Klimasünder China?: Faule Ausreden

Nr. 17 –

Obwohl Chinas Emissionen rasant wachsen, sollten wir nicht mit dem Finger in Richtung Osten zeigen.

Die Welt ist ungerecht: Unter den Folgen des Klimawandels, die der jüngste Teilbericht des Uno-Klimarats IPCC voraussieht, werden die Menschen in armen Ländern besonders zu leiden haben - Menschen, die an seinen Ursachen den kleinsten Anteil haben.

Aber zum Glück gibt es China und Indien, auf die man mit dem Finger zeigen kann. Man solle doch bitte nicht die einzelnen Flugreisenden an den Pranger stellen, sagte beispielsweise Kuoni-Sprecher Peter Brun jüngst im WOZ-Interview (siehe WOZ Nr. 14/07), solange Indien und China so viel CO2 ausstiessen. Das Argument ist vielerorts beliebt, nicht zuletzt in den USA: Solange China keine Reduktionsverpflichtungen übernehme, wolle man das Kioto-Protokoll nicht ratifizieren. Ebenfalls zu hören war derlei China-Schelte aus den Reihen der deutschen Sozialdemokratie. Nach dem EU-Gipfel Anfang März, auf dem sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Klimavorkämpferin gekrönt hatte, verkündete der SPD-Bundestagsabgeordnete Kurt Bodewig: «Jetzt kann man auch an Länder wie die USA oder China deutlicher herantreten und sagen, dass das Kioto-Protokoll ratifiziert werden muss.»

Schonung aus gutem Grund

Viel Sachkenntnis lassen solche Äusserungen nicht erkennen: So gut wie alle Entwicklungs- und Schwellenländer haben das Kioto-Protokoll ratifiziert. China am 30. August 2002, Indien einige Wochen früher. Rund 170 Länder haben es inzwischen ratifiziert, von den grösseren Staaten fehlen nur noch die USA, Australien und Kasachstan sowie die EU-Beitrittskandidaten Türkei und Kroatien. Die EU hatte sich mit der Ratifizierung viereinhalb Jahre Zeit gelassen.

Dass Kioto nur Industriestaaten verpflichtet, ihren Treibhausgasausstoss zu reduzieren, hat einen guten Grund. Sie sind für den bisherigen Anstieg der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre verantwortlich, während bis in die jüngste Vergangenheit die Emissionen der meisten Länder des Südens kaum ins Gewicht fielen. Auch heute noch sind die Pro-Kopf-Emissionen der Industriestaaten wesentlich höher als die der Entwicklungsländer - wenn man von den Ölförderländern absieht. Den Industriestaaten sollte es aufgrund ihres technischen Know-hows und der entwickelten Forschungsinfrastruktur auch leichter fallen, Alternativen zur fossil getriebenen Wirtschaft zu entwickeln.

Die indische Umweltaktivistin Sunita Narain und ihr Kollege Anil Agarwal vom Center for Science and Environment in New Delhi haben schon 1991 vorgerechnet, wie verschieden die Verantwortung von Nord und Süd für den Klimawandel ist. 26,4 Milliarden Tonnen CO2 gelangen derzeit jährlich durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe in die Atmosphäre. Hinzu kommen vermutlich - diese Zahl ist nicht so exakt zu bestimmen - noch einmal sechs Milliarden Tonnen aus Entwaldung und anderen Änderungen der Landnutzung. Macht zusammen 32 Milliarden oder rund 5 Tonnen pro Erdenbürger. (Die Schweiz verursacht nach offiziellen Zahlen rund 6 Tonnen pro Kopf.) Nur etwas mehr als die Hälfte des CO2 verbleibt in der Atmosphäre und wirkt dort langfristig als Treibhausgas. Etwa zwei Tonnen pro Erdenbürger und Jahr werden derzeit noch von Ozeanen und Biosphäre aufgenommen.

Kein Entwicklungsland ausser den Ölförderländern hat diesen gerade noch verträglichen Rahmen von zwei Tonnen pro Kopf bis zum Ende des 20. Jahrhunderts ausgeschöpft. In Indien lag die Pro-Kopf-Rate 2002 bei 1,2 Tonnen; China hat die Zweitonnengrenze um die Jahrhundertwende überschritten. Mit anderen Worten: Die reichen Länder (respektive die globale Oberschicht, die natürlich auch in den armen Ländern Angehörige hat) nutzen den «Anteil» an der Atmosphäre, der eigentlich den Entwicklungsländern zustünde. Dafür sollten diese doch eigentlich eine Kompensation verlangen können.

