Hackbrett: Klingendes Bäuchlein

Nr. 6 –

Ein Instrumentenbauer geht mit der Zeit: Werner Alder baut zusammen mit ETH-Experten für Hightech-Konstruktionslösungen ein revolutionäres Tonwunder.

Vielleicht ist ein Hackbrett gar nicht so verschieden von einem Haus. Eine Architektin mag einen kleinformatigen Baukörper aus Holz sehen mit einer filigran gespannten Dachkonstruktion. Ein sich nach hinten verjüngender Raum, von Klängen kurzzeitig bevölkert, eine Bahnhofshalle für musikalische Reisende. Doch Architekten kennen sich nicht aus mit den Bedürfnissen dieser Reisenden, ihrer Eile und ihrer Liebe zu gut gefügten Proportionen, auch mit der subtilen Verführungskunst bei der Gestaltung des Raumes, die sie länger verweilen lässt. Es sind die Instrumentenbauer, die wissen, wie solche Räume zu zimmern sind.

Werner Alder ist einer von ihnen. Seit bald dreissig Jahren baut er Hackbretter nach Appenzeller Art, doch nicht stur einer Tradition verpflichtet. In seiner Werkstatt steht einiges an modernem Gerät - wer sich den Hackbrettbauer als Hinterwäldler vorstellt, der sein Instrument ganz nach alter Schule, womöglich noch von Hand sägt und schnitzt, der revidiert sein vorgefasstes Bild bei der Begegnung mit Alder rasch. Er hat einen schelmischen Blick, und beim Reden über seine Instrumente ist eine Leidenschaft spürbar, die Wurzelsuche ebenso wie Neugier verrät.

Doch bei aller Experimentierlust: Zumindest ein paar Berührungsängste hätte man erwarten können, wenn jemand mit der Idee ankommt, Computerleute von der ETH mitbauen zu lassen an einem neuen Instrument: einem, das eine kleine Revolution bedeuten könnte für den Hackbrettbau.

Vor gut zwei Jahren hat ihm sein hackbrettspielender Freund Fredi Zuberbühler das erste Mal von der Idee erzählt, endlich ein Hackbrett eben so zu bauen, wie es schon lange bei fast allen Saiteninstrumenten selbstverständlich ist. Resonanzkörper sind bauchig, sei es beim Cello oder bei der Harfe. Der klassische Appenzeller Hackbrettklang jedoch entspringt einer streng rechteckigen Kammer, worin er kleinlaut wird und dünn. Statisch wäre die gewölbte Bauweise ebenfalls von Vorteil, schliesslich ziehen die Saiten insgesamt mit über anderthalb Tonnen an den Flanken des Instruments. Die Idee ist durchaus nahe liegend, und der eine oder andere Hackbrettbauer hat sich auch schon an ihr versucht. Doch den Rahmen für das gebauchte Instrument so zu bauen, dass sich schliesslich alles so schön fügt wie im simplen rechtwinkligen Fall, das ist kaum zu machen - auf jeden Fall wäre es kaum zu bezahlen.

Digitale Freiheiten

Zuberbühler hatte sich aber schon schlau gemacht. Wo es komplexe Formen zu schreinern gibt, da behilft man sich heute mit automatischen Fräsen - viele Grossschreinereien haben solche Anlagen tagtäglich im Einsatz. Die Maschinen konnten aber mit Zuberbühlers zweidimensionalen Handzeichnungen nicht viel anfangen, diese mussten erst irgendwie in den Computer, und diese Detailarbeit bereitete den IndustrieschreinerInnen der Firma Bach in Heiden einiges Kopfzerbrechen. Sie wandten sich deshalb an zwei Architekten von der ETH Zürich, mit denen zusammen sie jüngst ein paar ausgefallene Aufträge ausgeführt hatten.

Designtoproduction nennen Fabian Scheurer und Christoph Schindler ihre Idee, aus der sie kürzlich eine Spin-off-Firma gemacht haben. Schindler ist Architekt, Scheurer Computerexperte. Zusammen haben sie eine Software entwickelt, die den Weg vom Architekturdesign im Büro zur Produktion im Industriebetrieb so unkompliziert machen soll wie den eines Dokuments von der Textverarbeitung zum Drucker. Im Architekturbüro wird schon seit längerem am Computer geplant, die Entwurfsprogramme haben einen nicht unwesentlichen Anteil an der komplexen Formensprache der zeitgenössischen Architektur. Und auch die digitale Fertigung etabliert sich in immer neuen Bereichen, im Holzbau ebenso wie in den Betongiessereien. Allerdings sprechen Planer und Ausführerinnen nicht dieselbe Sprache - die Übertragung der Daten von der digitalen Zeichnung in die Maschine stellte bislang eine grosse Hürde dar.

Das ärgerte die Architekten vor allem deshalb, weil die Freiheit, die sie mit der immer raffinierteren Software beim Entwerfen gewonnen hatten, spätestens in einer ersten Kostenrechnung wieder arg beschnitten wurde. Die Möglichkeiten der maschinellen Fertigung werden nur im Fertighausbau ausgeschöpft, wo die digitalen Maquetten für die Maschinen komplett erstellt sind und je nach Bedarf abgerufen werden können. Die Maschinen wären prinzipiell auch in der Lage, die Bestandteile für wesentlich komplexere Bauvorhaben zu liefern - wenn man ihnen beibringt, die Pläne der Architekten direkt zu lesen. Das neue Informatikrüstzeug ermöglicht nun, etwas überspitzt gesagt, die Fliessbandproduktion von Unikaten.

