USA: Feiner Sand für Biloxi

Nr. 11 –

Die Opposition gegen den Krieg im Irak wächst weiter. Nicht zuletzt, weil das viele Geld anderswo dringend gebraucht würde.

Der Bus von Jim Goodnow ist eine Propagandamaschine auf Rädern. Die Aussenwände sind mit Parolen gegen den Krieg beschriftet und mit Friedenssymbolen verziert. Drinnen, neben dem Lenkrad, hängt ein Bild von Mahatma Gandhi. Die unvermeidliche Stars-and-Stripes-Flagge flattert verkehrt herum aus dem Fenster und das durchaus mit Grund, wie Goodnow betont. Der Kriegsveteran, dessen lange weisse Haare von einem roten Stirnband zusammengehalten werden, habe auf seiner Reise von seinem Wohnort in Texas hierher nach Mobile im Bundesstaat Alabama sehr viele positive Reaktionen erhalten, erzählt er. «Das Verhältnis war vierzehn zu eins». Auf vierzehn Victoryzeichen, die ihm Zustimmung signalisierten, sei ein gestreckter Mittelfinger gekommen. Goodnow ist ein Veteran des Vietnamkrieges.

Von Mobile im Bundesstaat Alabama aus begann am Dienstag ein Zug von KriegsveteranInnen nach New Orleans. Anlass ist der dritte Jahrestag der US-Intervention im Irak. Ausserdem besuchen die VeteranInnen auf ihrem Weg die Regionen, die vom Hurrikan Katrina im letzten Jahr am stärksten in Mitleidenschaft gezogen worden waren und in denen noch immer sehr viele Menschen nicht wissen, wie ihr Leben weitergehen soll. Die VeteranInnen wollen zeigen, dass das eine sehr viel mit dem anderen zu tun hat. Die enormen Summen, die die US-Regierung für den Irakkrieg ausgibt, könnten hier dem Wiederaufbau dienen.

Chefkoordinator des Zugs ist Stan Goff. Auch er diente als Soldat im Vietnamkrieg. Darüber hinaus kam Goff in einem Zeitraum von 26 Jahren in Guatemala, Grenada, Kolumbien, Peru, Korea und Haiti zum Einsatz. Als Mitglied von verschiedenen Eliteeinheiten, etwa der Delta Forces, hat er an verdeckten Operationen teilgenommen und Soldaten der mit den USA befreundeten Regierungen trainiert. 1996 hat Goff die Armee verlassen, und er begann öffentlich Stellung gegen das Kriegsengangement seiner Regierung zu nehmen. So setzte er sich in einem Buch kritisch mit der Haiti-Intervention auseinander. Goffs Sohn ist vor einer Woche aus dem Irak zurück-gekehrt. Auch er wurde Soldat. «Aus rein ökonomischen Gründen», sagt Goff. Sein Sohn hatte einen schlechten Job bei McDonald’s und ist Vater geworden.

Am Zug nimmt auch Geoffrey Millard teil. Millard diente dreizehn Monate im Irak. Jetzt ist er ein Aktivist der Gruppe «Irak-Veteranen gegen den Krieg». Millard wuchs in Buffalo (Bundesstaat New York) in ärmlichen Verhältnissen auf. «Es galt bei uns als cool, sich für den Militärdienst zu melden.» Viele ärmere Leute in den USA machten sich kaum politische Gedanken: «Die sind vor allem damit beschäftigt, genug Geld zusammenzukriegen. Das heisst hier: bis zu sechzig Stunden arbeiten und trotzdem nicht krankenversichert sein.» Millard war in Tikrit stationiert, dem Heimatort von Saddam Hussein. Er war dem Stab eines Generals zugeteilt und musste für diesen Informationen beschaffen. «Durch diesen Job habe ich im Vergleich zu den meisten anderen Soldaten etwas vom grossen Bild des Krieges mitbekommen.» Er sagt, Leute wie Stan Goff seien sein Vorbild geworden. Dank ihnen habe er schliesslich den Mut gefunden, öffentlich gegen den Krieg Stellung zu nehmen. Als Kriegsteilnehmer habe er in der Öffentlichkeit einen Glaubwürdigkeitsbonus. Negative Reaktion bekomme er kaum zu spüren.

Verschiedenste Meinungsumfragen belegen einen signifikanten Stimmungswandel: Noch nie waren so wenig US-BürgerInnen vom Irak-Engagement ihrer Regierung überzeugt wie in diesen Tagen. Zwei Drittel der Befragten sind inzwischen der Meinung, dass die US-Regierung ohne jeden Plan agiere. US-Präsident George Bush hat am Montag versucht, Gegensteuer zu geben: Er versprach, dass bis Ende des Jahres die Kontrolle über die Hälfte des irakischen Territoriums an lokale Truppen übergeben werde. Aber wer glaubt das schon?

