Aus WOZ Nr. 27/1989 (7. Juli 1989): Wo Männer sich auskennen

Nr. 27 –

Die feministische Kritik an einer männerzentrierten Wissenschaft lassen sich mittlerweile einige Männer gerne gefallen. Sie unterstützen sie lebhaft und nennen sich emanzipiert. Den Schritt aber zur selbstkritischen Hinterfragung der historischen und gesellschaftlichen Bedingungen, die den Mann zum Manne machen, wagen die wenigsten. Die Soziologie der Männer, das Männerbild in der Geschichte scheint tabu zu sein. Dieser Beitrag möchte eine Diskussion über die Konstruktion von Männlichkeit in der Gesellschaft anregen.

Männerforschung existiert in der Schweiz bislang nicht. Doch vielleicht wird sie, wie im angelsächsischen Sprachraum und in Nordeuropa, auch hierzulande gelegentlich Fuss fassen: Vorboten sind etwa die Tagung einer Arbeitsgruppe «Männer in der Geschlechterforschung» am letztjährigen SoziologInnenkongress in Zürich oder der Entschluss des Zürcher Geschichtsladens, die Januar-89-Nummer seines Heftes «Nostalgia» dem Thema «Männergeschichte» zu widmen.

Ausgehend von der etwas fortgeschritteneren Diskussion im Ausland möchte ich darstellen, was Männerforschung ist und will. Konkrete Fragestellungen werde ich am Beispiel der Historie entwickeln.

Begriffe wie Männerforschung oder Männergeschichte sind zunächst irritierend, da sie, in Analogie zu Frauenforschung und Frauengeschichte gebildet, eine falsche Parallelität suggerieren könnten. Männer müssen nicht eine verdrängte Geschichte wiedergewinnen, sie brauchen nicht um Teilhabe an Wissenschaftsbetrieb und -inhalten zu ringen: Sie sind als Männer nicht unterdrückt. Mangels besserer Begriffe möchte ich jedoch vorläufig beim Ausdruck «Männergeschichte» bleiben, unter Betonung der folgenden Teilanalogien zu Frauenstudien:

1. Männerforschung verfolgt eine antisexistische Zielsetzung.

2. Sie untersucht Männer und Männlichkeit als soziale beziehungsweise historische Kategorie.

3. Männerforschung wird, hauptsächlich von Männern, unter Einbezug ihrer spezifischen Erfahrung, betrieben.

Die Achillesferse bei diesem Vorhaben ist nicht, dass Männer und Männlichkeit kritisch untersucht werden sollen (feministische Forschung tut dies schon lange!), sondern die Tatsache, dass nun ausgerechnet Männer sich darum zu kümmern gedenken. Können und sollen gerade diese Nutzniesser eines Herrschaftsverhältnisses zu den Kritikern desselben avancieren? Werden diese Männer mit Frauen um Forschungsgelder konkurrieren? Werden sie gar die Wissenschaft dafür benutzen, antifeministische Positionen zu erarbeiten? Profeministisch eingestellte Männer werden zudem einwenden, Männer sollten Gleichberechtigung zuerst im Privaten und Persönlichen leben, anstatt in typisch männlicher Manier sich öffentlich wichtig zu machen und sich in abstrakte Diskussionen zu versteigen.

All diese Befürchtungen und Einwände sind absolut berechtigt. Männer, die sich an der Geschlechterforschung beteiligen möchten, befinden sich in einer heiklen Position. Es ist deshalb nötig, dass sie Methode und Gegenstand ihrer Forschung sehr genau überdenken und offen legen.

Richtlinien für Männerforschung

Jeff Hearn (England) hat in seinem für den SoziologInnentag geschriebenen Papier «The Critique of Men» überzeugende Grundsätze für eine antisexistische Männerforschung formuliert. Er fordert:

- Männer dürfen feministische Theorie nicht zu vereinnahmen suchen. Sie sollen die Autonomie der Frauenforschung respektieren, ohne eine entsprechende Autonomie für Männerstudien anzustreben.

- Die kritische Auseinandersetzung mit Männern muss grundsätzlich allen, Frauen wie Männern, offen stehen. Kritik von Frauen ist zu begrüssen.

- Die Hauptaufgabe der Männerforschung besteht in der Entwicklung einer Kritik männlicher Praxis unter Zuhilfenahme feministischer Theorie, nicht in der Entwicklung einer Feminismuskritik. Das kritische Ziel (target) sind die Männer und ihr Diskurs, nicht Frauen oder Feminismus.

- Alle feministischen Ansätze - gerade auch die besonders männerkritischen - sollen zur Kenntnis genommen werden.

- Die Forschungspraxis, das heisst die Institutionen, Spielregeln und Umgangsformen in Lehre und Forschung sind in die Kritik einzubeziehen.

- Männerforscher müssen ihre Studien auf ihre persönliche Erfahrung gründen und das Privatleben entsprechend gestalten.

