Auslieferungshaft: Nichts gelernt

Nr. 24 –

Seit dem 27. Mai sitzt Dursun Güner im deutschen Lörrach in Auslieferungshaft. Er wurde unmittelbar an der Grenze festgenommen, als er zusammen mit seiner Frau auf dem Weg zum Einkaufen im Nachbarland war. Grund dafür war ein internationaler Haftbefehl, den die türkische Polizei via Interpol verbreitet hatte. Darin beschuldigt sie Güner, zwischen 1979 und 1981 an drei Morden beteiligt gewesen zu sein. Wenn Deutschland ihn ausliefert, drohen ihm in der Türkei dreissig Jahre Haft. «Bisher haben wir nur die sehr dünnen Vorwürfe aus dem internationalen Haftbefehl», sagt der Karlsruher Oberstaatsanwalt Martin Nothhelfer. Bis Anfang Juli haben die türkischen Behörden Zeit für ein förmliches Auslieferungsersuchen.

Dursun Güner ist seit Oktober 2004 in der Schweiz als Flüchtling anerkannt. Seit 1982 hatte er wegen seiner Tätigkeit in der Kommunistischen Arbeiterpartei (TKEP) mit seiner Familie in der Türkei im Untergrund gelebt. 1998 floh er zunächst nach Italien, wo er wegen derselben Vorwürfe sechs Monate in Auslieferungshaft sass. Die italienische Justiz wies die Vorwürfe als haltlos zurück. Das Land erkannte Güner zum ersten Mal als Flüchtling an. 2003 zog er zu Frau und Tochter, die damals bereits drei Jahre im schweizerischen Asyl lebten.

Über den türkischen Haftbefehl gegen Güner waren die schweizerischen Behörden bereits informiert, als der Mann in der Schweiz Asyl erhielt. Der Haftbefehl stammt aus dem Jahre 1992. Dominique Boillat vom Bundesamt für Migration will nicht ausschliessen, dass gerade dieses Ersuchen auch einer der Gründe war, weswegen die Schweiz Güner als Flüchtling anerkannte. «Einige Staaten versuchen ja mit solchen Haftbefehlen, ihre Opponenten zu finden.» Genaueres ergäbe sich aus dem Asyldossier, aber das unterliege dem Datenschutz. Das für Fragen der Rechtshilfe und Auslieferung zuständige Bundesamt für Justiz (BJ) teilte den türkischen Behörden im Februar 2004 mit, dass sich Güner in der Schweiz aufhalte. Er könne hier aber nicht verhaftet werden, weil die ihm vorgeworfenen Straftaten nach schweizerischem Recht verjährt seien.

Laut BJ-Sprecher Folco Galli sei Güner «wie alle anerkannten Flüchtlinge» darauf hingewiesen worden, dass der Flüchtlingsstatus ihn nur in der Schweiz schütze und «dass unser Land nur über sehr beschränkte Einwirkungsmöglichkeiten verfügt, wenn er im Ausland im Rahmen eines Straf- oder Auslieferungsverfahrens behördlichen Massnahmen ausgesetzt sei». Diese Information erfolgte «in generell abstrakter Form». Eine konkrete Warnung vor dem weiter bestehenden Haftbefehl gab es nicht. Die gibt es laut Galli nur, wenn sich ein Haftbefehl direkt auf politisches Verhalten, zum Beispiel auf das «Verteilen von Propagandamaterial» beziehe.

Dass die Interpol-Statuten eine Verfolgung aus politischen Gründen klar verbieten, wissen auch die türkischen Behörden. Sie kleiden ihre politischen Verfolgungsmassnahmen regelmässig in Haftbefehle wegen Mordes. Güner ist keineswegs der erste in der Schweiz anerkannte Flüchtling, den das BJ in die Falle eines vorgeschobenen Haftbefehls laufen liess. Im Herbst 2000 wurde Naci Öztürk auf einer Urlaubsreise in Slowenien verhaftet. Drei Jahre später ereilte Hüsseyin Sevinc dasselbe Schicksal in Deutschland. Beide sassen mehrere Monate in Auslieferungshaft, bevor die zuständigen Gerichte die türkischen Auslieferungsersuchen zurückwiesen. In beiden Fällen hatte das BJ die Betroffenen nicht gewarnt: Der Interpol-Datenaustausch sei grundsätzlich vertraulich.

Am 8. Dezember 2003, zwei Tage vor ihrer Abwahl, kündigte die damalige Bundesrätin Ruth Metzler vor dem Nationalrat Konsequenzen an. Sie habe das BJ «angewiesen, unverzüglich Möglichkeiten zur Anpassung seiner Praxis aufzuzeigen». Auf mehr als die «generell abstrakten» Hinweise konnte sich die damals eingesetzte Arbeitsgruppe offensichtlich nicht einigen. Im konkreten Fall zählt die Vertraulichkeit zwischen staatlichen Repressionsorganen nach wie vor mehr als die Sicherheit von Flüchtlingen.