Doch Bush steht auch immer noch wegen der schleppenden Hilfe nach dem Hurrikan Katrina in der Kritik. Wie es um den Wiederaufbau der betroffenen Gebiete steht, zeigt eine Fahrt auf dem Highway 90 von Gulfport nach Biloxi im Bundesstaat Mississippi. Die Strasse führt direkt den breiten Sandstrand entlang. Auf der anderen Seite säumen zusammengebrochene Holzhäuser und Schutt die Fahrt. Kleine Motels, aus Beton gebaut, haben dem Wind getrotzt, doch sind sie vollständig entglast - immer noch. An den halb umgestürzten Bäumen hängen Plastikfetzen. Kaum ein Haus, das inzwischen wiederaufgebaut wurde, kaum eine Stelle, an der Bauarbeiten im Gang zu sein scheinen. Anders auf der Strandseite: Hier ist schweres Gerät im Einsatz. Bagger glätten den zu den merkwürdigsten Formen aufgetürmten Sand. Ihnen folgen grosse Lastwagen, die den Sand per Förderband aufnehmen und durch mitgeführte Reinigungs- und Filteranlagen laufen lassen. Am Schluss der Prozedur fällt feiner, weisser Sand zu Boden. Daneben liegen bereits einige Unentwegte in der Frühlingssonne oder waten bis zu den Knien ins Wasser.

Und weshalb passiert mit den Häusern nichts? Vor Biloxi treffe ich auf Raoul und Shirley, ein afroamerikanisches Paar. Ihr Haus in Pass Christian, einer Gemeinde westlich von Gulfport, sei zerstört, sagen sie. Die Federal Emergency Management Agency (Fema), die Katastrophenbehörde, hat den beiden einen grossen Wohnwagen zur Verfügung gestellt. Aber sie scheinen sich wenig Hoffnung zu machen, ihr Haus wieder aufbauen zu können. Zwar seien sie gegen Wasserschäden versichert gewesen, doch die Versicherung will nicht zahlen. «Die behaupten, der Wind sei Ursache der Zerstörung gewesen und nicht das Wasser, das nachher kam.» Die Sache ist jetzt vor Gericht, doch das kann dauern.

Vivian Felts weiss von vielen solchen Fällen. Felts ist Mitglied der Selbsthilfeorganisation Savin’ Our Self (SOS) und nimmt auch am Marsch der Veteranen teil. «Manchmal ist es auch umgekehrt. Jemand hat eine Versicherung gegen Sturmschäden abgeschlossen, und die Versicherung behauptet, für die Zerstörung sei nicht der Wind, sondern das anschliessende Hochwasser verantwortlich.»

Raoul und Shirley dürfen achtzehn Monate im Fema-Trailer wohnen. Wenn sie bis dahin nichts anderes gefunden haben, wird die Frist um sechs Monate verlängert. Nachher müssen sie selbst schauen. Felts sagt: «Die Politiker interessieren sich nicht für die Küstenbewohner, egal, ob sie schwarz sind, Vietnamesen oder Weisse. Es sind zumeist Arme, und die will man einfach nicht mehr an der Golfküste.»

Während der Wiederaufbau der kleinen typischen Südstaaten-Holzhäuser nicht in die Gänge zu kommen scheint, ist die Region zum El Dorado für GrundstückspekulantInnen geworden. Die Bodenpreise haben sich den letzten sechs Monaten verdoppelt, weiss die «Washington Post». Zwar wurden auch die Spielkasino- und Hotelkomplexe, die die Skyline von Biloxi bestimmen, vom Hurrikan schwer beschädigt, doch hier wird kräftig renoviert. Der «Imperial Palace» mit seinen 1100 Zimmern ist bereits wieder in Betrieb. Zwei grosse Hotel-Kasino-Ketten planen in Biloxi Neubauten mit einem Investitionsvolumen von rund einer Milliarde US-Dollar. Massive Steuerreduktionen für die InvestorInnen haben zu dieser Aufbruchstimmung beigetragen. Die Küste könnte zu einer Art «Dixi-Riviera» werden, mutmassen die Menschen hier, zu einer Wohngegend für Gutbetuchte und einer Ferienregion für den Mittelstand.

Ob es dannzumal noch Platz für Raoul und Shirley hat? Beide haben mit dem Sturm auch ihre Jobs verloren. Sie leben jetzt von Raouls Rente. Auf die Frage, ob sie glauben, dass die Regierung genug getan habe für Leute wie sie, zucken sie mit den Schultern. «Hier sah es nach dem Sturm schrecklich aus. Immerhin sind jetzt all die Bäume und der Schutt auf der Strasse weggeräumt. Aber es geht schon alles etwas langsam», antwortet Raoul. «Wir können zur Not immerhin zu unserem Sohn nach Dallas ziehen», sagt Shirley, «andere haben überhaupt keine Absicherung.»

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