktion der Regierung. Bush erklärte auf eine entsprechende Frage kurz und bündig, das müsse man so machen, wenn man die Terroristen besiegen wolle. Auf das Thema der Illegalität ging er gar nicht erst ein. Stewart aber behandelte das komödiantische Statement, das dazu dienen sollte, die lästigen Reporter abzuschütteln, ganz nüchtern als ernst gemeinte Erklärung: «Ja, wie wir wissen, hat unser Präsident leider schon lange Probleme mit dem Gesetz. Schon als Jugendlicher fuhr er immer betrunken Auto.» Anders gesagt: Bushs Politik gründet in pubertärem Rebellentum. Zur Verdeutlichung des Zusammenhangs zeigt Stewart eine Grafik: Ein Autorennen, in dem ein Auto mit Namen «Bush» gegen eines mit Namen «das Gesetz» fährt. Bush liegt vorne. Nach einem Kameraschwenk sehen wir die Ziellinie: das Jüngste Gericht. Das also ist die Methode hinter Bushs Wahnsinn: Gemäss seiner religiösen Überzeugung, dem Born Again Christianism, ist das Gesetz als weltliche Erfindung zum baldigen Untergang bestimmt. Was ein rechter Christ ist, schert sich nicht darum.

Das dauert vielleicht eine halbe Minute. Dreissig Fernsehsekunden, in denen wir alles kriegen, was wir wollen: brillante Witze am Laufmeter, tiefschürfende Analysen, und das Ganze gewürzt mit einer Prise Philosophie. Es ist, wie der Slogan der Sendung verspricht: «Besser, als informiert zu sein.» Auch das ist natürlich ein Witz und will sagen: «The Daily Show with Jon Stewart» ist die beste Informationssendung, weil sie aus dem Datenfluss, den alle senden, ganz eigene Erkenntnisse herausfiltert.

Beim Publikum sind die durchaus begehrt. Längst gehört es an der US-amerikanischen Ostküste zum guten Ton, zu behaupten, man informiere sich über Politik ausschliesslich in «The Daily Show». Der Erfolg ist so gross, dass ein Mitarbeiter von Stewart, Steven Colbert, im Herbst ein Spin-off gegründet hat. Die Sendung heisst «The Colbert Report» und steht dem Vorbild in nichts nach. Auch Stewart selbst ist dieser Tage auf einem neuen Karrierehöhepunkt angekommen. Er wird die kommende Oscar-Verleihung moderieren. Also Leutschenbach: Fahrt die Antennen aus! Hört die Signale!