Heilig Blut

Nr. 24 –

Dass dieser Urlaub mit den alten Kriegskameraden seines Vaters für ihn zu einer Bewährungsprobe würde, ahnt der junge Gösch bereits, als sie in Heilig Blut ankommen. In einer Jagdhütte ausserhalb des Dorfes, in dem sich, wie es der Name verspricht, katholische Frömmigkeit mit einer faschistischen Blut-und-Boden-Ideologie vermischt, treffen sich die Kriegsveteranen jährlich, um zu jagen und ihre Naziideale zu pflegen. Gösch bemerkt mit Unbehagen, dass die drei alten Männer in dieser Abgeschiedenheit «in zunehmendem Masse eine Neigung zur Unmenschlichkeit zeigen, die sie gemeingefährlich mache.» Als sie erfahren, dass Wölfe aus einem Gehege ausgebrochen sind und die Wälder unsicher machen, packt sie das Jagdfieber, und sie greifen zu den Waffen.

Die Verfolgungsjagd macht aus den Jägern Wölfe, und der Wald zwischen den Dörfern mit den sinnigen Namen Hundshaupten, Hatzhofen und Undorf wird zu einem Raum jenseits von Gesetz und Gesellschaft - zu einer Wildnis, in der das Recht ausser Kraft gesetzt ist und die Raubtiere herrschen. Mit ihrer eiskalt sezierenden Sprache führt die Autorin durch diese schauerliche Landschaft aus deutschem Fichtenwald, blutigen Ortsnamen und grotesken Gestalten und legt in dieser grausig-komischen Gesellschaftssatire die Mechanismen einer Gemeinschaft bloss, in deren Verehrung des Blutes sich die Symbole der Jagd, des Katholizismus und des Nationalsozialismus überschneiden.

Gisela Elsner (1937 - 1992), deren Bedeutung als avantgardistische Autorin bereits zu Lebzeiten heruntergespielt wurde, geriet nach ihrem Freitod beinahe in Vergessenheit. Die meisten ihrer Bücher waren vergriffen und wurden nicht neu aufgelegt. «Heilig Blut», das bereits vor zwanzig Jahren in russischer Übersetzung erschien und als eines der gelungensten Werke Elsners gilt, war gar nie auf Deutsch verlegt worden. Umso erfreulicher, dass der Verbrecher-Verlag die «grosse Schwester Jelineks», wie sie oft genannt wird, wieder entdeckt und nach den Neuauflagen von «Die Riesenzwerge» und «Das Berührungsverbot» nun auch «Heilig Blut» als gut kommentiertes Taschenbuch im wunderschön handlichen «Verbrecher-Format» herausgibt.

Gisela Elsner: Heilig Blut. Verbrecher Verlag, Berlin 2007. 256 Seiten. 26 Franken