Noch augenscheinlicher wird die Ungleichheit mit Blick auf die historischen Emissionen, das heisst auf den kumulierten Ausstoss der vergangenen zweihundert Jahre, der die CO2-Konzentration seit Beginn der Industrialisierung von 280 auf 380 Millionstel Volumenanteile hochgetrieben hat. Verantwortlich sind für diesen Anstieg fast ausschliesslich die Industriestaaten. Gregg Marland und Kollegen vom Carbon Dioxid Information and Analysis Center (CDIAC) in Oak Ridge, Tennessee, haben alte Statistiken über Kohle- und Ölförderung und Zementproduktion sowie andere Wirtschaftsdaten gewälzt und daraus berechnet, wie viel CO2 in früheren Jahrzehnten in die Atmosphäre entlassen wurde. Zum Teil reichen die Daten bis ins 18. Jahrhundert zurück.

Nach diesen Berechnungen hat das grosse China mit seinen heute 1,3 Milliarden EinwohnerInnen zwischen 1903 und 2000 71 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente verursacht, Indien nur 22 Milliarden. Die USA (mit heute 300 Millionen EinwohnerInnen) stehen mit 286 Milliarden Tonnen einsam an der Spitze. Selbst wenn China seine derzeit rasante Zunahme der Treibhausgasemissionen von neun Prozent pro Jahr beibehält, wird es noch 27 Jahre dauern, bis es so viel Treibhausgase produziert hat wie die USA mit ihrer jährlichen Emissionszunahme von zwei Prozent. Und das ist noch grosszügig zugunsten der USA gerechnet, weil deren Emissionen aus dem 19. Jahrhundert nicht berücksichtigt wurden, da aus dieser Zeit für das Land der Mitte keine Vergleichsdaten vorliegen und das aktuelle Emissionsniveau Chinas eher zu dessen Ungunsten abgeschätzt wurde. Die Zunahme der chinesischen Emissionen dürfte in den nächsten Jahren aber deutlich abgeschwächt werden, sofern die Führung in Beijing ihre umwelt- und energiepolitischen Ziele durchsetzen kann. Bis 2010 soll laut dem bis dahin laufenden Fünfjahresplan, der Energieaufwand im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt um zwanzig Prozent verringert werden. Im letzten Jahr sah es mit der Planerfüllung allerdings schlecht aus. Vermutlich ist 2006 der spezifische Energieaufwand sogar noch leicht gewachsen.

Es tut sich was

Die Regierung hat daher bereits im Dezember 2006 Energieeffizienz ganz weit oben auf ihrer Liste der wichtigsten Aufgaben für die nächste Zeit gesetzt. Geplant sind unter anderem in den kommemden Jahren die Stilllegung zahlreicher älterer Kohlekraftwerke. Zusammen sollen sie eine Kapazität von fünfzig Gigawatt haben, was etwas mehr als der Hälfte der im letzten Jahr neu installierten Leistung entspräche. Ausserdem ist geplant, veraltete Stahlwerke und Eisengiessereien zu schliessen, die einen besonders hohen Energieverbrauch haben.

Darüber hinaus gibt es diverse Projekte für erneuerbare Energien - darunter auch fragwürdige Pläne zur Gewinnung von Treibstoffen aus Mais und anderen Pflanzen. China hat bereits einen grossen Hersteller von Solarzellen, und auch mit der Produktion moderner Windenergieanlagen hat man begonnen: Dreissig Gigawatt elektrischer Leistung sollen in diesem Bereich bis 2020 installiert werden. Zehn Prozent des Primärenergiebedarfs sollen erneuerbare Energieträger bis dann decken. Beim Strom ist ein Anteil der erneuerbaren Energien von zwanzig Prozent vorgesehen, wobei die umstrittenen grossen Wasserkraftwerke wie der Drei-Schluchten-Damm nicht mitgerechnet sind.

Gleichzeitig setzt Beijing allerdings auch auf Kohle und beginnt sich für die Sequestrierung zu interessieren, mit der man hofft, künftig CO2 den Kraftwerksemissionen entziehen und im Untergrund einlagern zu können. Langfristig sind der Kohlenutzung allerdings Grenzen gesetzt: China verbraucht heute pro Jahrzehnt fast ein Fünftel seiner Reserven. Wenn der Verbrauch weiter steigt, wozu auch die Umwandlung von Kohle in Kraftstoff für Autos beitragen wird, mit der man gerade begonnen hat, dann dürften die Reserven schon bald erschöpft sein. Ein Grund mehr also für die chinesische Führung, die sich auch um die Energiesicherheit Gedanken macht, ihre Pläne in Sachen erneuerbarer Energien noch einmal zu überdenken und aufzustocken.