Sigmund Freud: Geschenkter Lust aufs Maul geschaut

Nr. 11 –

«Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten» untersucht, was passiert, wenn man mit Worten andere zum Lachen bringt.

«Durch Worte kann ein Mensch den anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben, durch Worte überträgt der Lehrer sein Wissen auf die Schüler, durch Worte reisst der Redner die Versammlung der Zuhörer mit sich fort und bestimmt ihre Urteile und Entscheidungen. Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur Beeinflussung der Menschen untereinander», sagt Freud in den «Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse». In seinem Buch über den «Witz und seine Beziehung zum Unbewussten» zeigt er - am Beispiel dessen, wie man mit Worten andere lachen macht -, worin diese Kraft von Worten besteht. Sinn (respektive Unsinn) und Trieb sind in Freuds «Witz»-Text auf eine Art eng geführt, die es überhaupt ermöglicht, einen Bezug zwischen der Sinn- und Wunschtheorie der «Traumdeutung» einerseits und der Triebtheorie der «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» andererseits zu erahnen. Der «Witz und seine Beziehung zum Unbewussten» betont die Notwendigkeit der Verführung (in diesem Fall: der Verführung zum Lachen) für die Ökonomie des psychischen Apparats, der den Umweg über den (lachenden) anderen braucht, wenn er selber Lust aus seiner Tätigkeit ziehen will.

Freud bringt die zahlreichen von ihm untersuchten Witzbeispiele und Witztechniken auf einen einzigen Nenner: Sowohl der «harmlose» Witz (das Spiel mit Sinn und Unsinn) als auch der «tendenziöse» Witz (der verborgene sexuelle oder aggressive Impulse zum Ausdruck bringt) erzielen ihre Wirkung durch die Ersparung von psychischem Aufwand. Dieser Aufwand kann (beim tendenziösen Witz) der sonst gegen die verpönten sexuellen und aggressiven Tendenzen gerichtete «Hemmungs- oder Unterdrückungsaufwand» sein oder aber (beim harmlosen Witz) jener psychische Aufwand, der erforderlich ist, das wilde, unbewusste, «primärprozesshafte» Denken zum «sekundärprozesshaften», bewussten, logischen Denken zu disziplinieren. Der tendenziöse Witz kann nur deshalb erlösendes Lachen bewirken, weil er sich der Lust aus der Entbindung des Unsinns bedient. Dieses Zusammenspiel zwischen der Lust aus der Befriedigung einer unterdrückten, verbotenen, sexuellen oder aggressiven Tendenz und der Lust am Unsinn funktioniert nicht dank «einfacher Kraftwirkung», sondern durch ein «verwickeltes Auslösungsverhältnis». Die Lust am Unsinn kann sich Bahn brechen, weil sie in den Dienst einer ernsthaften Tendenz gestellt wird; die aus der Aufhebung der Unterdrückung der tendenziösen Absicht resultierende Lust wird durch die Entbindung der Unsinnslust gesellschaftsfähig. Harmlose und tendenziöse Lust befördern einander in einer Art symbiotischem Verhältnis. Freuds Argumentation ist also energetisch und ökonomisch. Eine psychische Energie, deren Verwendung sozusagen fest im Seelenhaushalt eingeplant ist, wird durch den Witz für einen kurzen Moment befreit und entlädt sich im Lachen. Nun pflegen wir aber in der Regel nicht über Witze zu lachen, die wir selber produzieren. Denn hier wird, um in Freuds ökonomischem Bild zu bleiben, der ersparte Energieaufwand für die Fabrikation des Witzes wieder verbraucht. Es braucht also mindestens zwei Personen, damit ein Witz funktionieren kann: diejenige, die den Witz macht und erzählt, und diejenige, die darüber lacht. Der Lachende hat die Ersparung von der Erzählerin geschenkt bekommen. Stellvertretend für die Erzählerin führt der Zuhörer die geschenkte psychische Energie im Lachen ab, welches die Erzählerin als willkommene und beabsichtigte Entschädigung für den Aufwand der Herstellung des Witzes kassiert. Der Witz funktioniert dank der in ihm verkörperten Amalgamierung von Sinn und Unsinn, er ist zu seinem Funktionieren auf die Mitteilung angewiesen und auf das Verständnis beim Hörer angelegt. Im Moment des Lachens verpufft das Verständnis, das auf der Bindung von Energie beruht, in energetischer Ent-Bindung. Das Lachen ist der Augenblick des lustvollen Kurzschlusses von Sinn und Unsinn, Bindung und Entbindung. Damit droht auch beim Witz (wie beim Traum) dessen Zerstörung durch Verstehen: Der Witz erhält sich dadurch, dass er die Hörerinnen und Hörer zur Fortführung dieses Bindungs-Entbindungs-Spiels verführt, mit anderen Worten, sie zum Weitererzähler des Witzes macht. Die Zumutung des Un-Sinns wird bei der Mitteilung des Witzes zur Quelle von Lust.

