Durch den Monat mit Hans Ruh (Teil 4): Sind Sie für Atomstrom?

Nr. 4 –

Hans Ruh: «Heute wird alles – auch die anderen Menschen – nur als Ressource begriffen. Das ist der falsche Ansatz.»

WOZ: Diese Woche findet in Davos wieder das Weltwirtschaftsforum statt. Waren Sie schon einmal dort?
Hans Ruh: Zu meinem Ärger wurde ich noch nie eingeladen (lacht).

Das Institut für Theologie und Ethik des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, das ja Sie vor 35 Jahren gegründet haben, hat anlässlich des Wef eine Studie zu den Spitzensalären publiziert. Es fordert, dass Manager nicht mehr als 1,6 Millionen Franken verdienen – also höchstens viermal mehr als ein Bundesrat. Lässt sich ein solches Salär wirklich rechtfertigen?
Ich finde es gut, dass man die hohen Managerlöhne ethisch hinterfragt. Allerdings würde ich sie nicht beziffern. An sich ist es doch belanglos, wie viel jemand verdient. Es geht doch mehr um die Frage: Welcher Lohn ist legitim? Die Legitimität ist das Bindemittel der Gesellschaft, die Basis des Zusammenarbeitens. Die hohen Löhne sind die Sargnägel für das Zusammenleben. Sie sind nicht legitim, weil sie die moralische Grundlage zerstören.

Was würden Sie raten?
Man müsste die Manager fragen: Welcher Lohn entspricht deinem moralisch-geistigen und intellektuellen Niveau? Was wäre aus dieser Optik der richtige Lohn? Man müsste die Leute dazu führen, in dieser Radikalität zu denken.

Nochmals zu Ihrem Ethikfonds Bluevalue: Sie versuchen, damit die grossen Anlageströme in Länder zu lenken, die ethisch geführt sind – also Länder, die zum Beispiel keine Atomwaffen haben. Nun wird überall der Bau neuer AKW propagiert, auch in der Schweiz. Gehören Länder, die in Nukleartechnologie investieren, zu den guten oder den schlechten?
Eine schwierige Frage. Atomenergie ist in unserem Fonds nicht grundsätzlich ein Ausschlusskriterium – sonst bliebe kaum mehr eine Staatsanleihe übrig, die man empfehlen könnte. Vielleicht noch Italien, aber auch da bleibt die Frage, woher der Strom kommt.

Sind Sie für Atomstrom?
Nein, ich bin klar dagegen.

Warum?
Landläufig rechnet man das Risiko aus, indem man die Eintretenswahrscheinlichkeit multipliziert mit der Schadensgrösse. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Super-GAU eintritt, ist enorm klein, die potenzielle Schadensgrösse ist aber unakzeptabel hoch. Und das murphysche Gesetz besagt: Alles, was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Der Mensch wird immer Fehler machen ... von einer Technologie, die das nicht erträgt, müssen wir uns verabschieden.

Sie waren vor einigen Jahren Präsident einer vom Bund einberufenen Kommission, die die Endlagerfrage debattierte. Wie beurteilen Sie die Atommüllfrage?
Das ist nicht das Hauptproblem. Wenn wir die beste technische Lösung anstreben und die Rückholbarkeit der Abfälle garantieren, können wir ein einigermassen sicheres Lager bauen. Mich beunruhigen mehr die Sicherheitsfragen während des AKW-Betriebes. Da kann immer etwas passieren. Und wie schützen wir sie vor Terroranschlägen? Diese Technologie befördert den Überwachungsstaat und bedroht langfristig die Demokratie. Ich habe nie ein Argument gehört, das wirklich für die Atomenergie spricht.

Wenn keine neuen AKW gebaut werden, habe die Schweiz bald zu wenig Strom, drohen die grossen Schweizer Energieunternehmen.
Unseren heutigen Energiekonsum können wir ohnehin nicht aufrechterhalten. Wir müssen umdenken.

Wie halten Sie es selbst mit der Nachhaltigkeit? Fliegen Sie? Fahren Sie Auto?
Ich muss gestehen, dass ich ab und zu fliege. Ich besitze auch ein Auto, benutze es aber möglichst selten. An manche Orte brauche ich jedoch mit dem Auto nur eine Viertelstunde, mit dem öffentlichen Verkehr hingegen zwei Stunden ... In solchen Fällen nehme ich das Auto. Ich bin also nicht ganz lupenrein. Vor kurzem haben wir unser Haus isoliert und eine Erdsonde installiert, damit wir nicht mehr mit Öl heizen müssen. Das bringt der persönlichen Energiebilanz ziemlich viel.

Zurück zum Wef: Falls Sie eingeladen wären, was würden Sie in Davos sagen?
Wir lösen die falschen Probleme. Wir setzen enorme Kräfte ein, um zum Beispiel die Berge zu beschneien. Es ist fantastisch, dass der Mensch selber schneien kann, nur ist es sinnlos ... der Mensch würde gescheiter seinen Geist beschneien. Ich halte es mit Martin Heidegger, der gesagt hat: Der Mensch stellt die Erde auf Bodenschätze. Heute wird alles – auch der Mensch – nur als Ressource begriffen. Das ist der falsche Ansatz. Die Menschen arbeiten im falschen Steinbruch, im materialistischen statt im geistigen. Heute wird das Blöde und Destruktive wahnsinnig teuer verkauft. Vieles ist sehr schön, sehr aufregend und sehr billig: Das müssen wir wieder entdecken. Eine solche Predigt würde ich dort halten (lacht).

Hans Ruh (73) war bis 1998 Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Sozialethik an der Universität Zürich und präsidiert heute den Verwaltungsrat des Ethikfonds Bluevalue. 2006 hat er mit Thomas Gröbly das Buch «Die Zukunft ist ethisch – oder gar nicht. Wege zu einer gelingenden Gesellschaft» publiziert.