Linguistik: Wir GenerikerInnen

Nr. 14 –

Weshalb ein japanischer Germanist auf den Spuren des Sprachwandels Feldforschung auf der WOZ betreibt.

WOZ: Herr Okamura, wie kommt ein japanischer Germanist auf die Idee, das Binnen-I - das grosse I in Wörtern wie «LeserInnen» - zu erforschen?

Saburo Okamura: Ich interessiere mich für Sprachwandel im modernen Deutsch, und das Binnen-I steht für einen solchen Wandel. Mein besonderes Interesse für männliche und weibliche Sprachformen hat damit zu tun, dass meine Muttersprache kein grammatisches Geschlecht kennt. Der Genus ist für Japaner und Japanerinnen, die Deutsch lernen, immer ein grosses Problem, zumal nicht nur Wörter für Personen, sondern auch Wörter für Dinge ein Geschlecht haben. Noch komplizierter wird es, weil Wörter für weibliche Menschen sächlich sein können - das Weib, das Mädchen. Ich habe gelernt, dass in der Regel feminine Formen Frauen bezeichnen, maskuline aber entweder Männer oder beide Geschlechter. Im zweiten Fall spricht man von generischen Maskulina. Doch diese generischen Maskulina wurden zum Angriffsziel der feministischen Sprachkritik. Die Tendenz ging in den letzten zwei Jahrzehnten dahin, dass die maskulinen Formen wirklich nur für Männer oder Knaben gebraucht werden. Somit braucht es neue Formen, wenn man beide Geschlechter meint. Man kann das auf verschiedene Arten lösen. 1994 war ich ein erstes Mal in der Schweiz, um die Wädenswiler Kontroverse um das generische Femininum zu untersuchen.

Was war denn das?

Das Parlament von Wädenswil wollte eine Gemeindeordnung einführen, die das generische Femininum verwendet, also: Man schreibt «Bürgerinnen» und meint damit sowohl Bürger wie Bürgerinnen. Das Vorhaben scheiterte allerdings.

Gab es ähnliche Versuche sonstwo?

Die schleswig-holsteinische Stadt Eutin hat 1998 für ihre Verwaltung das generische Femininum eingeführt. Doch es gab Schwierigkeiten, und nach zwei Monaten gab man es wieder auf.

Weil sich Sprache nicht per Dekret ändern lässt?

In diesem Fall klappte es nicht. Aber das Gross-I hat sich halten können. Es wird in der Schweiz und in Deutschland, wenn auch nicht offiziell, recht häufig angewandt. Auch das ist eine generische Form, und deshalb hat es sich wohl durchsetzen können, denn es ist handhabbar. Die Schwierigkeiten mit dem Binnen-I beginnen bei der Aussprache. Nimmt man die Form «LehrerInnen» als Abkürzung und liest «Lehrer und Lehrerinnen», macht man vor dem I beim Sprechen eine kleine Pause, oder sagt man einfach «Lehrerinnen», wodurch man beim Sprechen das generische Femininum verwendet?

Was erforschen Sie nun?

Mich interessiert, wie wurde dieses Binnen-I eingeführt, wie wird es praktiziert und wie die Reaktionen darauf sind. In der «taz» war die Schreibweise als Übergangslösung gedachtund man diskutierte vor einiger Zeit deren Abschaffung - blieb dann aber doch dabei. Selbst dort, wo man das Binnen-I nicht verwendet, etwa im offiziellen Sprachgebrauch, hat es vielleicht doch dazu beigetragen, dass heute eher beide Formen genannt oder neutrale Formen verwendet werden, statt die Frauen im generischen Maskulinum nur mitzumeinen. Beispielsweise in der revidierten Schweizer Bundesverfassung. Diese nennt konsequent beide Formen, und wenn es heisst: «Jeder Schweizer ist verpflichtet, Militärdienst zu leisten», dann sind damit wirklich nur männliche Schweizer gemeint.

Welche Rolle spielte die WOZ für das Binnen-I?

Wenn nicht die WOZ das Binnen-I eingeführt und die «taz» es übernommen hätte, wäre diese Schreibung wohl nie über eine kleine Nische hinaus populär geworden.

Erfunden hat das Binnen-I ein Mann; in der WOZ haben es 1983 und 1984 zwei Männer erstmals verwendet, nach Deutschland - zur «taz» und zum «Konkret» - importiert hat es ein Mann. Ist das ein Zufall?

Das weiss ich nicht. Aber es war die feministische Sprachkritik, die den Weg dazu geebnet hat.

Gibt es im Japanischen etwas Vergleichbares?

Weil es kein grammatisches Geschlecht gibt, sind Personenbezeichnungen, ähnlich wie im Englischen, geschlechtsneutral. Mit wenigen Ausnahmen: Krankenschwester hiess bis vor kurzem Kango-fu, Hebamme Josan-pu. Die Silbe «-fu» oder «-pu» steht für «Frau»; die Wörter bedeuten Pflege-Frau respektive Geburtshilfe-Frau. Das Parlament hat die offiziellen Berufsbezeichnungen vor ein paar Jahren zu Kango-shi respektive Josan-shi neutralisiert - «-shi» steht für «Fachperson». Und das, obwohl von Gesetzes wegen nur Frauen Hebammen sein dürfen.

Hat sich das durchgesetzt?

In der Verwaltungssprache und in den Medien schon; in der Alltagssprache leben die alten Wörter fort.



Saburo Okamura ist Professor für deutsche Sprache und Kultur an der Waseda-Universität in Tokio. Im Rahmen seiner Forschungsarbeit über das Binnen-I besuchte er im März unter anderem die WOZ.