Beim Erzählen von Witzen erweist sich die psychische Ökonomie als eine Ökonomie des Tausches, als eine Ökonomie, in der verausgabt und erspart und das Ersparte sogleich wieder verausgabt wird: psychischer Aufwand, welcher als gemeinsame Währung fungiert, als universaler Tauschwert, der zwischen den Subjekten als Geschenk zirkuliert. Darum ist der Sexualtrieb und nicht der Hunger der Trieb par excellence. Er drängt zu den Zonen des Austausches, den erogenen Zonen, dorthin, wo ein anderer Triebanspruch dem Körper begegnet. Nicht ohne Grund erscheint es Freud, als existiere ein «Trieb zur Mitteilung des Witzes». Man kann vielleicht sagen: Im Drang nach Mitteilung zeigt sich der Drang des Triebes einerseits nach (sprachlicher) Repräsentation und andererseits danach, diese - in der Entbindung des Lachens beim anderen - wieder in quasi reine Energie zu überführen.

Der «Trieb», das «Wort, um das uns viele moderne Sprachen beneiden», wie Freud schreibt, der «Trieb», der also unübersetzbar ist, steht auch für jenen Drang, der aus dem Prinzip der Unübersetzbarkeit geradezu folgt - den Drang, es immer wieder zu versuchen, das Unsagbare zu sagen. Der Trieb präsentiert sich bei Freud indirekt als jener «Unsinn», der den Witz unübersetzbar macht - jedenfalls in die Sprache des Sinns, in welcher die Energie, mit welcher der Witz spielt, gebunden ist und darum nicht mehr zum Lachen drängt. Das triebhafte Produkt par excellence ist für Freud also weniger die sexuelle Perversion als der Witz. (Gemeinsam ist beiden allerdings die Bedeutung der «Vorlust», mit welcher die Perversion sich begnügt und welche der Witz in seiner tendenziösen Variante zur Aufhebung der Verdrängung verpönter Inhalte nutzt.) Während die Perversion den Trieb gleichsam inhaltlich fixiert (und darum eine sehr ernste Angelegenheit darstellt), spielt der Witz mit der Auflösung der Inhalte.

Der Witz

«Der Witz ist die sozialste aller auf Lustgewinn zielenden seelischen Leistungen. Er benötigt oftmals dreier Personen und verlangt seine Vollendung durch die Teilnahme eines anderen an dem von ihm angeregten seelischen Vorgange.

Er muss sich also an die Bedingung der Verständlichkeit binden (...). Im Übrigen sind die beiden, Witz und Traum, auf ganz verschiedenen Gebieten des Seelenlebens erwachsen und an weit voneinander entlegenen Stellen des psychologischen Systems unterzubringen. Der Traum ist (...) ein, wiewohl unkenntlich gemachter, Wunsch; der Witz ist ein entwickeltes Spiel.»

«Wir können nun die Formel für die Wirkungsweise des tendenziösen Witzes aussprechen: Er stellt sich in den Dienst von Tendenzen, um vermittels der Witzeslust als Vorlust durch die Aufhebung von Unterdrückungen und Verdrängungen neue Lust zu erzeugen. Wenn wir nun seine Entwicklung überschauen, dürfen wir sagen, dass der Witz seinem Wesen von Anfang an bis zu seiner Vollendung treu geblieben ist. Er beginnt als ein Spiel, um Lust aus der freien Verwendung von Worten und Gedanken zu ziehen. Sowie das Erstarken der Vernunft ihm dieses Spiel mit Worten als sinnlos und mit Gedanken als unsinnig verwehrt, wandelt er sich zum Scherz, um diese Lustquellen festhalten und aus der Befreiung des Unsinns neue Lust gewinnen zu können. Als eigentlicher, noch tendenzloser Witz leiht er dann Gedanken seine Hilfe und stärkt sie gegen die Anfechtung des kritischen Urteils, wobei ihm das Prinzip der Verwechslung der Lustquellen dienlich ist, und endlich tritt er grossen, mit der Unterdrückung kämpfenden Tendenzen bei, um nach dem Prinzip der Vorlust innere Hemmungen aufzuheben. Die Vernunft - das kritische Urteil - die Unterdrückung, dies sind die Mächte, die er der Reihe nach bekämpft; die ursprünglichen Wortlustquellen hält er fest und eröffnet sich von der Stufe des Scherzes an neue Lustquellen durch die Aufhebung von Hemmungen.»



Freud an der Bar

Die Referate, die Peter Schneider im Rahmen der Reihe «Theorie an der Bar» in der Zürcher Bar und Buchhandlung Sphères hält, erscheinen in loser Folge vorab in der WOZ. Diesmal ist Sigmund Freud (1856-1939) an der Reihe, der Begründer der Psychoanalyse.

Peter Schneider lädt ins «Sphères» (Hardturmstrasse 66) zum Diskutieren: am Montag, 19. März, über den Witz bei Sigmund Freud. Beginn: 20 Uhr. Eintritt: 10 Franken (Platzreservation empfohlen). Nächster Termin: 16. April.



SIGMUND FREUD: «Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten» (1905, GW VI, Seiten 204/205 und Seite 154).

Im laufenden Semester sind erschienen: René Descartes «Gottes Kartenhaus» (WOZ Nr. 5/06); Adam Smith «Die segensreiche Täuschung» (WOZ Nr. 49/06); Ludwig Fleck «Denken mit Stil» (WOZ Nr. 2/07), Bernard Mandeville «Rechne mit dem Laster!» (WOZ Nr. 7/07).