Bundesrat Blocher: Die Achse bricht

Nr. 42 –

Nicht schon wieder Christoph Blocher! Genug ist genug. Die WOZ erträumt sich zum Auftakt des Wahljahres ein Abwahlszenario.

Dezember 2007: Tumult im Plenum. Der St. Galler SVP-Nationalrat Elmar Bigger wirft eine Runkelrübe durch den Nationalratssaal, sein Walliser SVP-Kollege Oskar Freysinger geht mit den Fäusten auf seinen Landsmann, den CVP-Präsidenten Christophe Darbellay, los. Nationalratspräsidentin Christine Egerszegi bimmelt verzweifelt mit dem Glöckchen. Soeben hat die Vereinigte Bundesversammlung den amtierenden Bundesrat Christoph Blocher (SVP) abgewählt. Ein Jahr zuvor hätte sich niemand vorstellen können, dass sich der Politbetrieb so schnell so unerbittlich gegen den SVP-Tribun im Bundesrat wenden könnte. Wie konnte es dazu kommen?

• Herbst 2006: Der neue CVP-Präsident Darbellay überlegt sich, ob die CVP 2007 erneut Blocher wählen soll. Denn die Partei hat mit Blocher wegen der Abwahl von Ruth Metzler im Dezember 2003 noch eine Rechnung offen. Doch die Parteibonzen pfeifen ihn zurück. Blocher fraternisiert im Oktober mit dem türkischen Justizminister und stellt in Ankara die Antirassismus-Strafnorm infrage. Das geht selbst eigenen Parteifreunden zu weit. Und die «Weltwoche» findet zumindest die Wahl des Ortes fragwürdig.

FDP-Parteipräsident Fulvio Pelli kritisiert das Schweizer Fernsehen: Gibt es für jeden Blocher-Furz eine «Arena»-Sendung? Will die FDP in die Opposition?

• November 2006: Pelli und CVP-Präsident Darbellay treffen sich zum Wildessen im Berner Oberland und diskutieren über eine Zukunft ohne Blocher im Bundesrat. Die Gelegenheit scheint günstig. Die Wirtschaft läuft gut. Auf der politischen Traktandenliste sind keine Themen, mit denen sich die SVP besonders profilieren könnte. Es steht keine Europa-Debatte an, und nach der Abstimmung zum Asyl- und Ausländergesetz besteht dort kein Handlungsbedarf. Der Rehrücken schmeckt köstlich, die beiden Männer vereinbaren ein weiteres Treffen im kommenden Jahr.

• Januar 2007: Blocher attackiert in seiner Albisgüetli-Rede die neue Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey, die in ihrer Neujahrsansprache mehr Einmischung der Schweiz in der Welt verlangt hat. Er warnt die bürgerlichen Parteien, die Vorschläge von Calmy-Rey zu unterstützen. Er geht frontal auf Fulvio Pelli los, den er verdächtigt, mit der SP gemeinsame Sache gegen die SVP machen zu wollen.

• Februar 2007: Pelli und Darbellay treffen sich in einem Ausflugsrestaurant in der Nähe von Bern. Sie reden zwei Stunden über eine mögliche Abwahl von Blocher. Heikle Fragen: Was muss geschehen, damit wir unsere Leute überzeugen können? Was passiert, wenn die SVP Wind davon bekommt? Stehen wir es durch, wenn Blocher tatsächlich abgewählt wird. Beim Dessert fragt Pelli: «Traust du dir das wirklich zu?» Darbellay schweigt.

• April 2007: Die SVP-FDP-Achse im Kanton Zürich spielt nicht. Die FDP verliert dramatisch. Die SP, die Grünen und die CVP sind nun nicht nur im Regierungsrat in der Mehrheit, sondern auch im Kantonsrat. Die beiden bürgerlichen Parteien machen sich gegenseitig heftige Vorwürfe. In einer parteiinternen Nachbereitung wird Möchtegern SVPler und FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger aus dem Parteivorstand geworfen.