Dies kann nicht überbetont werden: Es geht nicht um die Entwicklung einer eigenen Haltung oder gar einer Gegenposition der Männer zum Feminismus, sondern darum, Orte zu finden, wo sich Männer in der Wissenschaft für die antisexistische Veränderung der Gesellschaft einsetzen können. Und: Wenn Männerforschung die männliche Dominanz im Geschlechterverhältnis aus dem Blick verliert, trägt sie zu deren Befestigung bei, anstatt sie abzubauen.

Die vorgebrachten Eingrenzungen und Einwände gegen Männerforschung mögen genügen. Für Männer, die die Gleichstellung der Geschlechter ernst nehmen und sich für eine nichtsexistische Gesellschaft engagieren wollen - ich gehe vom Vorhandensein solcher Männer aus -, gibt es gute Gründe für die Thematisierung von Männern und Männlichkeit. Dies zu veranschaulichen versuche ich im Folgenden anhand möglicher Forschungen zur Männergeschichte.

Eine Veränderung der Geschlechterbeziehungen setzt die Veränderung der Männer voraus. In einer gleichberechtigten Gesellschaft sollten Männer zum Beispiel willens und fähig sein, sich mit Frauen das Aufziehen der Kinder zu teilen. Damit dies möglich wird, muss die Arbeitswelt umgeformt werden, denn sie ist nach den Bedürfnissen von Männern mit traditioneller Lebensführung strukturiert. Notwendig ist aber auch ein neues Verhältnis des einzelnen Mannes zu Kindern, eine neue Vaterrolle.

Vorväter einmal anders

Vor diesem Hintergrund stellt sich für den Historiker die nahe liegende Aufgabe, die historischen Dimensionen der Vaterrolle aufzuarbeiten. Zwischen den abwesenden Vätern der Gegenwart, ihren autoritären Vorgängern bis zu den Handwerkern und Bauern der vorindustriellen Zeit, welche den Tag noch nicht getrennt von der Familie zubrachten, eröffnet die Geschichte ein breites Normen- und Erfahrungsspektrum. Aktuelle Diskussionen um Vaterschaft würden von solchem Wissen profitieren: Unter welchen sozialökonomischen Bedingungen haben sich die unterschiedlichen Vaterrollen entwickelt? Was bewirkte die An- beziehungsweise Abwesenheit der Väter für die Geschlechteridentität ihrer Kinder und via diese für die Herausbildung bestimmter männlicher und weiblicher Psychologien?

Die ersten «neuen Väter» erleben, dass die Kinderbetreuung von ihnen eine tief greifende Persönlichkeitsentwicklung verlangt. Traditionelle Männlichkeit entpuppt sich als mehr denn ein ablegbares Bündel altmodischer Einstellungen. Um dieser Erfahrung Rechnung zu tragen, muss Geschlechtergeschichte auch die Gesellschaftlichkeit von Persönlichkeitsstruktur thematisieren.

Männlichkeit endlich historisch begreifen

Wenn Männer sich verändern sollen, dann müssen wir uns auch ganz grundsätzlich damit befassen, was «Männlichkeit» konstituiert: Wie und an welchen gesellschaftlichen Orten wird sie produziert und reproduziert, unter welchen Bedingungen wandelt sie sich? Wie sind wir zu den Männern geworden, die wir sind? Was unterscheidet unsere Verhaltensweisen, unsere psychische Struktur, unsern Körper, unsere Sexualität von denen unserer Väter und Grossväter?

Ein nur einigermassen für solche Fragen geschärfter Blick in die Vergangenheit wird zeigen, wie sehr Männerbilder und männliche Erfahrung allein in unserem Jahrhundert sich verändert haben. Angesichts der Vielzahl vorliegender Arbeiten über Frauenbilder und über die gesellschaftliche Konstruktion von Weiblichkeit muss es geradezu erstaunen, dass «der Mann» in der Geschichtsschreibung nach wie vor als historische Konstante erscheint. Als ob Männer nur «das Andere» - die Weiblichkeit - nach ihren Bedürfnissen geformt und stilisiert hätten, als ob Männlichkeit nicht ebenso im Laufe der Geschichte produziert, umgestaltet, mit einer Fülle von Inhalten und Emotionen beladen und neubeladen worden wäre.

