Peng, peng!: Kinder, gebt die Waffen ab!

Nr. 38 –

Wasserpistolen, Pump-Action, Sackmesser, böse Worte - und natürlich brutale Computerspiele: Das Kinderzimmer von heute ist gut ausgerüstet. Jetzt aber werden die Waffen eingesammelt. Unterwegs mit dem Künstlerduo Interpixel

Er sitzt da, hochkonzentriert und bewaffnet. Vor ihm ein Mensch auf den Knien, Hände gefaltet, um sein Leben flehend. Der Waffenträger fixiert ihn, ungerührt. Trinkt einen Schluck Sirup. Dann drückt er ab. Der Flehende sinkt zu Boden. Geschafft. Eine neue gefährliche Ebene wartet auf ihn, den Spieler. Er ist ein Junge von irgendwo. Zwölf oder vierzehn Jahre alt. Die Eltern sitzen grad im Wohnzimmer und hören, was die «Tagesschau» aus dem Irak zu berichten hat. Der Bub führt seinen eigenen Krieg, schiesst präzise und oft auf Terroristen oder Monster, in «Duke Nukem» auf nackte Prostituierte, ein andermal zieht er dem Nächstbesten den Plastiksack über den Kopf («Men Hunter»). In der aktuellen Ausgabe des Spielemagazins «Edge» (Herausgeber Jürg Marquard) wird das Onlinespiel «The Ship» beworben. Da steht: «Fangen wir mit dem Vergnügen an: Im Zentrum steht die elektronische Version eines Killers. Sie spielen einen von bis zu sechzehn Gästen an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, die von einem mysteriösen Mr. X eingeladen wurden. Der setzt eine Belohnung für Mord aus - töten Sie den Gast, nach dem er verlangt ...»

Im Alter von achtzehn Jahren hat ein typisches nordamerikanisches Kind mindestens 200000 Gewaltdarstellungen und 40 000 gespielte Morde gesehen. «Besonders ins Gewicht fallen die Computerspiele», sagen Eva-Maria Würth und Philippe Sablonier aus Zürich. Die beiden sind Interpixel. Sie arbeiten seit 2000 künstlerisch zusammen - prozessorientiert, das Publikum mit einbeziehend. Was sie produzieren, nennt sich «soziale Kommunikation» oder auch «Social Art». Mit «Mega Buster» lancierten sie am 1. September ihre 24. Intervention: eine Entwaffnungsaktion mit dem Ziel, die Kinderzimmer zu befrieden. Kinder und Erwachsene sind aufgerufen, ihre Waffen abzugeben - egal ob Airguns, Computerspiele mit gewalttätigen Inhalten, Messer oder Giftpfeile, Steinschleudern, Panzer, Splitterbomben, Taser und so weiter. Derzeit touren sie durch die Schweiz.

Level eins - die Schule

Philippe Sablonier und Eva-Maria Würth tragen Schwarz. Philippe dazu eine grellgelbe Baseballmütze. In der Hand hält er einen Koffer, darin versteckt eine Schusswaffe des Typs Smith & Wesson, Modell 6906. Während Eva-Maria in Herisau vor einer vierten Primarklasse steht, sitzt er vor Zehnjährigen im St. Galler Schulhaus Grossacker auf dem Fussboden. 21 Kinder, die Mehrheit Buben. Philippe redet mit ihnen über Kunst und erklärt die Entwaffnungsszene auf dem historischen Bourbaki-Bild. 42 Ohren hören gebannt zu.

