Vergangenheitsbewältigung: Autismus der Macht

Nr. 6 –

Aufstieg und Fall von Elisabeth Kopp lassen sich auf verschiedene Arten lesen. Der neue Film über die gescheiterte Bundesrätin bietet die uninteressanteste Lesart. Was wären die anderen?

Einen Augenblick lang mochte die Affäre Kopp, der Rücktritt der ersten Schweizer Bundesrätin, zeitgenössisch als Staatskrise erscheinen. Bis er von der wirklichen Staatskrise der Fichenaffäre abgelöst wurde. An beidem zeigte sich die Ungleichzeitigkeit der Schweiz mit Entwicklungen in der restlichen Welt.

Waren die achtziger Jahre eine bleierne Zeit? Der deutsche Herbst (1977, mit terroristischen Anschlägen und toten Häftlingen), war ein Schock gewesen, und er hatte den Sieg der neoliberalen Revolution vorbereiten helfen. Margaret Thatcher, Ronald Reagan und Helmut Kohl schienen die Welt im Griff zu haben. In England kämpften die Minenarbeiter ein jahrelanges, erbittertes, erfolgloses Rückzugsgefecht. Es gab die Hoffnung Michail Gorbatschow, doch musste in der bipolaren Welt der Niedergang der Sowjetunion zweideutig immer auch als Niederlage gegen die aggressive US-Hegemonie befürchtet werden. Die Alltagskultur war ebenso von Ambivalenzen durchzogen. Der politisch-musikalische Aufbruch des Punk hatte sich im New Wave gebrochen und gemässigt. Der global telegen gewordene Fussball wurde von gewalttätigen Ausschreitungen und Hooligans überschattet.

In der Schweiz verebbte die Jugendbewegung - die so unerwartet, glorios, konfus gewesen war - in Repression, Erschöpfung und Anpassung. Die erste Ablehnung des Uno-Beitritts deutete auf den kommenden verschärften Isolationskurs. Umgekehrt verschaffte das Chemieunglück der Sandoz in Basel der Umweltbewegung neuen Aufschwung. Die Initiative Schweiz ohne Armee mobilisierte überraschend stark. Frau und Mann waren rechtlich endlich gleichgestellt. Und faktisch sass sogar eine Frau im Schweizer Bundesrat.

Genau vier Jahre und drei Monate lang. Dann beendete der Fall Kopp diese emanzipative Errungenschaft.

Vier Geschichten

Eins. Im Januar 1989 trat die erste Schweizer Bundesrätin vom Amt zurück, nachdem ihr eine Indiskretion gegenüber ihrem Ehemann, einem bekannten Wirtschaftsanwalt, zum Vorwurf gemacht wurde und nachdem sie schon vor der Wahl in verschiedenen Schlammschlachten wegen fragwürdiger Affären ihres Mannes angeschwärzt worden war; ihr Rücktritt warf die politische Emanzipation der Schweizer Frauen ein Jahrzehnt zurück.

Zwei. Eine Untersuchung möglicher Amtsgeheimnisverletzungen im Eidgenössischen Departement des Innern führte im November 1989 zur Aufdeckung der ebenso systematischen wie dilettantischen Bespitzelung weiter Teile der Schweizer Bevölkerung; der folgende Vertrauensverlust ins herrschende System und in den staatstragenden Freisinn öffnete die geschlossene Welt der Repressionsapparate, beförderte aber zugleich den Aufstieg der SVP.

Drei. Aufgrund von Untersuchungen zu Geldwäschereiskandalen, in die auch der Gatte einer Bundesrätin verwickelt war, geriet der Finanzplatz Schweiz 1989 vermehrt unter Druck und willigte in die Schaffung eines effektiveren Abwehrsystems gegen die Wirtschaftskriminalität ein; seither müssen sich die Schweizer Banken etwas geschickter anstellen, um weiterhin weltweite Fluchtgelder anzuziehen.

Vier. Bundesrätin Elisabeth Kopp, die ihren Mann über eine bundesanwaltschaftliche Ermittlung informierte und ihren Fehler taktisch ungeschickt nicht eingestehen wollte, wurde in einer sich ausbreitenden Staatskrise vom Freisinn geopfert und abgestraft; jetzt kämpft sie mit einer neuen Offensive um ihre Rehabilitierung.

Dies also Varianten, wie sich die Geschichte von Elisabeth Kopp lesen lässt. Sie stimmen alle einigermassen. Streiten kann man über ihre jeweilige Gewichtung. Die letzte ist die uninteressanteste. Auf sie kapriziert sich allerdings ein Film, der gegenwärtig für einige Wellen sorgt, am Filmfestival in Solothurn uraufgeführt wurde und am 8. Februar in die Kinos kommt: «Elisabeth Kopp - eine Winterreise» von Andres Brütsch. Regisseur Brütsch hat verkündet, er wolle mit seinem Film ein historisches öffentliches Ereignis aufarbeiten. Genau das tut der Film nicht. Er schneidet historische Dokumente mit einem heutigen Kommentar von Kopp zusammen. Die Perspektive bleibt, trotz scheinbar kritischer Fragen, eng und einseitig.