Kurz darauf fliegt in den USA ein riesiger Finanzskandal auf. Spuren weisen in die Schweiz. Blocher gewährt grosszügig Rechtshilfe - sehr zum Ärger der involvierten Grossbanken UBS und CS. «Jetzt können wir uns nicht einmal mehr auf Blocher verlassen», sagt ein konsternierter UBS-Präsident Marcel Ospel. Fulvio Pelli sieht die Chance, sich und die FDP zu profilieren. Er wirft Blocher vor, dem Finanzplatz geschadet zu haben, und stellt Blochers Verbleib im Bundesrat infrage. Gleichzeitig signalisiert er der SVP, dass sie ihre zwei Sitze behalten könne.

• Sommer 2007: Mitten in der Sommerpause zieht Blocher erneut über Calmy-Reys Aussenpolitik her. Dabei zitiert er - «das Volk hat ein Recht, das zu wissen!» - aus einem internen Papier des Aussendepartements. Der Schock ist gross. Im Bundesrat fliegen die Fetzen. Pascal Couchepin, Doris Leuthard und sogar Hans-Rudolf Merz rüffeln Blocher - und kurze Zeit später tut dies auch die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates. In einer Umfrage unterstützen 54 Prozent der Befragten die Aussage: «Blocher gehört nicht in den Bundesrat.»

Christophe Darbellay sondiert inzwischen im Parteivorstand die Lage. Leuthard beschwert sich: Blocher behandle sie wie ein dummes Mädchen. Doch der Parteivorstand will sich nicht festlegen und hält grundsätzlich an der Konkordanz fest. Er bewilligt aber Darbellays Antrag, das Abwahlszenario vertieft auszuloten.

• September 2007: Blocher macht intensiven Wahlkampf für seine Partei und geht vor allem auf die beiden Mitte-Parteien los. Bei FDP und CVP steigt die Zahl der persönlich gekränkten PolitikerInnen.

• Oktober 2007: Bei den Nationalratswahlen kann die SVP ihren Stimmenanteil halten. Die FDP verliert nur leicht. CVP, SP und die Grünen haben - mit Unterstützung der kleinen Links- und Mitteparteien - in der Vereinigten Bundesversammlung eine Mehrheit. Alle Parteien, auch die FDP, halten an der aktuellen Zauberformel fest. SP und CVP garantieren der SVP ihre beiden Sitze.

Die SVP droht: «Entweder bleibt Blocher im Bundesrat, oder wir gehen in die Opposition.» SP-Parteipräsident Hans-Jürg Fehr weist den Anspruch nach Absprache mit den Mitte-Parteien zurück. Er erinnert an die eigenen gescheiterten KandidatInnen Walther Bringolf, Lilian Uchtenhagen und Christiane Brunner sowie an das unglückliche SVP-Duo Rita Fuhrer und Roland Eberle. Auch in der SVP gibt es Stimmen, die die Regierungsbeteiligung nicht vom persönlichen Schicksal Blochers abhängig machen wollen.

• November 2007: Blocher sieht seine Felle davonschwimmen. Sein gekränktes Ego siegt über seine politische Spürnase. Er warnt die Bundesversammlung, den Wählerwillen zu missachten und kündigt totale Opposition für den Fall seiner Abwahl an.

• November 2007: Sogar CVP-Ständerat Carlo Schmid lässt sich für das Abwahlszenario erwärmen. Seit Blochers Lüge im Ständerat wegen der beiden albanischen Asylbewerber hält er ihn zunehmend für eine innenpolitische Belastung. Pelli und Darbellay vereinbaren einen wirtschaftsfreundlichen Kurs, der von der SVP wohl oder übel mitgetragen werden muss. Die CVP will damit verhindern, dass sie von der SP und den Grünen abhängig wird.

• Dezember 2007: In der «Bellevue»-Bar neben dem Bundeshaus findet sich eine bürgerliche Mehrheit für den Entschluss: Blocher muss weg. Man hat die leise Hoffnung, dass er sich nach seiner Abwahl so in Rage redet, dass ihn selbst die eigenen Leute nicht mehr ernst nehmen. Doch wird nicht eher die FDP einen ihrer Sitze verlieren? Die SP rausfliegen? Die Grünen eine Bundesrätin stellen?

Wahltag. Blochers Drohungen laufen ins Leere. Der Coup gelingt.