Nanofood: Zwergenfutter

Nr. 23 –

Lebensmittelingenieure stossen ins Reich der Atome und Moleküle vor, um neuen Food zu designen. Ob der allen schmecken wird?

Sie trinken morgens gerne einen Milchdrink, können sich beim Einkaufen aber noch nicht für einen Geschmack entscheiden. Kein Problem. Kaufen Sie den Shake-Drink – und Sie können nach dem Aufstehen durch die Stärke Ihres Schüttelns entscheiden, ob der Drink nach Mango oder Erdbeere schmecken soll.

Noch existiert dieser Schütteldrink erst in der Fantasie von Manuel Marquez. Doch der Forscher des US-Lebensmittelkonzerns Kraft Foods arbeitet daran, ihn Realität werden zu lassen. Sein Instrument heisst Nanotechnologie. Mit ihr stösst Marquez in die Welt von Atomen und Molekülen vor, in die Grössenbereiche des Nanometers – des milliardsten Teils eines Meters.

Fertigprodukte zum Selberbasteln

Bisher wirkten NanotechnikerInnen vor allem in der chemischen Industrie, in der Elektrotechnik oder der Materialbranche. Nun beginnen sie, auch Lebensmittel zu gestalten. «Die Idee ist, dass alle zwar denselben Drink kaufen, aber jeder selber über Textur, Farbe und Geschmack entscheidet», sagt Marquez. Um diese «interaktiven» Getränke herzustellen, kreiert er Nanocontainer – Transportmoleküle, die zwischen zehn und hundert Nanometer klein sind und meist aus Fettmolekülen bestehen. Marquez will die winzigen Container mit Farb- und Geschmacksstoffen beladen und so präparieren, dass sie ihre Inhalte erst dann entlassen, wenn sie bestimmten Reizen – Schütteln oder Mikrowellen – ausgesetzt sind. «Damit kann man eine Vielzahl von Produkten anbieten, die der Konsument selber kontrollieren kann», sagt Marquez.

Nanocontainer finden aber auch deshalb Beachtung, weil sie helfen sollen, die Gesundheit der Menschen zu verbessern. Als «Functional Food» bieten Lebensmittelkonzerne bereits seit einigen Jahren Nahrung an, die mit Substanzen angereichert ist, die gesundheitsfördernd sein sollen. Neu ist die Idee, die Zusätze in Nanocontainer einzupacken. «Dies erhöht nicht nur die Löslichkeit und Bioverfügbarkeit der zugesetzten Substanzen, es bringt die Zusätze auch an den richtigen Ort im Körper und schützt sie während der Verarbeitung und Lagerung», schreibt die Zeitschrift «Foodtechnology».

Brot, das nicht fischelt

Die ersten derartigen Produkte sind bereits auf dem Markt. In Israel verkauft die Firma Shemen ein Rapsöl mit Phytosterolen – pflanzlichen Stoffen, die im Darm die Aufnahme von Cholesterin hemmen. Damit die Phytosterole an ihren Wirkungsort gelangen, sind sie in Nanocontainer verpackt, die Mund und Magen unbeschadet überstehen, unter den Bedingungen im Darm dann aber ihren Inhalt entlassen. Bereits im Magen öffnen sich wiederum die Nanocontainer des australischen Konzerns George Weston Foods. Er stellt ein Brot mit Thunfischöl her. Indem die Nanocontainer das Fischöl erst im Magen entlassen, bringen sie die gesunden Omega-3-Fettsäuren an den richtigen Ort und verhindern gleichzeitig, dass das Brot nach Fisch schmeckt.

Auch in der Schweiz sind erste «Nanonahrungsmittel» erhältlich. Die deutsche Firma Neosino setzt auf ein anderes nanotechnisches Verfahren, das für die Lebensmittelhersteller von Interesse ist: die Zerkleinerung von Inhaltsstoffen. Neosino zermahlt Mineralstoffe wie Silizium, Magnesium und Kalzium auf eine Partikelgrösse von wenigen Nanometern und erzielt so nach eigenen Angaben den Effekt, dass die Mineralien vom Körper rasch aufgenommen werden und das allgemeine Wohlbefinden verbessern.

