Handeln mit dem Klima (1): Gerecht geht nicht

Nr. 13 –

Wer Emissionsbegrenzungen mit einem Markt verbindet, ermöglicht effizienteren Klimaschutz. Sagt die Theorie. Die ersten Erfahrungen lassen zweifeln.

Anfang 2005 trat das aufwendigste gesetzliche Umweltregelwerk in Kraft, das es je gab. Die Zwischenbilanz des EU-Emissionshandels ist eindeutig: Seine erste Phase ist gescheitert. Für die einen ist es der Fehlstart einer guten Idee - zu ihnen gehören neben den beteiligten Regierungen AnhängerInnen marktliberaler Ideen wie das britische Wirtschaftsmagazin «Economist» oder Umweltorganisationen wie der WWF. Für andere, etwa die Durban Group for Climate Justice, ist die Idee an sich untauglich - womit nicht nur der EU-Emissionshandel infrage gestellt ist, sondern auch das Kioto-Abkommen, bei dem der Emissionshandel ebenfalls ein zentrales Element darstellt.

So funktioniert ein Emissionshandel: Die Teilnehmer brauchen Bewilligungen, um CO2 oder andere Treibhausgase in die Atmosphäre zu entlassen. Teilnehmer sind im Falle der EU 13000 Betriebe aus den fünf CO2-intensivsten Branchen. Im Falle des Kioto-Protokolls sind es 38 Industriestaaten, die das Protokoll unterzeichnet und sich verpflichtet haben, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Entwicklungs- und Schwellenländer, die das Protokoll ebenfalls unterzeichnet haben, haben keine Reduktionsverpflichtung und deshalb auch keine handelbaren Bewilligungen. Ausgegeben werden die Emissionsrechte - eine neue Form von Eigentumsrecht - von den zuständigen Behörden, den Regierungen der EU-Mitglieder respektive der Uno-Klimabehörde UNFCCC.

Wer mit den ihm zugeteilten Emissionsrechten nicht auskommt, muss zusätzliche Rechte von anderen MarktteilnehmerInnen kaufen - Verschmutzen bekommt einen Preis. Wer sparsamer ist, als er sein müsste, kann seine Rechte verkaufen und wird somit für seine Sparsamkeit belohnt. Über die Menge der ausgeteilten Rechte lässt sich die Höhe der Emissionen festlegen. So weit die Theorie.

Die erste Phase des EU-Handels dauert von 2005 bis Ende 2007, und gescheitert ist sie Ende April 2006: Innert einer Woche sackte der Preis für das Recht, eine Tonne CO2 auszustossen*, von 27 auf 11 Euro ab. Es war offensichtlich geworden, dass die EU-Regierungen mehr Rechte ausgegeben hatten, als die Industrie benötigte. Der Preis sank noch weiter und dümpelt heute um 1 Euro (zum Vergleich: Wer über MyClimate eine Tonne CO2 in der Schweiz «kompensieren» will, zahlt dafür 120 Franken). Dumm gelaufen, machen wirs das nächste Mal besser, sagen die einen. Ein Fehler im System, sagen die anderen.

Doch zuerst ein paar Klärungen weit verbreiteter Irrtümer:

• Emissionshandel ist kein Klimaschutz: Was im Deutschen Emissionshandel genannt wird, heisst auf Englisch Cap and Trade. Das macht deutlich, dass es sich um ein System aus zwei Elementen handelt. Klimawirksam ist das Element Cap, also die Reduktion der auszugebenden Rechte. Das Trade-Element ist nicht klimarelevant.

• Der CO2-Ausstoss wird durch die bestehenden Handelssysteme nicht verteuert. Das wäre der Fall, wenn die Emissionsrechte bei der Erstausgabe verkauft würden. Sowohl die EU wie das Kioto-Protokoll verschenken sie aber. Was die einen zum Zukauf von Rechten aufwenden, verdienen andere - wobei nicht unbedingt die klimafreundlichen Betriebe profitieren, sondern die, die am geschicktesten mit den Kursschwankungen umzugehen wissen. Die britische Elektrizitätsbranche soll mit dem Emissionshandel im Jahr 2005 zwei Milliarden Franken verdient haben.

• Das Handelssystem ist für die beteiligte Volkswirtschaft kein Anreiz, möglichst wenig CO2 auszustossen. Sondern genau so viel wie vorgegeben. Das kann insofern ein Vorteil sein, als sich damit Ziele (theoretisch) sehr genau erreichen lassen. Würden aber in einem Bereich unerwartete Fortschritte erzielt, so werden diese zunichte gemacht, indem der Fortschritt des einen den anderen berechtigt, umso mehr CO2 auszustossen.

