Palästina: Abbas und die Bushtruppe

Nr. 5 –

Während die USA die Milizen des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas ausrüsten, wird die Hamas der Fatah immer ähnlicher. Und die israelische Regierung lacht sich ins Fäustchen.

Gerade ein Jahr ist es her seit der Parlamentswahl in den besetzten palästinensischen Gebieten, die von der «internationalen Gemeinschaft» als ein erster erfolgreicher Schritt in Richtung Demokratie gefeiert wurde. Doch seit dem Wahlsieg der islamisch-konservativen Hamas über die Fatah ist die friedliche Konkurrenz um die Gunst der WählerInnen nur noch eine blasse Erinnerung an bessere Zeiten. Denn seit Monaten dominiert im innerpalästinensischen politischen Kampf die Gewalt.

Warum bekämpfen sich die Fatah und die Hamas? Warum wurden in der vergangenen Woche etwa dreissig Menschen getötet und Dutzende verletzt? Stehen die besetzten palästinensischen Gebiete am Rande eines Bürgerkriegs?

Die nationalistische Fatah-Bewegung, von Jassir Arafat Ende der fünfziger Jahre gegründet, hat ihre Wahlniederlage vom Januar 2006 nicht verkraftet. Für die altgedienten Fatah-Mitglieder, die seit 1968 die palästinensische Nationalbewegung anführen, scheint es nicht akzeptabel zu sein, dass ihr die religiös-nationalistische Hamas den Rang abgelaufen hat. Und die jüngeren Fatah-Militanten aus den Jahren der ersten (ab 1987) und zweiten Intifada (ab 2000) sind nicht bereit, die Überlegenheit der Hamas anzuerkennen. Doch erst die internationale Politik führte zu den Gewaltausbrüchen, die immer schwieriger einzudämmen sind.

Der Hamas-«Spuk»

Nur wenige Tage nach dem Wahlsieg der Hamas kam es zu einem Treffen des Nahostquartetts USA, EU, Russland und Uno in London. Es endete mit ultimativen Forderungen an die neu zu bildende palästinensische Regierung: Verpflichtung zur Gewaltlosigkeit, Anerkennung Israels, Einhaltung aller bisherigen Abkommen und Verpflichtungen. Die Wahlsieger proklamierten demgegenüber in zahllosen Erklärungen die Aufrechterhaltung des von der Hamas eingegangenen Waffenstillstands (aber kein Verzicht auf den Widerstand gegen die andauernde Besatzung) und die Zustimmung zu einer Zweistaatenlösung (also eine implizite Anerkennung Israels). Ausserdem werde man die internationalen Verträge einhalten - sofern diese im Interesse des palästinensischen Volkes seien.

Im Grunde genommen fehlte damit nur die ausdrückliche Anerkennung des Staates Israel. Der palästinensische Premier Ismail Hanije erklärte dazu schon Ende Februar 2006, dass Israel nur dann anerkannt werden könne, wenn es den PalästinenserInnen einen Staat ermögliche und ihnen ihre Rechte zurückgebe.

Für die von den USA angeführte internationale Politik schien dies nicht genug zu sein. Stattdessen nahm sie intensive Verhandlungen mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas von der Fatah auf - und versprach der Fatah eine baldige Rückkehr an die Regierung. Man müsse sich nur gedulden. In wenigen Monaten sei der Hamas-«Spuk» vorbei. Jetzt gelte es durchzuhalten.

Nur der Waffenhandel blüht

Durchhalten aber hiess, mit der Hamas nicht zu koalieren. Damit waren von vornherein alle Bemühungen der Hamas um eine Regierung der nationalen Einheit gescheitert. An ihr sollten von der Fatah über die basisdemokratische Nationale Initiative von Mustafa Barghuti bis hin zur liberalen Gruppe Der Dritte Weg von Hanan Aschrawi und zur radikal linksnationalistischen PFLP alle wichtigen palästinensischen politischen Organisationen teilnehmen.

Seitdem schwankt die palästinensische Politik zwischen Phasen intensiver Verhandlungen und einem Jonglieren am Rande des Bürgerkriegs. Die Verhandlungen endeten in den letzten Monaten immer wieder mit der Erklärung, dass die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit unmittelbar bevorstehe. In frustrierender Regelmässigkeit traf Abbas jedoch genau in dieser Phase entweder den US-Präsidenten oder dessen Aussenministerin. Kaum waren diese Treffen beendet, verkündete der palästinensische Präsident, dass die Verhandlungen ins Stocken geraten seien oder dass es überhaupt zu früh sei für eine Regierung der nationalen Einheit.