Obwohl der Film nicht als Geschichtslektion taugt, lässt er sich immerhin als Anlass und als Steinbruch der Erinnerung brauchen.

Qualifizierte Frauensolidarität

Die Frauensolidarität mit Elisabeth Kopp war immer eine qualifizierte. Kopp war das bürgerliche Feigenblatt nach der Nichtwahl der SP-Vertreterin Lilian Uchtenhagen. Die war 1983 der eigentliche Skandal. Noch heute vermag einem die Kaltschnäuzigkeit, mit der eine bürgerlich-männliche Minderheit die Mehrheit der Bevölkerung vor den Kopf stiess, die Galle hochzutreiben. Da kam Kopp 1984 den freisinnigen Strategen nach dem unerwarteten Rücktritt von Bundesrat Rudolf Friedrich gerade recht und war doch eine Verlegenheitslösung. Mit richtigem Stallgeruch, einiger Erfahrung, aber kaum in den Freisinn und andere Machtnetze eingebunden. Im aktuellen Film sagt Elisabeth Kopp einmal, sie habe sich im Bundesrat einsam gefühlt und hätte die Unterstützung durch eine zweite Frau brauchen können. Das glaubt man ihr aufs Wort. Wenn sie sich als verratene Vertreterin der Frauen verkaufen will, müssen allerdings die Qualifizierungen anfangen.

Positiv kann Kopp die Einführung des neuen Eherechts von 1986 angerechnet werden; aber zugleich verantwortete sie mit der zweiten Asylgesetzrevision einen härteren Kurs in der Asylpolitik, die Einführung des «Verfahrens 88» mit summarischen Befragungen und Schnellverfahren. Und Kopp repräsentierte natürlich, als Freisinnige, was zu ihrem Sturz beitrug: die Beisshemmung gegenüber allen Wirtschaftsverflechtungen.

Ihr Rücktritt entspricht der Nichtwiederwahl von Ruth Metzler. Einem Mann wäre - oder ist - das nicht passiert. Und doch stellt die Wahl Christoph Blochers das gravierendere Ereignis als die Nichtwiederwahl Metzlers dar. Auch bei Kopp war das folgende Auffliegen der Fichenaffäre bedeutsamer als ihr Rücktritt.

Leergeglaubter Staat

Immerhin war der Fall Kopp das erste Symptom für den Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Kaste, insbesondere des staatstragenden Freisinns. Zum Verhängnis wurde ihr nicht so sehr der Telefonanruf, mit dem sie ihren Mann darüber informierte, dass gegen eine Firma, in dessen Verwaltungsrat er sass, ermittelt wurde, sondern das nachträgliche Verschweigen des Anrufs. Hier wurde gelogen. Oder eine Bundesrätin nahm es mit der Wahrheit zumindest nicht so genau. Das war denn doch ein gelinder Schock. Zudem traf es den Zürcher Freisinn. Man muss sich schon beinahe nostalgisch an jene Zeiten zurückerinnern, als der für die Linke der Hauptgegner war. Entsprechend konnte man sich klammheimlich an dessen Verlegenheit freuen. Der Fichenskandal überstieg dann jede paranoide Einbildung. Der Schweizer Staat zeigte sich erschreckend und lächerlich zugleich. Die Ungleichzeitigkeit der Schweizer Politik wurde sinnfällig und grell sichtbar. Während sich Volksbewegungen im sowjetischen Machtbereich die Freiheit der Meinung und des Konsums erkämpften, sahen sich Schweizerinnen und Schweizer mit einer flächendeckenden Bespitzelung konfrontiert. Wir erkannten oder erhofften - einen erschütterten Glauben an die Schweiz, den leergeglaubten Staat, wie die WOZ anlässlich des Kulturboykotts 1991 einen Sammelband betitelte. Mittlerweile hat vor allem der Glaube an den Staat als Instrument zur sozialen Absicherung gelitten, während die Asylpolitik bei erneut verschärften Gesetzen und die Kontrolle bei massiv vermehrter Videoüberwachung angelangt ist.

US-Druck gegen Geldwäscherei

Zur Krise des politischen Systems trat die des Wirtschaftsplatzes. 1977 war der SKA-Skandal geplatzt und hatte erstmals die Frage nach der Legitimität des Schweizer Wohlstands aufgeworfen. In den achtziger Jahren verlangten die USA verschärfte Massnahmen gegen die Geldwäscherei, sowohl in ihrem ebenso publizitätsträchtigen wie illusionären Krieg gegen die Drogen als auch im ständigen Konkurrenzkampf gegen eine Mitbewerberin um lukrative Finanzgeschäfte. Kopp gab erste Vorschläge zu einem neuen Geldwäschereigesetz in Auftrag. Ihre Haltung war allerdings rein legalistisch; kein Wunder, bei dieser Herkunft und diesem Mann. Der Skandal um ihren Rücktritt beschleunigte die Massnahmen, sodass die Schweiz 1990 als erstes europäisches Land ein Gesetz gegen die Geldwäscherei verabschiedete. Formal war dem US-Druck Genüge getan; die praktische Umsetzung liess noch etliche Jahre auf sich warten; und seither sind raffiniertere Methoden gefunden worden, wie sich ganze Volkswirtschaften ausplündern lassen.