Würde man auf Grenzwerte setzen - also «Cap» ohne «Trade» -, wäre die Botschaft: Stosst höchstens so viel aus; beim Handelssystem lautet sie: Stosst genau so viel aus. Weshalb also «Trade»?

Ein Grund war, im Falle der EU, Pragmatismus, wie Frank Krysiak, Professor für Umweltökonomie an der Universität Basel, erklärt: Eine CO2-Abgabe (wie sie die Schweiz halbbatzig einführt) würde in der EU als Steuer betrachtet, deren Einführung nicht in der Kompetenz der Kommission liegt. Einen anderen Grund für das Trade-Element nennt Patrick Hofstetter, Klimaexperte des WWF Schweiz: «Weil die Industrie und die Kioto-Vertragsstaaten es wünschen. Nur mit diesem Zugeständnis können wir sie ins Boot holen.»

Der Handel soll den Klimaschutz ökonomisch möglichst effizient machen, indem er dafür sorgt, dass zuerst dort etwas unternommen wird, wo es am wenigsten kostet: Angenommen, Firma A müsste 100 Franken aufwenden, um eine Tonne CO2 einzusparen, Firma B aber nur 50. Firma A kann sich die Investitionen sparen, wenn sie der Firma B ein Emissionsrecht für beispielsweise 75 Franken abkauft. Firma B muss dann eine Tonne zusätzlich einsparen, was sie 50 Franken kostet. Am Ende hat A 25 Franken gespart, B 25 Franken verdient.

Für das Klima ist das - theoretisch - irrelevant, weil es egal ist, wo auf der Welt die Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. KritikerInnen sehen aber genau hier das Problem: Die billigsten Lösungen seien selten nachhaltig. Indem nur dort gespart werde, wo es wenig koste, würden auf fossile Energieträger ausgerichtete Strukturen länger am Leben erhalten. Dass sowohl die EU wie Kioto es zudem erlauben, statt Emissionsbewilligungen sogenannte Kompensationen mit ungewisser Wirkung zu kaufen, sei endgültig ein Schlupfloch für alle, die nichts tun wollten (zu den Kompensationen siehe die nächste Folge unserer Serie). Man kennt den Gedanken von ganz anderer Seite, etwa als Argument gegen Staatsinterventionen zum Schutz von Arbeitsplätzen: Wer notwendige Strukturanpassungen vermeidet, schadet längerfristig der Wirtschaft.

Ein Hauptproblem des Emissionshandels besteht darin, wie die dafür neu geschaffenen Eigentumsrechte vergeben werden sollen. Verschiedene Ansätze sind denkbar:

• Sie werden pro Kopf an die gesamte Weltbevölkerung (respektive proportional zur EinwohnerInnenzahl an die Staaten) verteilt.

• Sie werden an die Meistbietenden versteigert. Das verlangen beispielsweise ÖkonomInnen, aber auch Umweltschutzorganisationen. Nachteil: Finanzkräftige können Finanzschwache ausstechen.

• Am meisten Rechte erhält, wer bislang noch am wenigsten Gelegenheit hatte, Treibhausgase zu produzieren. Oder im Gegenteil:

• Am meisten Rechte erhält, wer bislang schon am meisten Treibhausgase produzierte («Grandfathering»).

Das Kioto-Protokoll mischt die beiden letztgenannten, gegensätzlichen Ansätze. Es verpflichtet die Entwicklungs- und Schwellenländer zu keinen Reduktionen, gesteht ihnen also Emissionsrechte in beliebiger Höhe zu (die allerdings nicht verkauft werden können). Die Industriestaaten erhalten ihre Rechte gemäss dem Grandfathering-Prinzip. Der EU-Emissionshandel läuft ganz nach Grandfathering: Die Branchen, die bislang am meisten CO2 produzierten (wie etwa die Stromwirtschaft), erhalten auch am meisten Emissionsrechte. Mit diesem System muss sich am wenigsten ändern, und wer am meisten verschmutzt, wird belohnt.

