Gelesen: Aus Pappmaché

Nr. 10 –

Nehmen wir an, es wäre nicht ein Tatsachenbericht, sondern ein erfundener Text, und man müsste also nicht mit dem Autor darüber rechten, warum er 1975 das Haus eines der bekanntesten Deutschen abfackelte und sich erst 2003 damit beschäftigt haben will, wer dieser Mann, Axel Springer, eigentlich gewesen ist: Wäre Daniel de Roulets «Ein Sonntag in den Bergen» als literarische Fiktion denn ein gelungener Text? Ein «Roman», eine «Liebesgeschichte», wie de Roulet im WOZ-Interview (Nr. 11, 16. März 2006) erklärt?

Zunächst einmal wäre es ein ziemlich eitles Buch. Schon wie es anfängt: auf einer Party mit dem deutschen Bundeskanzler und anderen Mächtigen im Luxushotel in Locarno. Was will uns der Autor damit sagen? Dass sein Ich-Erzähler heute arriviert ist und an superschicke Anlässe eingeladen wird? «Der Mann, der das Wort ergreift, ist genauso alt wie ich und sitzt mir gegenüber, neben unserem Bundespräsidenten», sagt der Ich-Erzähler ohne jede Ironie. In einem erfundenen Plot wäre diese Begegnung eines linken Schriftstellers mit dem gleichaltrigen Gerhard Schröder eher störend: Wenig überzeugend, dass der sechzigjährige Intellektuelle sich ausgerechnet vom zynischen Kanzler - «Tag für Tag bekämpfe ich das, wofür ich mich als junger Mensch engagiert habe», sagt Schröder - zur autobiografischen Selbstentblössung veranlasst sieht. Zumal die Lebensgeschichten der beiden sonst kaum Berührungspunkte haben. Die Story nimmt einen etwas konstruierten Anfang, würde man sagen, wenn sie erfunden wäre. Oder ist sie vielleicht nur ungeschickt ausgeführt?

Eitel wäre an Daniel de Roulets Text - im Falle der Fiktion - aber auch die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus der siebziger Jahre. Dieser bestand ja zur Hauptsache nicht aus «Sonntagsspaziergängen», sondern aus Mord und Totschlag und Überfällen, verbunden mit Hasspropaganda und Verschwörungstheorien. Ein Achtundsechziger, der 1975 - als die Bewegung gerade kippte - die Bergvilla des meistgehassten deutschen Verlegers anzündete, würde man als Leser eines Romans unweigerlich denken, muss doch in irgendeiner Relation gestanden haben zu den todernsten Debatten über den «bewaffneten Kampf» jener Zeit. Aber bei de Roulets Romanheld handelt es sich um einen Individualisten. Er habe das Verlegerhaus angesteckt, so schreibt der Autor, vor allen Dingen, um einer schönen Frau, seiner Komplizin, zu imponieren. Und weil er Jean-Paul Sartre mochte. Soll die Bundesanwaltschaft bitte an solche romantisch-verantwortungslose Einzeltäter glauben: Der Leser eines Romans täte das nicht so schnell.

Womit wir bei der Liebesgeschichte sind, die das Buch erzählt. Sie findet leider ohne eine echte Frau statt. Die Frauenfigur, die vorkommt, ist nur aus Pappmaché und von groupiehafter Bewunderung für einen in den «seidenen Laken» des Palace-Hotels von Gstaad zu erstaunlicher Potenz sich aufschwingenden Ich-Erzähler. Auch diese Liebe könnte man der Geschichte kaum glauben, wenn sie erfunden wäre. Doch erfunden ist sie nicht.

Daniel de Roulet: Ein Sonntag in den Bergen. Ein Bericht. Limmat Verlag. Zürich 2006. 128 Seiten. 24 Franken