Kanada: Solidarität der Clans

Nr. 26 –

Der Konflikt um alte Landansprüche verschärft sich. Die indianischen Völker kündigen Eisenbahnblockaden und Demonstrationen an.

In diesen Tagen wird der Eisenbahnverkehr von und nach den USA in der kanadischen Provinz Manitoba für 24 Stunden unterbrochen werden. So will es jedenfalls eine Resolution der Delegierten von 64 First Nations, wie die indianischen Völker in Kanada heute genannt werden. Die Assembly of Manitoba Chiefs setzt damit Kanadas Regierung unter Druck, einen vernünftigen Zeitplan für die Rückgabe des von ihnen geforderten Landes zu erarbeiten. Zudem handelt es sich um einen Akt der Solidarität mit dem Kampf um Landrechte von IrokesInnen in der Nachbarprovinz Ontario.

Diese folgen seit dem 28. Februar bei der Stadt Caledonia einem Aufruf der Clanmütter und halten ein Baugelände besetzt, das sie als ihr Land beanspruchen. Am 20. April scheiterte ein Räumungsversuch der Provinzpolizei am gewaltfreien Widerstand der IndianerInnen. Schon damals fanden in ganz Kanada Solidaritätsaktionen statt: mit Strassen-, Brücken- und Eisenbahnblockaden der IrokesInnennation der Mohawk und ihrer UnterstützerInnen in Vancouver, bei Toronto und Montreal. Danach ernannte die Provinz Ontario ihren früheren Premier David Peterson zum Verhandlungsführer. Die Clanmütter wiederum baten Anfang Mai die Vereinten Nationen um Hilfe.

Rechte ignoriert

Die Wurzeln des Konflikts reichen tief in die amerikanische Kolonialgeschichte. Der IrokesInnenbund vereinte im 18. Jahrhundert die sechs Nationen (Six Nations) der Mohawk, Oneida, Onondaga, Cayuga, Seneca und Tuscarora. Gemeinsam waren sie im French and Indian War (1754-1763) Englands Alliierte. Im US-amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zerriss dann aber das Band der IrokesInnen, und nachdem die USA ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, garantierte das englische Königreich seinen nach Kanada geflüchteten Verbündeten im Jahr 1784 als Kompensation für Landverluste ein etwa 380 000 Hektar grosses Territorium an beiden Ufern des Grand River. Dennoch wurde der grösste Teil des Gebietes von SiedlerInnen in Besitz genommen. Heute besitzen die Grand-River-IrokesInnen nur noch fünf Prozent ihres Landes. Strittig ist, ob das Land damals rechtmässig verkauft oder nur verpachtet wurde.

Einen ersten symbolischen Erfolg haben die LandbesetzerInnen bei Caledonia bereits errungen. Der regierungsfreundliche, gewählte Rat der sechs Nationen verzichtete nämlich im April zugunsten des bislang im «Untergrund» agierenden traditionellen Häuptlingsrates der Clanmütter auf die Verhandlungsführung. Der Rat verteilt zwar heute die Subventionen Kanadas an die Reservatsbevölkerung. Ihr Sprachrohr ist er aber nie geworden.

Armee gegen Indigene

Falls die kanadische Regierung - wie zuletzt 1990 - eine militärische Lösung ins Auge fasst, muss sie sich auf massiven Widerstand im ganzen Land gefasst machen. Die Proteste könnten zeigen, wie verwundbar Kanadas Wirtschaft im Falle eines IndianerInnenaufstands auf nationaler Ebene wäre. Und die Häuptlinge der Provinz Britisch Kolumbiens kündigten Anfang Juni an, Rodolpho Stavenhagen, den Berichterstatter der Vereinten Nationen für die Rechte indigener Völker, einschalten zu wollen. Am gleichen Tag zeigten sich hundert IndianerInnenführer auf einer Pressekonferenz mit den Forderungen der IrokesInnen solidarisch: «Wir werden uns gegenseitig unterstützen und uns gegenseitig zu Hilfe kommen», sagte ein Sprecher.

Für den Nationalfeiertag am 1. Juli haben die sechs Nationen zu einer Anti-Canada-Day-Demonstration in Vancouver aufgerufen. Und in der noch bis zum 30. Juni dauernden konstituierenden Sitzung des neu gegründeten Uno-Menschenrechtsrat wird über eine Konvention für grundlegende Kollektivrechte der indigenen Völker beratschlagt. Ausgerechnet am Einspruch der kanadischen Regierung droht diese seit Jahren vorbereitete Erklärung nun zu scheitern. Völkerrechtlich garantierte Indigenenrechte würden den staatlichen Zugriff auf Bodenschätze und die militärische Nutzung von Territorien erschweren sowie gleichzeitig die Rückgabeforderungen von Land und Autonomiebestrebungen von UreinwohnerInnen erleichtern. Aus diesem Grund haben Staaten wie Kanada, Australien, Neuseeland und die USA kein Interesse an einer Verabschiedung der Erklärung.


Thomas Wagner ist Autor des Buches «Irokesen und Demokratie», erschienen im LIT-Verlag, Münster 2004.