Die erste Hürde ist geschafft, jetzt geht er in die Offensive, fragt: «Was sind Waffen?» Hände schiessen in die Luft. «Zum Kämpfen, Werkzeug», sagt einer. Der Nächste «Panzer, zum Fahren». Zappelnde Finger, Schlag auf Schlag die folgenden Antworten: «Messer», «Baseballschläger», «um etwas in die zu Luft sprengen», «jemanden umbringen», «kaputt machen», «Atombombe». Philippe: «Was gibt es für unsichtbare Waffen?» Ein Mädchen: «Gas, Minen.» Der Besucher: «Genau. Und was für Waffen braucht ihr?» Wieder ballert es Antworten: «Wasserpistole», «Blasrohr», «die Faust», «ich male Mannsgöggel und ziele dann drauf», «Kügelipistole, mit der kann man auch auf Menschen schiessen», «eine Schnur für um den Hals» ... «Und was für Waffen, die nicht als Waffen gedacht sind?», fragt der Künstler nach. Als Antworten kriegt er: «Schraubenschlüssel», «Hammer», «Gehirn», «Worte». Als er fragt, wer Erfahrung mit harmlosen Computerspielen hat, fragen einige verwirrt: «Harmlos?» Er präzisiert: «Wer hat Erfahrung mit Schiessspielen?» Begeisterung. Zehn Jungen strecken auf. Es wird lauter im hellen Klassenzimmer, einer vermag die andern zu übertönen: «Man kann zwischen verschiedenen Waffen wählen ... Blut spritzt ... Köpfe abschneiden und ...», der Rest geht in Stimmengewirr und Lachen unter. Sablonier fragt, was daran lustig sei, ein Mädchen antwortet: «Mein Bruder und ich laden so krasse Spiele runter. Ein paar Leute sehen aus wie Behinderte, man muss sie angreifen, von hinten.» Jetzt gluckst es wild im Schulzimmer, «ja, das ist lustig», gigelt das Mädchen, «die haben Angst». Philippe überlegt einen kurzen Moment, dann kommt er auf die Worte als Waffe zurück und schildert, wie Konflikte in der Erwachsenenwelt in der Regel geklärt werden. Auch mit Worten. Dann zaubert er die Smith & Wesson hervor. Er lässt sie die Runde machen, anfassen, rätseln, ob sie echt ist oder ein Imitat. Die Kinder sind unsicher. Echt sieht sie aus - und schwer. Philippe erzählt, was sich nur wenige Tage zuvor laut einem Sicherheitsbeamten in Zürich zugetragen hat: «Vier Jugendliche spielten mit Softairguns, die von echten Schusswaffen nicht zu unterscheiden sind, in einem leer stehenden Haus. Ein Nachbar alarmierte die Polizei, worauf Scharfschützen das Gebäude umstellten. Drei der Knaben legten ihre Guns sofort nieder. Der Vierte verschanzte sich im Gebäude und zielte auf die Polizei. Beinahe wäre auf ihn geschossen worden, wenn die Sicherheitsleute nicht den anderen drei Jungs geglaubt hätten, dass auch der Vierte nur eine Spielzeugpistole in den Händen hatte.» Die Diskussion darüber, was echt und was Spiel ist, hat an Boden gewonnen. Ein guter Moment für die Einladung zur Abrüstung. Und ausserdem hat die Glocke bereits die Pause angekündigt. Nicht, dass das die Kinder interessieren würde, aber mit dem Abrüsten sind sie dennoch etwas zögerlich. Die Tatsache, dass sie mit der Waffenabgabe an einem Kunstwerk mitbauen könnten und dass andere Kinder im Schulhaus bereits sackweise Plastikpumpguns, Wasserpistolen, alte Computerspiele und Messer ausgehändigt haben, lässt sie beteuern, dass sie ihre Zimmer durchforsten werden.

Eva-Maria Würth und Philippe Sablonier wollen nicht ein generelles Verbot für Spielzeugwaffen. Aber eine kurze Feuerpause, auch in den Köpfen der Kinder und Erwachsenen. Sie stellen Fragen wie: «Weshalb soll im Kinderzimmer gut sein, was wir sonst ablehnen? Wir leben in einer Demokratie, in der vom Dialog ausgegangen wird und nicht von der Waffengewalt.»

«Mega Buster» ist ein dreiteiliges Projekt (siehe Kasten) - und wie alles, was die beiden angehen, intensiv recherchiert, formal spielerisch umgesetzt und inhaltlich undogmatisch. Ausgerüstet mit Erkenntnissen und Argumenten, wagen sie sich gleich zu Beginn ihrer dreiwöchigen Tour durch die Schweiz in das Heimterritorium eines Waffensammlers.