Im Detail wurde um die Verteilung der Rechte intensivst gefeilscht; die Kioto-Klimaverhandlungen glichen zeitweise einem Basar, und auch in den EU-Staaten wurden riesige Lobbymaschinen in Gang gesetzt. Der Handel mit seiner Bürokratie, meinen die KritikerInnen der Durban Group, sei nicht nur eine enorme Verschwendung personeller Ressourcen, sondern er motiviere Industriebetriebe vielmehr dazu, LobbyistInnen statt UmwelttechnikerInnen einzustellen. Dass die EU in der ersten Phase (die Emissionsrechtezuteilung für die zweite Phase, die von 2008 bis 2012 dauert, ist neun Monate vor Beginn noch nicht definitiv) zu viele Rechte ausgegeben hat, ist für die Durban Group kein Zufall: Das sei nicht anders zu erwarten in einer Welt, wo die Industrielobby derart mächtig ist - und in einer EU, deren Mitglieder derart untereinander konkurrieren, dass kein Staat strengere Vorschriften für seine Industrie erlassen will als die anderen.

Patrick Hofstetter vom WWF Schweiz pflichtet dem bei, meint allerdings, dass dasselbe Argument - starke Industrie, schwache Politik - auch für andere Massnahmen zutreffe. Man sehe das am Gefeilsche um die Schweizer CO2-Abgabe.

Die Frage der Verteilung von neu geschaffenen Nutzungsrechten an einem Gut - der Atmosphäre respektive dem Klima -, das allen gehört, ist eine Frage der Gerechtigkeit. Ein vollständig gerechter Handel wäre aber auch mit einer idealen Verteilung nicht zu haben, denn: Auf dem Markt sind alle Emissionen gleich, egal aus welcher Quelle sie kommen. Der Markt unterscheidet nicht, ob Treibhausgase entstehen, wenn Reis angebaut wird, von dem eine ganze Region sich ernährt, oder wenn eine übersättigte Freizeitgesellschaft für Ferien um die Welt jettet. Finanzstarke VerursacherInnen von «Luxusemissionen» sitzen am längeren Hebel als finanzschwache Menschen, die auf «Existenzemissionen» angewiesen sind.

Die Idee, Emissionen dadurch in den Griff zu bekommen, dass man ihnen einen Markt schafft, reflektiert die blinden Flecken einer marktliberal dominierten Sicht auf die Welt. Der Bericht der Durban Group for Climate Justice sagt es so: «In einer Atmosphäre der Privatisierung erschien es richtig, die Atmosphäre zu privatisieren.»

* Eine Tonne CO2 entspricht beispielsweise einer Fahrt über 4000 Kilometer mit einem Auto, das pro hundert Kilometer acht Liter Benzin verbraucht.



Serie Emissionshandel

Im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung hat sich in den letzten Jahren ein Handel mit Treibhausgas-Emissionen entwickelt. Dieser Handel umfasst verschiedene, sich teilweise überlappende Märkte:

• Auf dem freiwilligen Markt kaufen Personen oder Organisationen aus Verantwortungsgefühl oder Imagegründen Kompensationen, um die schädliche Klimawirkung ihres Tuns zu «neutralisieren» - sie sorgen dafür, dass die Menge Treibhausgas, die sie produzieren, anderswo eingespart wird.

• Teilnehmer auf den obligatorischen Märkten benötigen Emissionsrechte, um Treibhausgase ausstossen zu dürfen. Diese werden von der zuständigen Behörde zugeteilt und können gehandelt werden. Einen solchen Markt kennt die EU oder das Kioto-Abkommen. Der Bundesrat hat die Absicht geäussert, die Schweiz am EU-Handel zu beteiligen.

• Sowohl der EU-Markt wie auch Kioto erlauben es, Kompensationen in Emissionsrechte umzuwandeln.

Der freiwillige Markt ist nicht reguliert. Das Kioto-Abkommen sieht Regeln und Kontrollen vor; Kompensationen müssen von der Uno zertifiziert sein. Sie heissen Clean Development Mechanism (CDM) in Ländern ohne eigene Reduktionsverpflichtungen oder Joint Implementation (JI) in Industrieländern. Der EU-Markt übernimmt die Kioto-Regeln, lässt aber nicht alle Formen von CDMs respektive JIs zu.

Teil eins unserer Serie widmet sich dem Handel mit Emissionsrechten, Teil zwei (er erscheint in der nächsten Ausgabe) den Kompensationen. In Teil drei (WOZ Nr. 15/07) geht es dann um die Geschichte der Handelsidee und um Alternativen.

Larry Lohmann: «Carbon Trading. A Critical Conversation on Climate Change, Privatisation and Power.» Herausgegeben von der Durban Group für Climate Justice und der Dag Hammarsköld Foundation. Development Dialogue Nr. 48, September 2006. 359 Seiten. Erhältlich als PDF: www.thecornerhouse.org.uk/pdf/document/carbonDDlow.pdf