Die Hamas wurde damit in eine Dauerkrise hineingezogen, der sie sich immer weniger gewachsen zeigt. Denn dem Ultimatum vom Januar 2006 folgte ein Boykott der Hamas-Regierung. Die wichtigsten Geldgeber EU und USA entzogen ihre finanzielle Unterstützung; auch Israel, das in flagranter Verletzung der Osloer Verträge die monatlichen Steuer- und Zolleinnahmen in Höhe von etwa 55 Millionen US-Dollar nicht mehr an die palästinensische Regierung überweist, beteiligte sich. Der Boykott blockierte die Hamas-Regierung, die bald nicht einmal die (fast ausschliesslich der Fatah angehörenden) Angestellten des öffentlichen Sektors bezahlen konnte. In Palästina lief nichts mehr - ausser dem Waffenhandel. Seit Monaten fliessen Gelder und Waffen entweder über Ägypten oder über Jordanien direkt an die Fatah; die USA nennen das Unterstützung der Sicherheitskräfte von Präsident Mahmud Abbas.

Von Korruption im pseudostaatlichen Sektor konnte zwar keine Rede mehr sein - aber damit endete auch schon die positive Rolle der Hamas. Stattdessen übernahm sie - mehr oder weniger freiwillig - das Gebaren der Fatah. So entstanden zwei politische Lager mit je eigener Klientel, die entweder der Fatah oder der Hamas angehört. Die Fatah sorgt wie eh und je für die Fatah-AnhängerInnen; die Hamas -und das ist neu - zunehmend nur noch für ihre AnhängerInnen.

Wie damals in Chicago

Zwar versucht die Hamas immer wieder (und manchmal auch mit Erfolg) ihre Bewaffneten unter politischer Kontrolle zu halten - trotz der Provokationen, die die Fatah-Milizen und politischen Gruppierungen immer wieder inszenieren. Die führende Rolle spielt dabei der ehemalige palästinensische Sicherheitschef aus Gasa, Mohammad Dahlan, den sich die CIA schon in den neunziger Jahren systematisch herangezogen hat und der seit einigen Wochen dabei ist, auch im Westjordanland eine Machtbasis aufzubauen.

Die letzten Waffenlieferungen der USA an die Fatah (die US-Regierung hat ihr nun zusätzlich 86 Millionen US-Dollar Militärhilfe versprochen) waren offensichtlich der Auslöser für die schweren Zusammenstösse der vergangenen Tage. Zum ersten Mal, so meldet die Presse, war die Fatah in der Lage, die militärische Überlegenheit der Hamas im Gasastreifen zu neutralisieren. Zum ersten Mal gab es wesentlich mehr Opfer auf der Seite der Hamas als auf der Seite der bewaffneten Fatah-Militanten, die in ihrem Auftreten von den Mafiosi der dreissiger Jahre in den USA kaum zu unterscheiden sind.

Der Dampfkessel

Sollte der ausgehandelte Waffenstillstand vom Dienstag halten, ist eine neue Verhandlungsrunde zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu erwarten. Die USA und Fatah-Führer wie Dahlan werden ein Ergebnis jedoch zu verhindern wissen. Lachende Dritte ist die israelische Regierung. So effizient und ohne jeden Protest der «internationalen Gemeinschaft» hätte sie kaum so viele Fatah- und Hamas-Militante töten können. Die Besatzung kann derweil ungestört weitergehen, Siedlungen expandieren, Land wird enteignet - während die beiden grössten palästinensischen Organisationen um eine illusionäre Macht in den Ghettos kämpfen. Die Rechnung bezahlt eine Gesellschaft, die als solche kaum mehr existiert, die fragmentiert und zerrissen ist und sich zusehends nur noch in traditionellen Clanstrukturen hält.

Der Dampfkessel Gasastreifen, seit Sommer 2006 fast vollständig von der Aussenwelt abgeschlossen, explodiert, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Ghettos im Westjordanland folgen. Die Frage ist, ob eine politische Kraft dies noch verhindern kann - die Hamas-WählerInnen zum Beispiel, die von der Hamas-Führung die Einhaltung der grossen Versprechen vom Januar 2006 fordern müssen.


Helga Baumgarten lebt in Ostjerusalem und lehrt Politologie an der palästinensischen Universität Bir Seit. Sie ist Autorin mehrerer Bücher zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Zuletzt erschien ihr Buch «Hamas. Der politische Islam in Palästina» (Diederichs Verlag, München 2006). Helga Baumgarten schreibt regelmässig für die WOZ.