Knapp daneben: Sepp in Moldawien

Nr. 51 –

Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen erhalte ich jedes Jahr zu Weihnachten von der Fifa eine Neujahrskarte. Diesmal stand drauf: «2006 – Make the world a better place». Während andere sich etwas vornehmen fürs neue Jahr, blickt die Fifa zurück aufs alte. Würde ich vielleicht auch, wenn ich von mir sagen könnte, die Welt verbessert zu haben. Unterschrieben ist die Karte von Joseph S. Blatter, President, und Urs Linsi, General Secretary. Pfundskerle. Die tun was!

Sepp Blatter ist mir diesen Herbst begegnet. Wir hatten eben Platz genommen in diesem guten, kleinen Restaurant in Chisinau, Moldawien, vier Männer an Hackbrett, Klarinette, Geige und Akkordeon spielten sehr gute Musik, da blickte ich hoch zur Wand, und da war er. Eingerahmt und hinter Glas stand er am besten Tisch des Lokals, stiess genüsslich den Rauch einer Zigarette oder Zigarre aus, versuchte sich gar in einem Rauchringlein, und seine Stirn und Wangen leuchteten rot. Der Wirt stand neben ihm, stolz und glücklich über den prominenten Gast, und am Tisch sass Guido Tognoni, damals Blatters rechte Hand, und blickte bewundernd zu seinem Chef hoch. Ein Bild der Freude, der Ausgelassenheit. Sepp in Moldawien. Wer die Welt verbessert, kann auch mal eine rauchen, zwischendurch.

Zwei Tage vorher waren wir mit Nicoletta und Oleg, einem Paar aus Chisinau, am EM-Qualifikationsspiel Moldawien-Bosnien. Ein gutes Spiel, 2:2, Moldawiens erster Punkt. In der Pause auf der Toilette stand ich neben einem Mann in roter Wintersportjacke. Als er ging, las ich auf seinem Rücken «Ski- und Snowboardschule Lenk». Die Texaid-Sektion Bern erfüllt ihre Pflicht gewissenhaft. Nach dem Schlusspfiff führten uns die Einheimischen aus, zu Bier, Auberginen und Käse, und erklärten uns den moldawischen Fussball.

Moldawien, einst Sowjetrepublik, steckt seit der Unabhängigkeit in Sezessionswirren. Die Teilrepublik Transnistrien hat sich abgespalten, fährt einen ultrakommunistischen Kurs, der ultrakapitalistische Blüten treibt, und geniesst den Feuerschutz Russlands. Transnistriens Wirtschaft wird vom russischen Smirnoff-Clan kontrolliert, dessen Firma – Sheriff – sich so ziemlich alles unter den Nagel gerissen hat, was Geld und Ruhm verspricht. Sheriff heissen die Tankstellen, Sheriff heisst der Supermarkt, Sheriff heisst der Fussballklub, Sheriff heisst das Stadion (wer es fotografieren will, braucht die Bewilligung des Direktors, wer die Bewilligung des Direktors will, einen Termin). Der FC Sheriff spielt, aus Mangel an ernst zu nehmender transnistrischer Konkurrenz, in Moldawiens Liga und ist Serienmeister. Dem Moldawischen Verband waren lange die Hände gebunden. Weil das Nationalstadion in Chisinau zwar wunderschön, aber nach Fifa-Richtlinien veraltet ist, mussten die Spiele des Nationalteams im modernen Sheriff-Stadion in Tiraspol ausgetragen werden. Im Gegenzug machte sich der FC Sheriff in der Liga des verhassten Moldawien breit.

Erst seit April 2006 steht nun auch in der Hauptstadt Chisinau ein Stadion nach Fifa-Norm. Es könnte überall in Europa stehen, wären da nicht die Wohnsilos sowjetischer Prägung, von deren Fenstern aus die Bewohner einen tadellosen Blick aufs Geschehen haben. Oleg und Nicoletta zuckten mit den Schultern auf die Frage, wie es weitergeht. Der Fussball ist nicht Moldawiens zentrales Anliegen. Viel schwerer wiegt Russlands Importstopp für moldawischen Wein, angeblich aufgrund hygienischer Mängel, tatsächlich aber ein Druckmittel in der Transnistrienfrage. Das nationale Weinfest, das am Tag des Länderspiels stattfand, sei diesmal eine triste Angelegenheit, meinte Oleg. Verkaufen könne ja sowieso keiner was. Dem versuchten wir entgegenzuwirken, so lange wir dort waren, und kauften von den besten Tropfen viele Flaschen. Es half aber natürlich nichts.

Die Zeitung «Sport plus» berichtete am Tag nach dem Spiel, der FC Sheriff ziehe seine Spieler nun aus dem Nationalteam ab. Die Gründe: schleierhaft. Russland lockerte einige Wochen später die Importbestimmungen auf moldawische Agrarprodukte, doch die Drohung bleibt.

Sepp Blatter hat es nicht gerne, wenn die Politik in den Fussball greift, dann wird er ranzig. Das mussten die Türkei, Iran und Griechenland in diesem Jahr erfahren, und sicher waren sie dankbar für die Zurechtweisung, denn schliesslich verbesserte es die Welt. Den moldawischen Fussball berührt die Politik nicht. Der moldawische Fussball ist Politik. Das hat Sepp vielleicht noch nicht gemerkt, obwohl er da war, in Moldawien, in diesem Restaurant. Was auch immer er da geraucht hat.