Waffen im Haus: Gefährliche Liebe

Nr. 38 –

Die Schweiz behandelt dieser Tage auf höchster politischer Ebene die Liebe. Es geht um die Frage, was uns mehr am Herzen liegt: Waffen oder Menschen. Wahrscheinlich heisst die Antwort Waffen.

Der Nationalrat sagt nächste Woche in Flims mit grosser Wahrscheinlichkeit Ja zum überarbeiteten Waffengesetz, das der Ständerat bereits im Juni verabschiedet hat. Anonymer Erwerb von Schusswaffen, etwa via Internet, wird verboten. Imitationswaffen sind neu dem Gesetz unterstellt. Das ist gut. Aber nicht gut genug. Denn es gibt Lücken, die mit der Überarbeitung bestehen bleiben. Rational begründen lässt sich das nicht. Wie so oft, wenn Liebe im Spiel ist. In diesem Fall die Liebe von Schützenvereinen, JägerInnen, der Armee, der Regierung. So wird am 27. September vermutlich ein Gesetz erlassen, das Freunde der Waffe schützt und Frauen trifft.

Nötig für den Staatserhalt?

Parlament und Bundesrat sehen offenbar in der häuslichen Gewalt eine geringere Bedrohung als im Terrorismus. Der Bundesrat antwortete diese Woche auf eine Motion von SP-Ständerätin Anita Fetz, die lediglich verlangte, dass die Abgabe von Taschenmunition an Dienstpflichtige zur Aufbewahrung zu Hause abzuschaffen sei, mit den Worten: «Nach wie vor bestehen Bedrohungen, welche die Gesellschaft unerwartet treffen könnten. Mit der Abgabe der Taschenmunition wird deshalb auch der Wehrwille der Bürgerinnen und Bürger der Schweiz demonstriert.» Die Abgabe der Taschenmunition, sagte er weiter, «manifestiert und fördert das Vertrauensverhältnis, das zwischen Bürger und Staat besteht und ohne das unser Staatssystem nicht auskommt.»

Die Antwort des Bundesrates zeigt einmal mehr, wie weit entfernt von der Realität die bürgerliche Politelite lebt. Sie zeigt auch, wie gross der Argumentationsnotstand des Bundesrates ist, wenn es um die Vertretung der Interessen von Armee und Waffenlobby geht. Interessen, die sich klar von denen der meisten Frauen unterscheiden. Sie und die Kinder sind es, die unter häuslicher Gewalt am stärksten leiden, weil diese Gewalt in der Regel von Männern ausgeht. Männer, deren «Liebe» ausser Kontrolle geraten ist. Sechzig Prozent aller Morde in der Schweiz finden innerhalb der Familie statt. In diesem Jahr gab es bereits über zehn Familientragödien, die tödlich endeten. Für das grösste Aufsehen sorgte die Tötung von Corinne Rey-Bellet und ihrem Bruder, erschossen vom Ehemann der Ex-Skirennfahrerin. Mit der Offizierspistole.

Ernstfall ist jeden Tag

Immerhin: Es besteht ein bisschen Hoffnung. Denn die Motion Fetz ist nicht vom Tisch, sondern wurde der Sicherheitskommission übergeben. Zu hoffen ist, dass so auch aufgedeckt wird, wie viele Frauen von ihren Männern mit der Ordonanz- oder einer anderen Waffe bedroht werden. Fetz glaubt sogar, hier auf «ein Tabu» gestossen zu sein.

Der Schweizerische Friedensrat, Amnesty International, die Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, die «Annabelle» und andere verlassen sich nicht darauf, dass der Ständerat seine Meinung ändert. Sie fordern, dass die Armeemunition aus den Wohnungen verschwindet, dass WaffenliebhaberInnen nicht unkontrolliert aufrüsten können (und damit - wie 2001 Friedrich Leibacher im Zuger Parlament - in der Lage sind, innert weniger Minuten mehrere Menschen zu töten). Eine Verschärfung des Waffengesetzes würde nicht nur Gewalt verhindern, sondern auch die Suizidrate senken. Jeden Tag tötet sich in der Schweiz im Durchschnitt ein Mensch mit einer Schusswaffe, Tendenz steigend, rechnet die Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie vor.

Es gibt keine sachlichen Gründe gegen eine Verschärfung des Waffengesetzes. Nur emotionale, wie entrüstete Reaktionen auf die Petition der «Annabelle» zeigen. Sie lassen tief in die Psyche von WaffenliebhaberInnen blicken. Man möchte ihnen nicht im Dunkeln begegnen. Und schon gar nicht im eigenen Schlafzimmer. Auch der Bundesrat lässt Rationalität vermissen. Wie können zum Beispiel ausgerechnet diejenigen, welche immer und überall die Sicherheit gefährdet sehen, zulassen, dass in Schweizer Haushalten 282600 Armeewaffen und 14 Millionen Schuss Armeemunition lagern - wissend, dass Schweizer Familien im internationalen Vergleich besonders stark von tödlich endenden Tragödien betroffen sind? Überhaupt: Wie würde das sein, im Ernstfall, wenn jeder Wehrmann mit der geladenen Armeewaffe auf die Strasse stürmte? Man möchte es lieber nicht wissen. Auch wenn das Verteidigungsministerium und der Bundesrat vermutlich schon ein Konzept in der Schublade haben. Letzterer sagt ja auch: «Die Sicherheit wird dann erhöht, wenn dort eingegriffen wird, wo Missbräuche mit der Waffe und Munition entstehen.»

Das hören die Frauen, die sich vor der al-Kaida weniger fürchten als vor ihren Partnern, sicher gern.

Eine Woche nach der «Annabelle» überreicht nun der Friedensrat zusammen mit dem Künstlerduo Interpixel am Dienstag in Bern eine Petition. Die Forderungen: ein gesamtschweizerisches Waffenregister, strengere Vorschriften zum Erwerb einer Privatwaffe und die Rücknahme von Armeewaffen aus den Haushalten. Einen Tag später jährt sich das Massaker in Zug zum fünften Mal.