Knapp daneben: Eine Frage der Abgrenzung

Nr. 24 –

Der Chefredaktor der jüdischen Wochenzeitung «Tachles» schildert in der Ausgabe vom 1. Juni 2007, wie er am Abend der letzten Meisterschaftsrunde zufällig in ein Basler Altstadtlokal geriet und dort Zeuge antisemitischer Sprechchöre und Gesänge von FCB-Fans wurde. Zur Illustration des Textes mit dem Titel «Von Zürich nach Auschwitz» hat «Tachles» ein Agenturbild gewählt, das Fans der Basler Muttenzerkurve beim Fahnenschwenken zeigt. Die Kurve zwei Zentimeter neben Auschwitz – die Botschaft ist eindeutig.

Der Artikel hat den Basler FDP-Grossrat Rolf Stürm veranlasst, eine Interpellation einzureichen mit dem Ziel, die Rolle des Fanprojekts Basel hinsichtlich judenfeindlicher Fussballfans zu prüfen und allfällige Verantwortlichkeiten zu klären. Damit hat die Muttenzerkurve nun quasi amtlich ein Antisemitismusproblem. Die Geschichte, von Basler Medien aufgegriffen und in Leserbriefspalten und Internetforen heftig diskutiert, trifft – nur bedingt beabsichtigt – mitten ins Zentrum aktueller Diskussionen um Fans, Fangewalt, Selbstregulierung und Repression.

Vor allem das eingangs erwähnte Bild, auf dem einzelne Exponenten der Muttenzerkurve deutlich zu erkennen sind, hat in der FCB-Fangemeinde für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. «Wenn ein paar Hirnverbrannte abseits des Stadions das Spiel am Fernsehen verfolgen und dazu judenfeindlichen Müll brüllen, heisst das noch lange nicht, dass die ganze Muttenzerkurve judenfeindlich ist», so der Tenor. Man wehrt sich gegen den suggerierten Antisemitismusvorwurf und sieht in ihm eine weitere Pauschalisierung ganzer Fangruppen aufgrund Verfehlungen Einzelner. Dabei wird, in diesem Kontext nur allzu üblich, auch zurückgeschossen: Gerade die Juden müssten doch besonders sensibilisiert sein gegenüber Pauschalurteilen, ist zu lesen.

Der «Tachles»-Artikel hat eine Distanzierung von antisemitischen Parolen bewirkt, wie sie im Meisterschaftsalltag undenkbar wäre. Mit Ausnahme der Berner Halbzeit und der Winterthurer Bierkurve hat sich bis heute keine Fangruppierung, kein Dachverband und keine Kurve in der Schweiz jemals deutlich und unmissverständlich von Diskriminierungen irgendeiner Art distanziert. Die Argumente bleiben stets dieselben: Politik gehört nicht ins Stadion, die Kurve ist heterogen, es haben alle Platz, solange sie ihr Gedankengut draussen lassen. Was vernünftig klingt, ist schwer umzusetzen: Eine offene Kurve ist auch offen für solche, die das Stadion (und den Weg dorthin) als normfreie Zone begreifen, die es gerne möglichst einfältig haben, die sich in der Masse wohl und sicher fühlen, kurz: die mit der fehlenden Abgrenzung nicht umgehen können, weil sie die eigenen Grenzen nicht kennen. Wenn es hundert Leute lustig finden, «Zick, zack, Zigeunerpack» zu singen, kann sie niemand daran hindern – Selbstregulierung wird dann zum frommen Wunsch. Genau so verhält es sich mit dem wieder aufflackernden U-Bahn-Lied («Eine U-Bahn bauen wir von XY bis nach Auschwitz» zur Melodie von «My Darling Clementine»). Das Problem ist hier weniger, dass einige den hehren Grundsatz der politikfreien Zone ignorieren und sich rechtsextrem gebärden. Das Problem ist, dass diese Leute sich bei bestimmten Vereinen, in bestimmten Kurven zu Hause fühlen; dass sie davon ausgehen, ihre Parolen seien angebracht.

Seit einigen Jahren erschwert ein weiterer Umstand eine klare Positionierung innerhalb der Fanszenen: Mit dem Bau neuer Stadien, dem Verschwinden der Stehplatzrampen und dem intensivierten Kampf gegen Randale, Feuerwerk und Vandalismus sehen sich zahlreiche Fankurven in ihrer Existenz bedroht. Sie widersetzen sich den «Zähmungsversuchen» mit allen erdenklichen Mitteln, kämpfen für Freiraum und gegen Sitzplätze. Sich ein Diskriminierungsverbot aufzuerlegen, käme für viele einem weiteren Zugeständnis gleich: «Heute verzichten wir auf Urwaldgeräusche, morgen auf die schwule Sau, und übermorgen? Darf dann auch das Arschloch keins mehr sein?» Solche Gedankenspiele sind nicht aus der Luft gegriffen. England, das mit seinen Ticketpreisen ab fünfzig Franken immer wieder als Musterbeispiel eines gelungenen Transformationsprozesses herhalten muss, kennt bereits heute ein Verbot von «offensive language» in den Stadien.

Hinzu kommt, dass Fankurven nach wie vor zu einem erdrückenden Teil männliche Gebilde sind. Auf den Märschen vom Bahnhof zum Auswärtsstadion geben sich Testosteron- und Promillewerte ein Stelldichein, und je mehr nichts ahnende PassantInnen aus nackter Angst das Weite suchen, desto besser. Bürgerschreck zu sein gehört noch immer zu den zentralen Inhalten zahlreicher Fanexistenzen. Und weil ein Zigeuner- oder Judenlied nebst vielem anderem eben auch erschreckt und provoziert, passt es weit besser in diesen Rahmen, als manche nun glaubhaft machen wollen.

In Basel reagiert man vielleicht auch deshalb besonders empfindlich auf Beiträge wie jenen in «Tachles», weil sich zum einen die organisierten Fans der Muttenzerkurve punkto Rassismus im vergangenen Jahrzehnt erheblich gewandelt, zum andern Verein und Fans seit den Ausschreitungen nach dem Meisterschaftsfinale vom 13. Mai 2006 grosse Schritte aufeinander zu gemacht haben. Die Innenwahrnehmung ist die einer laufenden Entwicklung zum Besseren. Es wird sich zeigen, inwiefern diese Entwicklung auf die Wahrnehmung von aussen wirkt.