Level zwei - der Erwachsene

Maik Bischoff, Sammler von bunten Spielzeugwaffen und selbst Künstler, lebt in einem Untergeschoss in Zürich Wollishofen. Seine grossflächige Wohnung ist mit rotem Filzteppich ausgelegt, Sonnenlicht dringt durch ein Fenster in der Decke. Interpixel kommen mit Anhang, dabei ist nun auch Blogger Roger M. Lévy. Die Mission ist wie immer dieselbe: Waffen gegen Entwaffnungszertifikat. Maik Bischoffs Pistolenarsenal war im Kindesalter bescheiden («Käpslipistole und Knallfix»), wuchs dann aber im Erwachsenenalter, «mit der Faszination für ‹Star Wars› und andere Science-Fiction» zu einer Sammlung, die sogar schon einen Museumsauftritt hatte. Ein paar Jahre ist das jetzt her, aber «hernach ist meine Sammlerleidenschaft lustigerweise erloschen», sagt Maik. Unter den bunten Pistolen, die er nun behutsam aus dem Migrossack zieht und auf dem roten Teppich auslegt, hat es nur solche, die eindeutig Spielzeugwaffen sind. «Diese Grenze habe ich bewusst gezogen», sagt er, «echt aussehende Imitate habe ich nie gesammelt.» Und Computergames? Ein Schuss, der sitzt, Maik jault auf: «Aua, ja! Davon war ich mal schwer abhängig. Dann lange nicht mehr. Und jetzt hat mich wieder so ein blödes Spiel angefixt, ein Onlinegame.» Er sagt, Compigamespielen sei gut zum Abreagieren, ein virtueller Boxsack sozusagen, «wichtig bei diesen Dingen ist einfach, dass man sich der Virtualität bewusst ist. Das darf nicht in die Wirklichkeit übertragen werden, sonst wirds problematisch.» Er würde trotz bewusstem Umgang gerne endgültig vom Spielen loskommen. Interpixel bieten ihm einen Deal an: Jeden Tag nur zwei Stunden gamen. Als Gegenleistung gibts ein Teilentwaffnungszertifikat und einen Eintritt ins Bourbaki-Panorama. Maik schüttelt befremdet den Kopf, «und die Spielzeugwaffen werdet ihr sowieso auf gar keinen Fall kriegen!». Interpixel versuchens noch mit dem Argument, dass er sich durch die Entwaffnung an einem Denkmal beteilige, das dauerhaft installiert werde. Nach einer Stunde und 37 Minuten ist Maik Bischoff entwaffnet, wenigstens teilweise: Dreizehn Exemplare seiner Sammlung überlässt er Interpixel. «Mission teilweise wirksam», bilanzieren Interpixel, «bei den Kindern waren wir erfolgreicher.»

Dass Killergames bei exzessiver Anwendung die Bereitschaft zu realer Gewalt erhöhen können, ist mittlerweile unbestritten. Massaker an Schulen wie das in Erfurt im Mai 2002, dessen Täter selbst ein Fan von Killergames war, provozieren seit den neunziger Jahren immer wieder Debatten über den Zusammenhang von gespielter und real verübter Gewalt. In der heutigen Computerspieltechnik ist man mittlerweile so weit, dass die dargestellten Welten wirklichkeitsgetreu aussehen - die Fiktion, das Spiel, rückt näher an die Realität heran und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder und Jugendliche die medial vermittelte fiktive Welt verinnerlichen. Neurobiologen wie Joachim Bauer von der Universität Freiburg im Breisgau belegen, dass Bilder der Zerstörung und Gewalt als neuronale Muster gespeichert werden und so in das Repertoire unserer Handlungsmuster eingehen. Interpixel: «Gewalthaltige Computerspiele bewirken unmittelbar eine emotionale Desensibilisierung und langfristig eine herabgesetzte Mitleidensfähigkeit sowie eine grössere Wertschätzung von Gewalt. Intensiver Horror- und Gewaltfilmkonsum und Killerspiele bewirken das Lernen von destruktiven Emotionen wie Hass, Neid oder Rache, von Feindbildern und Gewaltbereitschaft.»

Das wissen auch die Armeen zu nutzen: Das US-Militär setzt zur Rekrutierung von Soldaten vermehrt Computerspiele ein. Auf von ihnen organisierten Partys bieten sie den erfolgreichsten Spielerinnen und Spielern Jobs an. Weshalb? Sind Gamer schneller, wendiger, Nichtspielern taktisch überlegen? Das auch, aber der Hintergrund ist ein anderer: Analysen des Militärs haben gezeigt, dass nur jeder fünfte Soldat das Feuer auf den Feind eröffnet, wenn dieser als Person direkt vor ihm erscheint. Spielerinnen und Spieler hingegen weisen eine markant tiefere Hemmschwelle und damit eine höhere Tötungsquote aus. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Seit Jahren arbeiten die Militärs mit Simulatoren, die diese psychologische Hemmschwelle heruntersetzen. Und das mit Erfolg. Seit der Einführung der Simulatoren in der Rekrutenausbildung stieg die Tötungsquote markant an: Im Zweiten Weltkrieg noch betrug sie fünfzehn Prozent. Im Falklandkrieg lag dieser Wert für argentinische Soldaten, welche mit zivilen Zielscheiben geübt hatten, ebenfalls bei rund fünfzehn Prozent, für die britischen Soldaten hingegen nach dem Einsatz von Schulungssimulatoren bei rund achtzig Prozent.