Und das tragische Subjekt?

Wo bliebe das tragische Subjekt in diesen Geschichten? Schliesslich hat der NZZ-Kritiker von einer «nachdenklichen Winterreise» und der persönlichen «Tragik» der Exmagistratin gesprochen. Damit macht er bereitwillig jenes Spiel mit, das der Film anbietet, nämlich die Personalisierung eines Polit- und Wirtschaftsfalls. Das kommt ja nicht unerwartet, da gegenwärtig im «Tages-Anzeiger» der Swissair-Prozess in einer Mischung aus shakespeareschem Königsdrama und Seifenoper dargestellt und damit entpolitisiert wird.

Nun hat diese Tendenz aber eine bemerkenswerte Dialektik. Kopps Medienschelte gegen den Enthüllungsjournalismus wiederholt nicht nur sattsam bekannte Muster, sondern zielt vor allem in die falsche Richtung. Kritik müsste umgekehrt an der medialen Personalisierung ansetzen, die der Film mitmacht: Die erste Bundesrätin wurde ab 1984 von einigen Medien unmässig aufgebaut, als «Queen Elisabeth» beziehungsweise «Reine Elisabeth» gefeiert, so wie gegenwärtig Doris Leuthard bejubelt wird. Umso grösser war dann die Fallhöhe.

Durch und gegen die Personalisierung lassen sich dem Film allerdings ein paar Symptome zur psychischen Verfassung der herrschenden Kaste ablesen.

Über ihren sozialen Status scheint sich Elisabeth Kopp nie im Zweifel gewesen zu sein. Sie gehörte zur auserwählten Elite. Dazu zählte durchaus ein wenig Nonkonformismus. Dass sie unentschuldigt in der Schule fehlte, um an den Schweizer Juniorinnenmeisterschaften im Eiskunstlaufen teilzunehmen, will sie uns und sich als Rebellion verkaufen, für die sie fünf Jahre lang allein in einer Schulbank vor sich hin gedarbt habe. Ich kann mir das nicht anders als selbst verfestigte Abschottung vorstellen. Kopp weist jederzeit ausdrücklich auf die Zumiker Connection hin, die sie bis heute getragen habe. Aber Bekannte, Freunde tauchen im Film nicht auf; die einzige herzliche Szene gehört einem Wirt im Tessin. Es friert einen ob solch olympischer Einsamkeit. Und die Beziehung zu ihrem Mann Hans W. Kopp verlangt nach einem Psychogramm, vor dem mir schwindelt.

Im Film verliest Kopp, mit einer Träne im Auge, ein eigenes Communiqué von 1989, in dem sie, allzu spät, einen Fehler eingesteht. Seither beharrt sie bei öffentlichen Auftritten oder am Lokalfernsehen wieder hartnäckig darauf, damals nicht gelogen, sondern bloss etwas verschwiegen zu haben. Das sind die üblichen Sophistereien, die bei allen Mächtigen kurz vor dem Fall und auch danach kommen.

Magisches Denken

Verschiedentlich behauptet Elisabeth Kopp, ein ganz bestimmtes Vorkommnis habe ihren Sturz und ihre bürgerliche Vernichtung bewirkt: der ursprüngliche «Tages-Anzeiger»-Artikel über die Geldwäschereiermittlungen, die Pressekonferenz von Sonderermittler Hans Hungerbühler, die Stellungnahme von Moritz Leuenberger, Präsident der Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK). Da kommt ein eindimensionales, geradezu magisches Denken zum Vorschein. Wenn nur diese eine Handlung nicht gewesen wäre, wäre die Welt noch in Ordnung. Sichtbar wird darin auch eine Selbstbezogenheit, die die Welt nur im Hinblick auf sich selbst wahrnimmt. Man könnte es auch den Autismus der Macht nennen.

Gerade weil Kopp nicht wirklich zu den Mächtigen gehörte und von ihnen fallen gelassen wurde, hebt sich dieser Zug, mehr einer der Charaktermaske als des Charakters, so deutlich hervor. Die Verfahren gegen US-Wirtschaftsführer, gegen den Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann oder der Swissair-Prozess stellen diesen Autismus gegenwärtig ein wenig auf den Prüfstand. Nur um ihn im Falle von Ackermann mit einem branchenüblichen Ablass gleich wieder zu bestätigen. Persönliche Tragik haben wir alle genug; wir brauchen immer noch und wieder mehr Analysen gesellschaftlicher Mechanismen.