Jürg «jüre» Wehren: Die Rückkehr der Sonne

Nr. 6 –

Acht Jahre nach dem Tod des Zürcher Gebrauchsgrafikers und Aktivisten ist eine Sammlung von Texten und Bildern erschienen, die Kämpfe begleiteten, die heute etwas in Vergessenheit geraten sind und trotzdem nichts von ihrer Aktualität verloren haben.

Eine rote Sonne scheint. Ein Haus, zum Dampfschiff mutiert und mit wehenden Fahnen bestückt, müht sich durch das Packeis des Südpols. Die wegbrechenden kaltblauen Eisstücke heissen SKA, Technopark, Oerlikon-Bührle oder HB Südwest. Das Schiff ist die WG Bäckerstrasse in Zürich und bildet den Blickfang eines Linolschnittplakats von 1991. Gestaltet hat es der Künstler Jürg Wehren.

Der 1950 in Biel geborene Wehren arbeitete in den siebziger Jahren als Bauarbeiter im Stollen des Grimsel-Kraftwerks. Er wurde unter dem Eindruck der ArbeitsmigrantInnen zum klassenkämpferischen Agitator. Später war er eine umtriebige Figur des linken Widerstands im Zürich der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Als Anreisser, Autor, Plakatgestalter und Herbergsvater setzte er sich für abgewiesene AsylbewerberInnen, Flüchtlinge oder Oppositionelle der Tupamaros aus Uruguay ein. Zweimal sass er in Haft, das erste Mal 1970 in Witzwil wegen Verweigerung des Militärdienstes, das zweite Mal von 1983 bis 1988 wegen «Besitz von Sprengstoff in verbrecherischer Absicht im terroristischen Umfeld». Eine Woche vor seiner Haftentlassung erlitt Wehren einen Herzinfarkt, dessen Folgen ihm bis an sein Lebensende 1998 zu schaffen machten.

Nun ist ein Buch über Jürg Wehrens Gebrauchsgrafik, seine Texte und sein Leben erschienen. Herausgegeben wurde es von seiner Lebenspartnerin Claudia Bislin und weiteren MitstreiterInnen. Neben vielen Abbildungen seiner Linolschnitte enthält es zeitgenössische Fotos, eigene Aufsätze (unter anderem für die WOZ) und Texte über den Menschen Wehren, verfasst von verschiedenen AutorInnen. Ein Beitrag ist von Peter Bichsel, der sich 1970 in der «AZ» zum Prozess gegen den Dienstverweigerer Wehren äusserte.

Wehrens Kunst ist als Erweiterung seines politischen Kampfes zu verstehen. Er war stets Gebrauchszeichner im Dienst der Sache und besuchte nie eine Kunstschule. Seine seit 1970 auf Flugblättern und Agitationszeitungen erschienenen Bilder entstanden unter dem Eindruck der Siebdruckplakate der Ateliers Populaires, die seit Mai 1968 in grosser Fülle die Pariser Studentenaufstände begleiteten.

Mit Linolschnitten, die sein grafisches Hauptwerk bilden, begann er erst in der Isolationshaft ab 1983. Inspiriert durch Clément Moreau (1903-1988), der ein Schüler von Käthe Kollwitz (1876-1945) war und in den zwanziger Jahren grafisch gegen den aufkommenden Militarismus und Faschismus kämpfte, fand Wehren zu einer kraftvollen, expressiven Bildsprache.

Wehren schaffte es, in einem einzigen Bild ganze Geschichten zu erzählen, und bediente sich oft einer starken Symbolik. Das wirkt an manchen Stellen aus heutiger Sicht etwas bemühend, auch wenn er damit zu seiner Zeit den Anspruch der sofortigen Verständlichkeit erfüllt haben wird. So genannt richtige Anatomie interessierte ihn nicht. Seine Figuren klappen teilweise zweidimensional in den dreidimensionalen Raum hinein. Ihre Gesichter drücken Leiden oder Wut aus. Farbe wird zur Unterstützung der Aussage verwendet und ist nie Selbstzweck.

Gerade durch ihre Direktheit ist die Darstellung «Keine Rückschaffungen Asylsuchender in Verfolgerstaaten» von 1988 besonders eindrücklich. Ein Flüchtlingskind geht verängstigt an der Hand seiner Mama. Die erwachsenen Protagonisten, links der Schweizer Beamte, in der Mitte die Mutter und rechts der mit der Peitsche wartende Polizist des Verfolgerstaates, geben durch den quer gewählten Bildausschnitt nur ihre Beine preis.

In der Isolationshaft stellte Wehren 1985 eine Serie von Illustrationen für das Buch «Damengambit» von Res Strehle über das Leben von Bundesrätin Elisabeth Kopp her. Die verschachtelten Arrangements der Bilder enthalten eine Fülle von Anspielungen und gehören zum Besten, was er aus dem Linol schnitt.

Die Linolschnitte waren für Jürg Wehren die geeignete Form, sich vom Gefängnis aus mitzuteilen. Sie waren einfach zu vervielfältigen. Briefe wären von den Zensoren leicht zu kontrollieren gewesen, Bilder nicht. «Ich lernte rasch, dass meine Wächter ihnen verständnislos gegenüberstanden», schreibt Wehren. Die Darstellungen sind voll von ironischen Andeutungen, die umso mehr von seinen GenossInnen, FreundInnen und Angehörigen verstanden wurden. Den Höhepunkt bildete ein Kinderbuchunikat.

«Widerstand braucht viele Sprachen» ist eine schöne Hommage an einen eigensinnigen Menschen. Allerdings hätte die Strukturierung besser ausfallen können. Die Vermischung von zwei unterschiedlichen Papiersorten, Umweltschutzpapier und gestrichenem Offsetpapier, kommuniziert nicht schlüssig mit der Verteilung des Inhalts, sodass die Reproduktionen der Linolschnitte manchmal auf das eine, manchmal auf das andere Papier fallen. Die auf den Kapiteltrennern und dem Titelblatt abgebildeten Walzenfarbaufträge haben zwar einen Bezug zum Thema, wirken aber etwas ältlich. Eine schöne Wehren-Darstellung auf dem Frontcover würde die Lust auf das lesenswerte Buch steigern. Zum Beispiel die rote Sonne.

Claudia Bislin (Hrsg.), Sonja Hug (Hrsg.), Edi Lehmann (Hrsg.) und Marc Rudin (Hrsg.): Widerstand braucht viele Sprachen. Edition8. Zürich 2005. 128 Seiten. 36 Franken