Weltumsegelungsregatta: Kleider gewechselt, Knochen gebrochen

Nr. 20 –

Das Volvo Ocean Race fordert Mannschaft wie Material bis zum Äussersten.

Stürme in Orkanstärke, haushohe Wellen, Schiffbruch und Piraten - das Volvo Ocean Race 2006 macht Bubenträume wahr. Mit einer Dauer von beinahe acht Monaten ist diese Weltumsegelungsregatta für Mannschaften einer der längsten sportlichen Wettkämpfe überhaupt.

Die immer noch einzige Route um den Globus auf dem Seeweg führt durch die Südmeere; durch das Abschmelzen des Polareises rechnen Klimaforscher allerdings bereits in zwanzig Jahren mit der Schiffbarkeit nördlicher Passagen. Noch gilt aber: Je südlicher der Kurs,

desto kürzer der Weg, desto unwirtlicher die meteorologischen Bedingungen. Nach dem Kap der Guten Hoffnung folgen beinahe 20000 Kilometer zuerst durch den südindischen Ozean, vorbei am Kap Leeuwin an der südaustralischen Küste durch den Südpazifik bis zum Kap Horn. Ungebremst von Landhindernissen jagen sich die Schlechtwetterfronten (auch in der Südhemisphäre stets von Westen), nirgends auf der Welt werden höhere Durchschnittswindgeschwindigkeiten gemessen, nirgendwo sind die Wellenberge grösser. Monsterwellen von mehr als dreissig Metern Höhe galten lange als Seemannsgarn, unterdessen konnte dank Satellitenaufnahmen bewiesen werden, dass diese häufiger auftreten als angenommen.

Die Route des Volvo Ocean Race verlief in den ersten Monaten durch diese Roaring Forties und Howling Fifties, wie die wilden Breitengrade ehrfurchtsvoll genannt werden. Aus Sicherheitsgründen musste zwischendurch allerdings nach Norden ausgewichen und der vierzigste südliche Breitengrad an bestimmten Stellen überquert werden, vor allem um die fragilen Karbonjachten von den antarktischen Treibeiszonen fern zu halten.

Umso erstaunlicher, dass die meisten Weltumsegler die Südmeere trotzdem für eine der schönsten Gegenden der Welt halten. In ihren Berichten schwärmen sie nicht nur vom einzigartig dichten Sternenhimmel, auch die Tierwelt sorgt in der Einöde aus Himmel und Wasser fast täglich für Aufsehen: So kreuzen immer wieder Wale die Bahn der Segler. Die Meeressäuger stellen mit ihrer Grösse allerdings auch für moderne Segeljachten immer eine Gefahr dar, Kollisionen kommen nicht selten vor. Erstaunen sorgte unter den Seefahrern auch die Vogelwelt; von den kleinsten Seeschwalben, die sich tausende von Kilometern vom Festland entfernt ihre Nahrung suchen, bis hin zu den riesigen Albatrossen, die die Segler oft tagelang begleiten und immer wieder zu persönlichen Duzfreunden und Gesprächspartnern werden, wie den oft durch ornithologische Skizzen ergänzten Reiseberichten zu entnehmen ist. Die Kampagne «Save the Albatros» wird auch von den abgebrühten Segelprofis des Volvo Ocean Race aktiv unterstützt, mit Vorträgen an Schulen in den Etappenorten und mit finanziellen Beiträgen.

Seit den sechziger Jahren wird diese mehr als 40 000 Kilometer lange Strecke auch als Wettkampf zurückgelegt; alleine oder in Teams, in Etappen oder am Stück. Während die Sieger nicht nur in ihren Heimatländern als ewige Segelhelden gelten, waren vor allem in den Pionierjahren dieser Wettbewerbe auch zahlreiche Todesfälle zu beklagen. Ruhm und Preisgelder lockten eher Abenteurer als erfahrene Segler zur Teilnahme. Als die englische Zeitung «Sunday Times» 1968 für die erste Ein-Hand-Nonstopweltumsegelung «The Golden Globe» 5000 Pfund Preisgeld für den Sieger in Aussicht stellte, waren gerade mal drei von neun Teilnehmern hochseeerfahren, zwei der Teilnehmer absolvierten kurz vor dem Start ihren ersten Segelkurs.

