Knapp daneben: Die blauen Jungs

Nr. 41 –

«No comment», sagt der Mann und hängt auf, noch bevor ich die erste Frage gestellt habe. Ich wusste im Grunde noch gar nicht, was ich fragen wollte. So erstaunt war ich, die Telefonnummer einfach so im Internet zu finden, dass ich kurzerhand zum Hörer griff und anrief. Wenn dann jemand bereit ist zu reden, werden sich die Themen schon ergeben. Es ist niemand bereit. Logisch, eigentlich.

Die Bad Blue Boys sind die Fans von Dinamo Zagreb. Als die Auslosung für die Gruppenphase des Uefa-Cups dem FC Basel ein Gastspiel in Kroatien bescherte, erinnerte ich mich an drei Begegnungen mit Leuten der BBB im Frühling 2003. Am Ende einer Reise durch Osteuropa waren wir in Zagreb gelandet, wo an jenem Samstag die beiden damaligen Erstligisten NK Zagreb und Dinamo nacheinander Heimspiele austrugen. Der erste Bad Blue Boy war Kellner in einem Strassencafé, und auf die Frage, ob er jedes Spiel besuche, entblösste er grinsend zwei Zahnreihen, deren Lücken Antwort genug waren. Der zweite war Franjo, der sich vor dem Stadion Maksimir sein Ticket zusammenbettelte und sich ungefragt für die sechs Jahre zurückliegenden Ausschreitungen im Zürcher Hardturm entschuldigte: «Damals hatten wir Probleme mit dem Verein, sie wollten ihn nicht mehr Dinamo nennen.» Der dritte BBB sass während des Spiels eine Reihe vor uns, den Arm seit dem Spiel gegen Erzrivale Hajduk Split im Gips, den Gips verziert mit dem Logo der BBB. Als wir ihn um ein Foto baten, hielt er den Arm lächelnd hin, erstaunt über das ausländische Interesse an seinem Verein.

Die bösen blauen Jungs, lauter nette Menschen. Simon Kuper porträtiert in seinem Standardwerk «Football against the enemy» zwei Dinamo-Fans und lässt sie erzählen, wie sie im alten Jugoslawien jeweils in Zagrebs Zentralbibliothek englische Zeitungen gelesen hätten, um in Hooliganfragen nicht ins Hintertreffen zu geraten. Als äusserst zuvorkommend beschreibt Kuper die jungen Männer; zuvorkommend und europäische Spitze, was die häufige Verwendung der Wörter «fuck» und «fucking» betrifft. Kuper kontrastiert die Entspanntheit der Begegnungen mit der Selbstverständlichkeit der Gewalt als Mittel der Bad Blue Boys. Und er kommt auf den Krieg zu sprechen, den viele Bad Blue Boys in ihren eigenen Augen nicht nur losgetreten, sondern auch gewonnen haben.

Die Begegnung im Maksimir-Stadion zwischen Dinamo Zagreb und Rotem Stern Belgrad vom 13. Mai 1990 wurde nie angepfiffen. Die BBB rannten, während sich die Mannschaften aufwärmten, über das Feld in Richtung von Roter Sterns «Delije», die im Gästesektor wüteten. Auf der offiziellen Homepage von Dinamo Zagreb ist heute zu lesen: «Die Polizeikräfte folgten blind den Anweisungen von oben und kämpften verbissen gegen die BBB. Viele wurden festgenommen, geschlagen und registriert. Zvone Boban, Dinamos Captain, wollte die Dinamo-Fans verteidigen. Wie er einen Polizisten ansprang, ist legendär und markiert den Anfang vom Ende eines Staates. Die Mehrheit der BBB glaubt, dass der Krieg in Kroatien am 13. Mai 1990 ausbrach.» (In der ausgezeichneten «Jugoslawien»-Nummer des österreichischen «ballesterer»-Magazins schreibt Zarko Radulovic dazu: «Eine kleine Ironie der Geschichte: Der von Boban angegriffene Polizeibeamte war Kroate.»)

Als wir uns im Frühling 2003 im Maksimir ein Bier holten, füllte es die Frau hinter der Theke in einen Pappbecher, auf dem eine Bulldogge, das Wappentier der Bad Blue Boys, zu sehen war, die einen Dalmatiner, Symbol für Hajduk Split, von hinten penetriert. Das ist, als steckte auf den offiziellen Bechern im St. Jakob-Park der Vogel Gryff die Luzerner Kappelbrücke in Brand – also undenkbar aus Schweizer Sicht. Doch Dinamo Zagreb lässt sich schwer mit anderen Klubs vergleichen. Fans und Verein werden als Einheit verstanden. Was die Fans tun, scheint in Ordnung, solange sie es für den Verein tun. «Oft war es unumgänglich, sich an Kämpfen zu beteiligen, aus Loyalität zu den eigenen Farben», steht auf der Website von Dinamo zu den Anfangszeiten der BBB; Hooliganismus als Heldentat.

Dort, auf dieser Website, steht auch die Telefonnummer der Bad Blue Boys-Zentrale. Hätten sie geredet, hätte ich vielleicht gefragt, ob das Verhältnis zum Verein heute wirklich so ungebrochen harmonisch sei, wie man meinen könnte. Ob der Krieg noch immer massgebend sei für die eigene Identität. Und ob im Stadion immer noch dieselben Becher verwendet werden. Doch am Telefon reden sie nicht. Dort brüsten sie sich, wie man es von ihnen erwartet, als mächtige, einflussreiche, unnahbare Fangruppierung mit Kriegserfahrung. Den Baslerinnen und Baslern, die ihren FCB nach Zagreb begleiten, ist zu wünschen, dass sie die BBB auch von ihrer andern, charmanteren Seite kennenlernen.