Kriegstreiber und Unterhaltungsindustrie dienen sich gegenseitig. Die US-Armee bildet Soldaten an Konsolen aus, die leichte Modifikationen von populären Computer- oder Videospielen wie «Duck Hunt» oder «Time Crisis» sind. Die Spielehersteller wiederum brüsten sich mit der realitätsgetreuen Umgebung, in der sie ihre Spieler auf Kriegsschauplätzen wie Afghanistan ein Gemetzel anrichten lassen, bei dem die Guten die Soldaten der USA und Grossbritannien sind, die Bösen aufständische Rebellen.

Level drei - das Knabenschiessen

11. September, Albisgüetli Zürich. Im Haus der Schützengesellschaft liegen Jugendliche mit dem Sturmgewehr 90 im Anschlag auf Matten. Auf der Treppe vor dem Eingang stehen Philippe Sablonier und Eva-Maria Würth mit einem Schild, auf dem «Hier Entwaffnungszertifikate - gratis» steht. Sofort baut sich ein grosser, breiter Sicherheitsverantwortlicher vor den beiden auf. Er grummelt: «Das ist nicht gut, was ihr hier macht.» Eva-Maria Würths Erklärung findet kein Gehör. «In der Schweiz haben wir kein Problem mit dem Töten. Schon seit Napoleon wird hier nicht mehr getötet», sagt der Hüne noch, bevor er einem ranghöheren Sicherheitsbeamten Platz macht. Nach zwei weiteren Begegnungen mit jeweils Ranghöheren heisst es: Ihr dürft bleiben. Doch vor dem Haus der Schützengesellschaft will sich keiner entwaffnen lassen. Keiner bis auf den Schiessbudenstandbetreiber, der leuchtend farbige Miniplastikpistolen aus einem rosa Körbchen hervorkramt und dafür selbstverständlich auch ein Zertifikat entgegennehmen darf.

Während ihres Auftritts am Knabenschiessen mussten Interpixel erstmals seit Tourbeginn zu einer anderen Thematik Position beziehen: der des umstrittenen Schweizer Brauchtums, dass Soldaten ihr Armeegewehr zu Hause aufbewahren. Die Debatte, neu entflammt durch die von der Frauenzeitschrift «annabelle» lancierte Petition «Keine Schusswaffen zu Hause», bewegt die Schweizer Gemüter. Das überrascht nicht angesichts von Familiendramen wie demjenigen von Corinne Rey-Bellet, die vergangenen Mai zusammen mit ihrem Bruder von ihrem Ehemann mit der Dienstwaffe erschossen wurde. Überraschend ist einzig, dass jene Waffen und Mordanleitungen, die in den Zimmern und auf den Festplatten der Kleinsten liegen, nicht für mehr gesellschaftliche und vor allem politische Auseinandersetzung sorgen. Oder bringen Interpixel hier etwas ins Rollen? Haben die Leute nur darauf gewartet, dass jemand eine Tür öffnet, die Diskussion versachlicht und zugänglicher macht? Die zahlreichen Anfragen aus Schulen, die das Künstlerteam dieser Tage erreicht, deutet ganz darauf hin. «‹Mega Buster› entwickelt sich zu einem Selbstläufer», keucht Philippe Sablonier nach der zweiten Woche der Befriedungsmission erschöpft in sein Telefon. Bis zum 23. September werden sie nicht ruhen. Erst dann werden die realen und virtuellen Waffen für die Kunst und für die Ewigkeit verschrottet.



«Mega Buster»

Das Projekt «Mega Buster» ist dreiteilig: Neben der aktuellen Tour haben Interpixel im Kunstpanorama Luzern als Analogie zum historischen Bourbaki-Rundbild eine multimediale Schneelandschaft aus Styropor aufgebaut. Sie ist noch bis zum 24. September zu sehen. Am Samstag, 23. September, um 15 Uhr gibt es - als dritten Teil - einen Schauprozess. Dann werden die abgegebenen Waffen mit einem Bulldozer zermalmt und zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Denkmal gegossen. - Am Wochenende vom 23. und 24. September finden im Bourbaki-Panorama Luzern anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums zusätzliche Veranstaltungen statt. Genaues Programm: www.bourbakipanorama.ch

www.interpixel.com / www.bourbakipanorama.ch / www.feuerstern.ch (Maik Bischoff) / www.kultpavillon.ch