Unterdessen wissen Ausrüster und Teilnehmer, was sie auf einer Umrundungsregatta erwartet, entsprechend angepasst sind Material, Training und die Sicherheitsüberwachung dieser nach wie vor sehr abenteuerlichen Regatten.

Die Schiffe

Für das aktuelle Volvo Ocean Race wurde eigens eine neue Generation von Hightechschiffen entworfen: Die Volvo Open 70 sind noch grösser, mit noch mehr Segelfläche und mit allen heute bekannten technischen Innovationen ausgestattet. Spektakel und Rekorde sollen den Sponsoren der teuren Jachten einen entsprechenden Gegenwert liefern, mit Medienpräsenz während der acht Monate dauernden Umrundung und mit Zuschauerevents an den zehn Etappenorten. Rund fünfzehn bis dreissig Millionen Franken wurden pro Schiff ausgegeben. Die sieben Teams sind mittelgrosse Unternehmen mit vierzig bis siebzig Angestellten, Bootsbauer, Segelmacher, Marketingprofis und Fotografen, die Crew der Schiffe besteht aus zehn Seglern. Die Kosten für Schiff und Segel machen deshalb nur einen kleinen Teil der Ausgaben aus. Finanziert werden sie durch Sponsoren: Während sich die holländische Grossbank ABN AMRO gleich zwei Teams kaufte, musste das kleine australische Team von Etappe zu Etappe neue Sponsoren suchen und das Rennen nach der dritten Etappe mangels finanzieller Unterstützung gar unterbrechen - nun sind sie unter dem Namen Brunel wieder im Rennen. Wie auch im Radsport üblich, werden sie sich nun auf Etappensiege konzentrieren.

Für das grösste Aufsehen weit über den Segelsport hinaus sorgte das Engagement des Hollywood-Giganten Disney Productions, die das Volvo Ocean Race für die Promotion des zweiten Teils des Erfolgsstreifens «Pirates of the Caribbean» nutzen. Das durchgestylte «Piraten»-Schiff ist trotz der mässigen Erfolge unterdessen zum Liebkind der Medien und der Zuschauer geworden. Vor Rennbeginn hiess es gar, Johnny Depp höchstpersönlich werde an einer der Etappen mitsegeln. Nachdem aber schon nach der ersten Etappe zahlreiche gestandene Segler angesichts der unwirtlichen Bedingungen an Bord das Handtuch warfen, beschränkt sich die Promotion nun auf Piratenpartys für Schulkinder. Steuermann Paul Cayard - er steuerte schon America’s-Cup-Jachten und segelte bei den Olympischen Spielen in Athen für die USA mit - erzählt dort jeweils mit Piratenkopftuch von seinen Erlebnissen auf See.

Das Rennen

Schon kurz nach dem Start im nordspanischen Vigo gerieten die Flotte in einen mittleren Sturm und die Hälfte der Teilnehmer in Seenot: Seit fünf Jahren wird bei Hochseejachten mit schwenkbaren Kiels experimentiert, diese vervielfachen die Wirkung der mehrere Tonnen schweren Kiele und führen zu entsprechend hohen Geschwindigkeiten. Die Mechanik im Inneren des Schiffes - der kürzere Teil des Hebelarmes - muss dabei kaum berechenbaren Belastungen standhalten: Die hohen Geschwindigkeiten der Schiffe mit gegen vierzig Knoten (Seemeilen pro Stunde, über siebzig Kilometer pro Stunde) und die Schläge der Wellen aus allen Winkeln zwangen schon am zweiten Tag drei der Teilnehmer zu Reparaturstopps. Am gleichen Tag verbesserte die holländische ABN AMRO II den 24-Stunden-Weltrekord auf 652 Meilen, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 23 Knoten oder 42 Kilometern pro Stunde entspricht. Die Volvo 70 sind damit zurzeit die schnellsten Einrumpfjachten, rund doppelt so schnell wie die Jachten des America’s Cup.

