Irak: Wer gegen den Teufel kämpft

Nr. 23 –

US-SoldatInnen erschossen in Haditha vorsätzlich ZivilistInnen - ein Kommentar von Robert Fisk.

Kann es sein, dass Haditha nur Teil eines grossen Massengrabes ist? Die Leichen, die wir flüchtig sahen, die unscharfen Bilder von Kadavern und toten Kindern - sind das womöglich nur einige von vielen? Geht die Handarbeit der US-Armee in den Slums noch weiter?

Ich erinnere mich, wann ich so etwas zum ersten Mal befürchtete. Ich stand im Leichenhaus in Bagdad und zählte die Leichen, als mir ein alter Freund, ein hochrangiger Arzt, von seinen Ängsten erzählte. «Alle bringen Leichen zu uns», sagte er. «Doch wenn die Amerikaner Leichen bringen, haben wir Anweisung, unter keinen Umständen eine Autopsie zu machen, denn das sei schon geschehen. Manchmal erhalten wir ein Blatt Papier wie dieses hier zu einer Leiche.» Und er gab mir ein Dokument des US-Militärs mit einer von Hand gezeichneten Leiche und den Worten: «Traumatische Verletzungen.»

Was für Traumata erlebt der Irak zurzeit? Wer begeht die Massenmorde? Wer entsorgt so viele Leichen auf Müllhaufen? Nach Haditha sollten wir unsere Verdächtigungen überdenken. Es reicht nicht, zu sagen: «Das waren einige faule Äpfel.» Besatzungsarmeen sind immer korrumpiert. In Algerien werden immer noch Massengräber freigelegt, die von französischen Fallschirmjägern hinterlassen wurden, die ganze Dörfer auslöschten. Man weiss um die Vergewaltigungen und Morde der russischen Armee in Tschetschenien. Der Bloody Sunday in Nordirland ist bekannt. Die Israelis schauten zu, als ihre libanesische Stellvertretermiliz 1700 PalästinenserInnen abschlachtete. Und die Worte My Lai werden jetzt wieder ausgesprochen. Die Nazis waren noch viel schlimmer. Und die Japaner. Und die kroatische Ustascha. Doch jetzt geht es um uns und die Gegenwart. Diese jungen SoldatInnen vertreten den Westen im Irak. Und sie haben unschuldiges Blut an ihren Händen.

Vermutlich liegt es auch daran, dass wir uns nie wirklich um die IrakerInnen gekümmert haben. Ihre Toten werden nicht gezählt. Als sich IrakerInnen mit selbstgebauten Bomben und Selbstmordanschlägen gegen die Besatzungsarmee zu wenden begannen, wurden sie zu arabischen «Schlitzaugen», zu jenen teuflischen Untermenschen, die die US-AmerikanerInnen einst in Vietnam erkannten. Man braucht einen Präsidenten bloss dazu zu bringen, uns zu sagen, dass wir gegen den Teufel kämpfen - dann werden wir eines Tages herausfinden, dass ein Kind Hörner hat und ein Baby Pferdefüsse. Diese Leute sind schliesslich MuslimInnen, und sie könnten ja alle kleine Mohammed Attas werden. Eine Gruppe ZivilistInnen zu töten, ist nur ein Schritt weiter als die wahllosen Luftangriffe, bei denen «Terroristen» getötet werden, die aber allzu oft eine Hochzeitsparty treffen oder - wie in Afghanistan - eine Mischung von «Terroristen» und Kindern oder, wie es zweifellos bald heissen wird, «Kinderterroristen».

Aber auch wir ReporterInnen sind in gewisser Weise mitschuldig. Wir können uns nicht mehr aus Bagdad herauswagen, ja, noch nicht einmal in Bagdad selber, und so ist die unermessliche Weite des Irak unter einen dicken, alles verschlingenden Schatten gefallen. Gelegentlich registrieren wir Funken in der Nacht - ein Haditha oder zwei in der Wüste -, doch wir katalogisieren widerspruchslos die Zahl der angeblich in abgelegenen Gebieten getroffenen «Terroristen». Aus Angst vor den Messern der Aufständischen können wir nicht mehr recherchieren. Und den US-AmerikanerInnen gefällt das.

Man gewöhnt sich an diese Sachen. Die Schrecken von Abu Ghraib sind bereits achselzuckend abgetan. Das war Missbrauch, nicht Folter. Dann taucht ein gemeiner Offizier auf, der in den USA angeklagt ist, weil er einen irakischen General getötet habe, indem er ihn Kopf voran in einen Schlafsack gezwungen und sich ihm auf die Brust gesetzt habe. Das machte kaum Schlagzeilen. Wen kümmerts, wenn noch ein Iraker ins Gras beisst? Versuchen die nicht, die Jungs zu töten, die da draussen gegen den Terrorismus kämpfen?

Wer kann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn wir uns als die strahlendsten, ehrenwertesten Kreaturen betrachten, mitten in einer endlosen Schlacht mit den Mördern vom 11. September 2001 und dem

7. Juli 2005, weil wir unser Land und unsere Leute - aber keine anderen Leute - so sehr lieben? Und so kleiden wir uns als Ritter, ja, als Kreuzritter und erzählen in jenen Ländern, in die wir einfallen, dass wir Demokratie bringen. Ich frage mich, wie viele der unschuldig Geschlachteten in Haditha wohl die Gelegenheit genutzt hatten, bei den irakischen Wahlen zu wählen - bevor ihre «Befreier» sie ermordeten.


Der sechzigjährige Journalist Robert Fisk arbeitet seit 1976 als Nahostkorrespondent, zuerst für die britische Zeitung «The Times», ab 1989 für den «Independent». Kürzlich erschien sein neustes Buch, «The Great War for Civilisation».