Als konkretes Beispiel für diesen Prozess möchte ich den Männlichkeitsdiskurs in schweizerischer Soldatenliteratur des Zweiten Weltkriegs anführen. Zahlreiche Schriften dieser Zeit - wie «Vom Zivilisten zum Soldaten», «Die Armee als Vorbild», «Das Buch vom Schweizer Soldaten» - bezwecken die Heranbildung «soldatischer Haltung». Da ist zu beobachten, wie Teile des im (damaligen) Begriff «Männlichkeit» schlummernden emotionalen Gehalts (Kraft, Stolz) geweckt und dem Begriff «Soldat» zugeführt werden. Verbreitete Maximen vom Tenor: «Das Wesen des Mannes ist Kampf» - «In der Härte, die den Soldaten sein eigenes Ich im Dienste einer grossen Idee überwinden lässt, zeigt sich seine höchste Männlichkeit» - «Der echte Soldatengeist (…) ist nichts als die höchste Potenz von Männlichkeit» mögen illustrieren, mit welcher Penetranz dieser Männlichkeitsdiskurs auftritt. Soldatentum und Männlichkeit werden gegenseitig besetzt und in heroische Höhen gehoben. In derselben Literatur erfährt die Figur des Vaters über eindringliche Bilder von Gottvater, Vorvätern, Vaterland und General eine ideale Verklärung. Von hier aus wäre weiterzufragen nach der Funktion und den gesamtgesellschaftlichen Folgen eines derartigen Männlichkeits- und Vaterkultes.

Männerwelten, Männerkulturen, Männerbeziehungen

Als letzter Ausgangspunkt für Männergeschichte möchte ich die Männerbeziehungen nennen. Ich denke dabei an alle Beziehungsformen unter Männern: an Männerkulturen wie die Arbeitswelt, Politik, Vereine, Militär; an Männerfreundschaft, Kameradschaft, Männerliebe; an Vater-Sohn- und Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnisse. Bei diesem Themenbereich können sich Männer ihre spezifische Erfahrung in der Männerwelt zunutze machen. Es handelt sich überdies um ein essenzielles Forschungsfeld, weil die innergeschlechtlichen, also Mann-Mann- und Frau-Frau-Beziehungen als ebenso konstitutiv für das Geschlechtersystem zu betrachten sind wie das zwischengeschlechtliche Verhältnis: Alle drei sind interdependent, keines kann sich unabhängig von den anderen verändern.

Männerbeziehungen - anders als Frauenbeziehungen - charakterisieren in unserer Gesellschaft eine eigentümliche Ambivalenz zwischen Anerkennung/Liebe und Konkurrenz/Abwehr. Körperlicher und emotioneller Nähe sind rigide Grenzen gesetzt (Schwulenpanik), die Beziehungen sind oft stark formalisiert (Hierarchien) oder durch Konkurrenzverhalten geprägt. Auf der andern Seite bringen Männer ihren Geschlechtsgenossen mehr Achtung entgegen als den Frauen, sie nehmen Männer ernster. Das Studium der historischen Formen solcher Beziehungsmuster könnte zeigen, welchen Beitrag sie zur Stabilisierung von Männerherrschaft leisten. Als Beispiel einer solchen Untersuchung möge Cynthia Cockburns «Brother - Male Dominance and Technological Change» dienen. Sie zeigt, wie die Schriftsetzer Englands mittels einer hypermännlichen «Kultur» am Arbeitsplatz trotz massiven Technologiewandels Frauen aus dem Gewerbe herauszuhalten vermochten und zugleich junge oder ungelernte Arbeiter an den Rand drängten.

Das eine tun und das andere nicht lassen

Oder: Wer A sagt, muss auch B sagen. Der feinfühlige Leser, vielleicht ein Historikerkollege, ahnt, dass es mit der kameradschaftlich-unverbindlichen Information über Männerforschung nun sein Ende hat und ihm beim Zuendelesen doch noch ein schlechtes Gewissen droht. Dabei rechne ich es ihm tatsächlich hoch an, dass er nebst der Forschungsarbeit auch schon mal kocht oder mit dem Staubsauger durch die Wohnung saust; sich gegenüber Kleinkindern stets besonders herzlich zeigt und alle geforderte Beziehungsarbeit spontan leistet; sich sogar persönlich einbringt und mit seinen Gefühlen in regem Kontakt steht. Immerhin sprang er einst zweiwöchentlich zu seiner Männergruppe. Die Gleichberechtigung leben ist nicht ohne.

Bloss: Weshalb das eine tun und die Forschungstätigkeit davon ausnehmen? Weshalb gelingt den meisten Männern diese Abtrennung des Privaten so mühelos? Von meinen Historikerkollegen jedenfalls stolperte bei seinen Wanderungen durch vergangene Zeiten bisher keiner über die Männerfrage. Es ist auch (fast) keinem eingefallen, sich an den bisher fünf Frauengeschichtstagungen über feministische Geschichte zu informieren, obwohl jeder deren Wichtigkeit zu betonen wüsste.

Ich habe mir redlich Mühe gegeben, Fragen an und über Männer zu rechtfertigen. Mich würde nun interessieren, wie diese Historikerkollegen (und Soziologen und übrige Gesellschaftswissenschaftler und Journalisten und …) es schaffen, keine Männerfragen zu stellen. Ich meine, es ist an der Zeit, dass all diese stillen Befürworter der Geschlechtergleichheit endlich ernsthaft nachzudenken beginnen, wie sie sich aktiv und über ihre vier Wohnungswände hinaus mit dem Männerproblem auseinander setzen wollen.