Knapp daneben: Durchs Leben mit Xamax

Nr. 8 –

«Malade hier, guéri aujourd’hui» – gestern krank, heute genesen. Das alte Wortspiel zum Stadion von Neuchâtel Xamax war selten passender als heute, in den Tagen nach der Einweihung der neuen Maladière. Ohne das Schmuckstück am See, war zu lesen, gäbe es den Klub heute nicht mehr. Nur die Aussicht auf ein neues Zuhause, auf eine attraktive Spielstätte mit allem Komfort der Neuzeit, hielt Xamax am Leben, liess Gelder fliessen und Investoren einsteigen. Nun herrscht Zuversicht: Präsident Sylvio Bernasconi unterbrach seine Skiferien, um Pascal Zuberbühler von West Bromwichs Tribüne ins Tor von Xamax zu holen. Auch Rainer Bieli, einst Torschützenkönig in Diensten von Xamax, ist zurück. Er traf schon im ersten Spiel, ins eigene Tor.

Xamax ist ein Verein mit einem klingenden Namen. Seine Europacup-Auftritte waren in meiner Kindheit das Aufregendste, was der Schweizer Fussball hergab. Ich erinnere mich, wie junge Männer aus meinem Dorf unter der Woche nach Neuenburg fuhren, um das Spiel gegen den grossen HSV zu sehen. Xamax mochten immer alle. Niemand neidete ihnen den Erfolg, weil Xamax mit seinem Erfolg nie protzte. Der Ire Don Givens, zu jener Zeit Abwehrchef auf der Maladière, verkörperte diese Eigenschaften wie kein zweiter. Ein Gentleman in Stollenschuhen.

Seit ein paar Jahren ist mir Xamax auch eine praktische Hilfe im Alltag. Ein Bekannter schenkte mir ein Serviertablett von 1977, das mit einer illustren Neuenburger Mannschaft bedruckt ist: Ilja Katic ist zu sehen, Michel Decastel, Guy Mathez und der junge Bidu Zaugg mit buschigem Schnauz. Und im Tor Christian Constatin. Wenn ich meinen Bekannten in seinem Laden besuche, holen wir uns gelegentlich zwei Tassen Kaffee in der Bar nebenan. Dabei macht sich das Xamax-Tablett sehr gut. «Finaliste Coupe de Ligue 1977» steht drauf und erinnert an längst vergessene Wettbewerbe.

2002 weilte ich während der Expo ein paar Tage in Neuenburg. Am See war ein Riesenrad aufgebaut. Als es mich in die Höhe hievte, lag unter mir das alte Stadion in seiner ganzen Pracht. Ich erinnerte mich an die paar Spiele, die ich dort besucht habe und an die BewohnerInnen des Wohnblocks hinter der Heimkurve, die die Spiele vom Wohnzimmer aus verfolgten. Als mich die zweite Umdrehung nach oben brachte und ich den Blick fotografisch festhalten wollte, merkte ich, dass der Film voll war. Ich ging einen neuen kaufen, zahlte noch einmal acht Franken und bestieg das Riesenrad ein zweites Mal. Von einem der Fotos liess ich später eine Postkarte herstellen. Ich schickte Neuchâtel Xamax einen Stapel davon, was sie mit einem rührenden Brief verdankten.

Als die Schweizer U21-Nati ein Jahr später in La Chaux-de-Fonds gegen Albanien spielte, spazierte ich vor dem Anpfiff durch die Charrières. Auf einer Steinmauer, in einer Reihe mit gewöhnlichen MatchbesucherInnen, sass Monsieur Xamax Gilbert Facchinetti. Für den älteren Herrn im grauen Anzug wäre bestimmt ein Platz auf der Ehrentribüne reserviert gewesen. Facchinetti zog die Stehplätze vor und liess die Beine vom Mäuerchen baumeln. Ein Bild, typisch für Neuchâtel Xamax.

Die Unaufdringlichkeit, mit der mich die Neuenburger durch mein Leben begleiten, verbietet es mir, auch nur ein kritisches Wort über die neue Maladière, ihren Kunstrasen oder ihr Dach zu verlieren, das den AnwohnerInnen nun den freien Blick verstellt. Auch will es mir nicht gelingen, im neuen Wappen etwas Schlechtes zu sehen. Xamax scheint gesund. Und weil sich Aufstiegskonkurrent Kriens mit Sicherheit weigern wird, Super-League-Spiele auf der Luzerner Allmend auszutragen, werden die Neuenburger die Challenge League bald hinter sich lassen. Bis dann wird auch Rainer Bieli die Orientierung in der neuen Maladière leichter fallen.