Den Maschinen ist es natürlich einerlei, ob sie Wohn- oder Klangräume fertigen. Und auch die CAAD (Computer Aided Architectural Design)-Programme der ArchitektInnen scheren sich wenig um Grössenordnungen, das Spiel mit dem Massstab ist ja ohnehin Teil jedes Entwurfsprozesses. Und so haben die Designtoproduction-Leute ausgehend von Zuberbühlers Zeichnungen nach und nach ein digitales dreidimensionales Modell im Computer erstellt, haben das geometrische Konzept für die Wirbel, mit denen die Saiten gespannt werden, entwickelt und die Statik optimiert. So ist am Bildschirm gewissermassen ein kleiner hölzerner Konzertsaal entstanden.

Am Charakter arbeiten

Hinten im Lager hat Werner Alder das Resultat der Computerarbeit gestapelt: drei massive Rahmen, gut einen Meter breit und siebzig Zentimeter lang. Nach hinten verjüngen sie sich auf fast die halbe Breite, diverse Stege sind, längs- und querlaufend, exakt eingepasst. Schon dieser rohe Rahmen verrät die organische Form des fertigen Instruments. Man kann sich vorstellen, wie aufreibend es wäre, eine solch komplexe Grundform mit der nötigen Genauigkeit von Hand zu schreinern.

Alles Weitere aber ist wieder Hackbrettbauerhandwerk. Das Schliessen des Klangkörpers mit Boden und Decke, das Anbringen der Stege und der Saiten, die Wahl der Öffnungen im Klangkörper und die Lackierung - die Arbeit am eigentlichen Charakter des Instruments erfolgte in Alders Werkstatt in Herisau.

Der zweite Prototyp ist es nun schon, eigentlich hätten sie das Instrument im letzten Herbst präsentieren wollen, nun drängt Zuberbühler wenigstens auf einen Termin in den nächsten Monaten. Er will sein neues Instrument endlich spielen, will hören, ob es im Konzert halten kann, was es beim Probespielen in der Werkstatt schon verspricht. Besonders in den tiefen Lagen hat sein Klang nicht mehr viel gemein mit dem etwas spröden Vorbild. Die Töne sind voller und weicher, auch die klingelnden Höhen scheinen irgendwie tiefer aus dem Bauch des Instruments zu kommen.

Hackbrett im Orchestergraben

Ist das denn eigentlich noch ein Volksmusikinstrument, was er da baut? Alder wird lebhaft, bittet mich mitzukommen in ein Hinterzimmer. Darin stapeln sich trapezförmige Hackbrettkästen, in denen alte und neue Instrumente liegen. Kein Kasten hat dieselben Abmessungen wie der andere. «Das Appenzeller Hackbrett gibt es gar nicht», erklärt Alder, schon heute gebe es vielerlei Varianten, die alle ihre Tradition behaupten. Er holt eines mit in die Werkstatt und stellt es neben das neue Instrument. Er spielt ein wenig darauf, trippelt über die fein scherbelnden Bässe, dann hinüber zum klaren Klang des neuen Hackbretts. «Wir nennen es ein Konzerthackbrett», wirft Zuberbühler ein, die Bezeichnung sei bewusst gewählt, um zum Ausdruck zu bringen, dass Qualitäten in dem Instrument schlummern, die bisher nicht ausgeschöpft worden seien. Dass das Hackbrett nicht recht herauskommt aus der Volksmusikecke, hätte durchaus auch mit dem wenig ausgereiften Klang zu tun.

Aber wo eine Qualität gewonnen wird, geht mitunter eine andere verloren: die Streichmusiken der Region werden sich, glaubt Alder, kaum anfreunden können mit seinem Konzerthackbrett - gerade das Scherbeln der Bässe trägt viel bei zur besonderen Klangqualität der appenzellischen Volksmusik. «Das Ziel wär e eigentlich, ein Hackbrett mit ebensolcher Perfektion und Finesse zu bauen wie eine Konzertharfe», sagt Zuberbühler, und Alder nickt, er hat selbst schon lange Mass genommen an derlei hochgesteckten Vorgaben. Nun hat er, noch bevor die letzte Version ganz fertig gebaut ist, schon wieder tausend Ideen, wie er den Körper des Instruments weiter verfeinern könnte. Eigentlich möchte er noch einen dritten Prototyp bauen, doch das will Zuberbühler nicht zulassen. Alder wird zunächst diesem Hackbrett den letzten Schliff geben müssen - und dabei pausenlos schon an das nächste denken. Ob es sich dann auch verkaufen lässt, ist für ihn zunächst zweitrangig. Er ist ein Getriebener, dem es um einen anderen Reichtum geht, einen klanglichen. Und den soll das Hackbrett dereinst auch im Orchestergraben und im Jazzclub ausspielen.