Der Umsatz mit Functional Food steigt, und entsprechend sind auch die Prognosen für nanotechnisch hergestellte Lebensmittel rosig: In fünf Jahren soll der Weltmarkt für den so genannten Nanofood nach Schätzungen von MarktanalytikerInnen bereits 25 Milliarden Franken betragen. Kein Wunder also, dass auch die Grossen der Branche längst Nanoküchen betreiben: Unilever zum Beispiel will Glaces entwickeln, die bis zu zehnmal weniger Fett enthalten. Cargill investiert in die Herstellung von nanotechnisch aufgepeppten Getränken. Nestlé finanziert Nanoforschung an den Universitäten Graz und Freiburg im Üechtland, die sich mit Molkereiprodukten beschäftigt. BASF wiederum stellt Vitamine und andere Zusatzstoffe in Nanoform her, sodass die Substanzen vom menschlichen Körper leichter aufgenommen werden können.

Auch die Verpackungsindustrie setzt vermehrt auf Nanotechnologie. Bereits auf dem Markt sind Materialien mit Nanopartikeln aus Silber. Sie schützen Lebensmittel vor Bakterien und sollen deshalb den Bedarf an Konservierungsmitteln verringern. Noch in der Entwicklung befinden sich Verpackungen, die mit Nanosensoren ausgerüstet sind. Diese kleinen Spürnasen sollen in Zukunft über den Zustand von Lebensmitteln informieren – etwa, indem sie sauer gewordene Milch rot werden lassen oder indem sie durch die Blaufärbung der Verpackung zeigen, dass das Verbrauchsdatum des Rindfleisches überschritten ist.

Nanopartikel sind nicht einfach kleiner, sie können auch andere Eigenschaften haben als die gleichen Stoffe in Nicht-Nanoform; an sich ungiftige Stoffe können giftig werden. Deshalb steht die Frage im Raum, ob Nanofood der Gesundheit schaden könnte. «In den meisten Fällen dürften die Sicherheitsbedenken vernachlässigbar sein», lautet die Antwort der Wissenschaftler des Londoner Instituts für Lebensmittelwissenschaft und -technologie. Eine vollumfängliche Entwarnung geben die laut eigenen Angaben unabhängigen Fachleute jedoch nicht: «Für Bedenken sorgt die Möglichkeit, dass über die Nahrung freie, künstliche Nanopartikel aufgenommen werden, die wegen ihrer geringen Grösse giftig sein könnten.» Die Wissenschaftler fordern deshalb in ihrem kürzlich erschienenen Bericht: «Bevor solche künstlichen Nanopartikel in Lebensmitteln oder Verpackungen verwendet werden, sollten sie einer angemessenen Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden.»

Derzeit scheint diese Überprüfung nicht in allen Fällen zwingend erforderlich zu sein, zumindest in Grossbritannien. «Die Gesetzgebung ist lückenhaft, weil sie erlaubt, zugelassene Substanzen ohne weitere spezifische Abklärungen in Nanoform zu verwenden», schreiben die Wissenschaftler des Londoner Instituts. Eine Lücke, die auch die britische Lebensmittelbehörde beschäftigt. «Es ist ungewiss, ob die momentane Gesetzgebung auch bei den Zutaten greift, die bereits seit längerem genutzt werden, jetzt aber neu in Nanoform vermarktet werden», heisst es in einem Behördenbericht.

Die Rechtslage in der Schweiz

Reicht das geltende Recht in der Schweiz aus, Nanofood angemessen zu regulieren? Die Bundesämter für Gesundheit und für Umwelt klären die Sicherheits- und Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Nanopartikeln derzeit gemeinsam ab. Die Antworten sollen Ende Jahr im Aktionsplan «Risikobeurteilung und Risikomanagement synthetischer Nanopartikel» vorliegen. Bis dahin wollen die beiden Ämter neben den VertreterInnen der Industrie und der Politik auch KonsumentenschützerInnen anhören. Diese haben ihre Meinung zu Nanofood bereits gebildet. «Bei der Herstellung von Lebensmitteln muss so lange auf die Nanotechnologie verzichtet werden, bis nachgewiesen ist, dass Nanopartikel in der Nahrung unbedenklich sind», sagt Thomas Meier von der Stiftung für Konsumentenschutz. Zudem fordert er, dass die Wahlfreiheit der KonsumentInnen garantiert bleibt. Eine Deklaration von Nanofood verlangt auch die Geschäftsführerin beim Konsumentenforum, Fabiola Monigatti. Sie sagt: «Da nicht alle Risiken abgeklärt sind, muss die Forschung vorsichtig sein und klar deklarieren, falls Nanotechnologie angewendet wird.»

Noch ist vieles offen, wenn es um Nanofood geht. Das gilt auch für seine Akzeptanz. Wie es um sie stehen könnte, lässt sich aufgrund einer Fallstudie der ETH Zürich jedoch erahnen. Diese hat gezeigt: KonsumentInnen schätzen Brot mit Nanopartikeln ähnlich ein wie Brot mit gentechnisch veränderten Zusatzstoffen.