Manfred Züfle: Radikal selbstbehauptend

Nr. 51 –

Kraterlandschaft, Katastrophensehnsucht, Flüstern der Hinterbliebenen, vergeblicher Friede nach totaler Zerstörung. So die Erwartung, die der Titel des Lyrikbandes «Apokalypse und später» von Manfred Züfle aufbaut. Wenig davon nachher im Buch. Genau genommen nur dieser erste Satz: «Es ist immer später, als man meinte.» Doch er wird keinen Glauben finden, dieser Satz, denn er steht nur da, weil nachher wortreich und langmütig das Gegenteil bewiesen wird; dass es nämlich nie zu spät ist. Wenn das Erste eine Erfahrung ist, die sich nicht fortweisen lässt, so ist das Zweite eine Behauptung, die Erfahrung herbeischafft.

Manfred Züfle hat es vermieden, die Gedichte, die noch rechtzeitig zu seinem siebzigsten Geburtstag herausgekommen sind, abzudichten gegen die Welt. Zwischenräume nennt er seine Texte, und viele geben neben Ort und Datum noch Zweck und Auftrag, Widmung und Verwendungszusammenhang an. Es haftet ihnen gleichsam an, was sie haftbar macht. Zuweilen sind sie deshalb schuldig wie das Subjekt, das sie wütend und trauernd, hoffend und lachend in die Öffentlichkeit trägt. «Da sie nicht unschuldig sind, können ihre Körper Erfahrung in sich bergen», sagt John Berger über die Menschen des Malers Caravaggio. Das aber heisst, die Texte sind nicht vom Himmel gefallen, unbötig in die Tiefe wie die Schwalben in die südlichen Gassen. Sondern sie haben das ganze akkumulierte Wissen in sich. Nichts ist verloren. «Verloren nicht / ein Vogel / der zwischen Buchen / sich fallen lässt in Schatten (...) verloren nicht die Augenblicke / auch die vergessnen nicht. / Ein unvorstellbares Gewimmel / sei das, / sagst du, / die Ewigkeit.» So steht es in einem der schönsten Texte.

Das ist auch der Grund, warum der Dichter überhaupt redet; der politische Grund, dass einer Öffentlichkeit will für das, was es zu sagen gibt. Lyrik ist hier nicht die vornehme Zurücksetzung des Subjekts, wo die Sprache spricht, durch den Sprechenden hindurch, der auf sie hört und sich ihr fügt, indem er ihr «entspricht», wie das der schwarzwälderische Feldwegphilosoph Martin Heidegger so folgenreich lehrte. Nicht umsonst hat Züfle andernorts auf die Gefährlichkeit solchen Sprechens aufmerksam gemacht.

Züfles Texte sind radikal selbstbehauptend. Das Subjekt - der Dichter - kann zuweilen angesichts gewisser «weltgeschichtlicher Kerle» nur noch sprachlos stammelnd «Arschloch, Arschlöcher» notieren, nie aber gibt er das Begehren preis, «Prosa der Welt» zu sein. Kann sein, dass da und dort ein Wort zu viel erscheint. Doch besser eines zu viel als eines zu wenig: «Die Wörtchen / die verdammten / verwildern nicht / ich lasse sie stehen / alle / das eine / es verkommt nicht.» Das unbewusst Rausgerutschte mag stehen bleiben, auch es soll die Arbeit der Bedeutung auf sich nehmen, soll Nachricht geben. Bereits darin erweist sich Züfle als freudscher Dichter. Vielmehr aber noch in der heute fast neurotisch anmutenden Verbindung des eigenen Subjekts mit der Welt. Der Anspruch ist immens. Das Individuelle ist auch das Allgemeine. Die eigene Biografie wird nicht symbolisch, sondern symptomatisch mit dem Weltgeschehen verbunden. Das zufällig Zusammenfallende liest sich im Zusammenhang: «Ich habe ausgerechnet am 11. September 2001 erfahren, dass ich einen Krebs habe.» Die Aussenwelt, die dem lyrischen Ich sonst oft nur als feindlich gesinnter Fall erscheint, unverständlich und bedrohlich, ist Züfle gerade in der Krankheit auch Anlass für Hoffnung: «Aber Welt ist und Weltgeschichte (...) - sonst wäre nur Düsternis des Eigenen.»

Dichten ist dann aber Denkarbeit und nicht Intuition, kein instinktives Bedürfnis, sondern bewusst gepflegte Wunschwelt. «Aber zuinnerst vielleicht / ist Denken ganz einfach, / simpel, / Wunsch halt, /schöne Wünsche / für ein Ende der Schrecken, / aller.» Und daraus wohl entspringen Züfles Engagement und Solidarität in Text und Leben für die Schwalben und die Tauben, die Flüchtlinge und die Toten.

Manfred Züfle: Apokalypse und später. Zwischenräume. Pano Verlag. Zürich 2006. 148 Seiten. 25 Franken