Knapp daneben: Das Ende des guten Tons

Nr. 19 –

Musik aus Stadionlautsprechern ist in aller Regel eine vollkommene Katastrophe. In der Schweiz stehen Gott sei Dank noch ein paar wirklich alte Stadien mit wirklich alten Soundanlagen, sodass man oft nur ahnen kann, was einem hier vor dem Anpfiff, zur Pause oder beim Torjubel zugemutet wird. Überall, wo neue oder erneuerte Stadien stehen, in Deutschland, aber auch in Basel oder Bern, ist das Grauen in seiner ganzen akustischen Dimension zu erfahren. Bum, bum, bum, one, two, three, let’s party! Bis zum heutigen Tag habe ich noch keinen Menschen, keine Frau, keinen Mann, keinen Fan, keine Anhängerin getroffen, die diese krank machende Schallpenetration gutheissen würde. Trotzdem verbreitet sie sich unaufhaltsam, und wo ein neues Stadion entsteht, droht neues Ungemach.

So auch in Zürich. Der FCZ ist seit über vier Jahren mit einem Stadion-DJ gesegnet, wie es ihn rund um den Globus vielleicht noch sechs- oder siebenmal gibt. Höchstens. Ein einziges Mal hat mich ein Stadion-DJ wirklich überrascht, doch vermutlich ohne Absicht. In der Pause des kroatischen Erstligaspiels NK Zagreb – Kamen Ingrad jagte der Zuständige den Pulp-Fiction-Soundtrack durchs Oval, und er holte das Allerletzte aus seinen postsozialistischen Boxen. Ein Konzept steckte da kaum dahinter, es klang vielmehr so, als teile hier jemand seine neueste Errungenschaft vom Schwarzmarkt mit den paar hundert Anwesenden. Der Stadion-DJ des FCZ aber, der hat ein Konzept, und dass er nun per Internet seine Demission auf Ende Saison, auf den Umzug in den neuen Letzigrund hin also, bekannt gegeben hat, ist so traurig wie vielsagend.

Anlass seines Eintrags in einem FCZ-Diskussionsforum war der Song «Bring en hei» eines Laufentalers Sängers, den zu spielen der FCZ-DJ nach monatelanger Weigerung offenbar gezwungen wurde, und dies offenbar von allerhöchster Stelle. Als die ersten Takte des Liedes im Hardturm ertönten, hallte es dem armen DJ aus tausend Kurvenkehlen entgegen: «Stell die Musig ab!» «Bring en hei» hat einen WM-Sommer lang die Nati vertont, den Klubfans in den Kurven war der bei «Three Lions» abgekupferte Song aber nie geheuer. Im Falle des FCZ sind sie sich auch schlicht Besseres gewohnt.

Wenn der FC St. Gallen zu Besuch war, legte der FCZ-DJ Baby Jails «D Sanggaller sind scho z Rapperswil» auf. Vor Spielbeginn haute er jeweils «Mir wänd nur dä FCZ» aufs Feld, eine Metalcore-Granate, deren Text die Südkurve in ihre Hymne integrierte. Und zu Ehren einer FCZ-Fangruppierung spielte er Thin Lizzys «The Boys are back in town». Dieser Mann liebt seinen Job, er haucht jeder Stadionbox Leben ein und Witz und bleibt dennoch stets im Hintergrund. Nun hat er genug, und auch wenn sein offener Internetbrief dies nur erahnen lässt, so ist es doch ein bisschen zum Verzweifeln, dass ein Vereinspräsident, der auch schon damit gedroht hat, mit Feuerwehrschläuchen auf die eigenen Fans zu zielen, in seinem Drang zum Retortensport nun auch noch den grossartigen Stadion-DJ entsorgt.

«Nein zum modernen Fussball» heisst es gelegentlich auf Transparenten und Doppelhaltern. Das klingt rückwärtsgewandt, bockig und diffus. Zwischendurch aber, da wird für einen Augenblick ganz deutlich, was gemeint ist, und die Nackenhaare stellen sich auf. Der neue Letzigrund ist bald gebaut, und mit ihm sein topmodernes Soundsystem. «Mir wänd nur dä FCZ» hat dann wohl ausgespielt. An seine Stelle tritt, laut und fett und fehl am Platz, «You’ll never walk alone». Oder nicht, Herr Präsident?