Durch den Monat mit Thomas Ragettli (Teil 1): In einer Tennishalle?

Nr. 31 –

WOZ: Wie haben Sie das zustande gebracht, dass das Parlament nach Flims zieht?
Thomas Ragettli: Das ist nicht mein Verdienst, die Session kommt umständehalber nach Flims und nicht wegen der Bemühungen der Gemeinde. Das Bundeshaus wird renoviert, deshalb kann die Herbstsession nicht darin stattfinden. Zuvor tagten die Parlamentarier schon in Genf und im Tessin, daher lag es auf der Hand, dass die nächste auswärtige Session im romanischen Sprachraum stattfinden sollte. Man stellte dann fest, dass im Engadin der Anlass auf zwei Gemeinden hätte aufgeteilt werden müssen, das ist ungünstig. Und im Bündner Oberland fehlen auch die notwendigen Ressourcen, deshalb ist man auf Flims als Standortgemeinde gekommen.

Warum nicht in Davos?
Das wäre die andere Möglichkeit in Graubünden gewesen, aber Davos ist natürlich nicht im romanischen Sprachraum.

Was bringt Ihnen diese Veranstaltung?
Ich habe diese Frage eigentlich nicht gerne, darauf kann man keine vernünftige Antwort geben. Ich schaue das nicht materialistisch an. Es ist erstens eine Ehre, dass die Parlamentarier in das rätoromanische Sprachgebiet kommen. Und zweitens eine Chance zu zeigen, dass wir als renommierter Kurort fähig sind, einen solchen Grossanlass zu managen.

Will sich Flims künftig als Kongressort profilieren?
Wir sind da schon gut im Rennen, nur das Ausmass der Veranstaltung ist neu: die Grösse und auch der zeitliche Rahmen. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, dann berichten die Medien drei Wochen lang täglich in einem positiven Kontext über Flims. Dank dieser Berichterstattung wird dann auch Flims von der «Sessiun» profitieren.

Wie viele Leute kommen denn?
Die Parlamentarier und ihre Begleiter werden rund 500 Leute ausmachen. Zudem rechnen wir mit 1000 bis 1500 Besucherinnen und Besuchern pro Tag.

Was gibt es nun für Flims zu tun?
Die Organisation ist eine umfassende Angelegenheit, die Parlamentarier stellen hohe Ansprüche an die Infrastruktur. Die organisatorische Aufgabe ist wesentlich grösser, als ich mir vorgestellt habe. Wir müssen die Ressourcen, die wir glücklicherweise schon haben, den speziellen Bedürfnissen anpassen. Die Tennishalle ist als Sitzungssaal für den Nationalrat vorgesehen, hier braucht es noch bauliche Anpassungen, dass man da sitzen kann, reicht ja noch nicht.

Der Nationalratssaal ist eine Tennishalle?
Ja, das Park Hotel Waldhaus verfügt über eine Tennishalle, die für den Nationalrat genutzt wird. Die Wandelhalle, die wie eine Scheiterbeige aussieht, wurde vom Bündner Architekten Gion A. Caminada gebaut. Der Ständerat wird im Jugendstilsaal des Park-Hotels tagen.

Was ist denn während der Session Ihr Job?
Ich nehme an, dass nach meiner kurzen Begrüssungsrede an den Eröffnungsfeierlichkeiten niemand mehr nach dem Gemeindepräsidenten von Flims rufen wird.

Sind Sie auch froh darüber?
Ach, wenn ich etwas zum Gelingen beitragen kann, dann mache ich das gerne. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass ich in dieser Zeit nicht gerade in die Ferien nach Übersee fliegen kann, und die Jagd muss ich natürlich auch zurückstecken.

Die Session heisst diesen Herbst «Sessiun». Sprechen Sie auch Romanisch?
Ja, aber schlecht. Hier in Flims haben wir noch rund sieben Prozent, die Rätoromanisch als Muttersprache angeben. Seit fünfzig Jahren ist Deutsch die Amtssprache.

Aber die Session wollte ja in den romanischen Sprachraum – reichen da sieben Prozent aus?
Wir sind im traditionell romanischen Gebiet, und die Flimser Kultur hat romanische Wurzeln. Dazu steht die Bevölkerung auch, obwohl sie mehrheitlich Deutsch spricht.

Warum spricht man so viel Deutsch?
Das Romanische ist seit Jahrzehnten rückläufig. Das Warum kann Ihnen die Lia Rumantscha besser erklären. Flims lebt seit 130 Jahren vom Tourismus, davor war es ein Bauerndorf. Viele Einheimische waren dann im Tourismus beschäftigt, und je grösser der Kurort wurde, desto mehr musste man qualifizierte Fachkräfte von aussen beiziehen, und die sprachen mit ihren Familien in der Regel Deutsch.

Aber Ihre eigene Familie ist ja nicht zugezogen?
Nein, ich bin Bürger von Flims, bin aber im Unterland aufgewachsen und habe in Basel studiert. In der Familie wurde das Romanisch gepflegt: Die Kinder lernten schon im Kindergarten Romanisch, und später besuchten sie in der Kantonsschule Chur den Romanischunterricht.

Thomas Ragettli, 59, ist promovierter Chemiker und ehemaliger Berufsoffizier. Er sitzt für die FDP im Grossen Rat Graubünden und ist seit drei Jahren Flimser Gemeindepräsident. In seinem Dorf wird ab dem 18. September [2006] die Herbstsession der Eidgenössischen Räte stattfinden, die «Sessiun».