Im weiteren Rennverlauf traten weitere Schäden auf. Teilweise mussten die Jachten auf dem Landweg oder gar per Luftfracht zum nächsten Etappenstart transportiert werden. So spielt unterdessen das Gesamtklassement kaum mehr eine Rolle, ABN AMRO I, die als einzige ohne Havarien durchkam, liegt uneinholbar in Führung, obwohl noch vier Etappen ausstehen.

Die Segler

Die erfolgreiche Teilnahme an einer Weltumsegelungsregatta zeichnet einen Berufssegler besonders aus, gilt dieser danach doch im wahrsten Sinne des Wortes als mit allen Wassern gewaschen: Durch die hohen Geschwindigkeiten der Volvo 70 werden die Wellen mit Gewalt durchschnitten, die übers Deck sprühende Gischt lässt sich mit dem Druck eines Wasserwerfers vergleichen. Bei entsprechenden Bedingungen herrscht deshalb an Bord Helmpflicht. Auch im Schiffsinneren steht das Wasser oft knietief, was aber nur gerade in den Berichten der ersten Tage Erwähnung fand. Viel mehr zu schaffen machen den zehnköpfigen Teams der Lärm und die extremen Temperaturen. In den harten Karbonrümpfen lebt es sich wie im Innern einer Trommel, hundert Dezibel sind keine Seltenheit.

Doch irgendwann nach ein paar Tagen fanden die Segler bei ihren Vier-Stunden-Schichten trotzdem Schlaf. Die wochenlange Kälte um den Gefrierpunkt in den Südmeeren oder die tropisch-feuchten Temperaturen im Inneren der schwarzen Karbonschiffe in Äquatornähe erinnern an alte Zeiten der Seefahrt. Ebenso die Hygiene: Der erste Wechsel der Unterwäsche nach acht bis zwölf Tagen wird beinahe ebenso gefeiert wie neue Höchstgeschwindigkeiten. In der Tat sind Kleiderwechsel nicht ungefährlich: Mehrere Teilnehmer zogen sich dabei Prellungen und Knochenbrüche zu. Beim Eintauchen in die Wellen bremsen die Jachten von fünfzig Kilometern pro Stunde ohne Vorwarnung beinahe vollständig ab, die Schlagrichtung ist dabei nicht vorauszusehen, die spartanisch eingerichteten Schiffe bieten dazu kaum Halt. Unter diesen Bedingungen ist auch die Benutzung der Bordtoilette ein Abenteuer. Bei Stürmen ab Windstärke zehn leiden verständlicherweise nicht wenige der Segler an einer Adrenalinüberdosis: Hält das Schiff? Wer wird uns retten? Bin ich der Einzige, der Angst hat?

Dank der heutigen Informationstechnologie können die Ereignisse um das Volvo Ocean Race mit täglichen Berichten, Bildern und Videos auf dem Internet mitverfolgt werden. Damit wird dieser Wettkampf vor allem auch zu einem achtmonatigen Abenteuerfortsetzungsroman mit allem, was dazu gehört, selbst von Schlägereien an Bord wurde schon berichtet.



Fast acht Monate auf See

Im November 2005 in Vigo an der spanischen Nordküste gestartet, sind die sieben 70-Fuss-Jachten (rund 23 Meter Länge) mit ihrer zehnköpfigen Besatzung zurzeit immer noch unterwegs. Nach Etappenstopps in Kapstadt, Melbourne, Wellington, Rio de Janeiro, Baltimore und New York kehren sie in diesen Tagen nach Europa zurück, zuerst nach Portsmouth an der englischen Südküste, danach in mehreren Kurzetappen nach Göteborg, wo sie Mitte Juni eintreffen dürften.

Beat Stegmeier ist Redaktor beim Schweizer Segelinternetportal

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