In der Romandie: «Falls ich gewählt werde ...»

Nr. 42 –

Auch hier kommen Grünliberale auf. Auch hier dominiert die SVP den Wahlkampf. Doch die Stimmen gegen Christoph Blocher werden zahlreicher - gerade aus der bürgerlichen Mitte.

«Die SVP stinkt zum Himmel», kommentierte der Grüne und Genfer Bürgermeister Patrice Mugny die Schafkampagne der SVP. Mugny ist nicht der einzige Romand, dem in den letzten Wochen der Kragen geplatzt ist. Die Kritik an der «méthode Blocher» geht bis weit in die bürgerlichen Reihen hinein.

«Die Malaise ist spürbar», sagt Yves Guisan, abtretender freisinniger Nationalrat, über die Stimmung in seiner Partei. Er rief die Waadtländer SVP, mit der seine Partei eine Listenverbindung abgeschlossen hat, dazu auf, sich von der nationalen SVP-Kampagne zu distanzieren. Die freisinnige Nationalratskandidatin Christelle Luisier ging noch einen Schritt weiter: Sie unterzeichnete ein Manifest der Waadtländer Sozialdemokratin Ada Marra, das seit einigen Wochen zirkuliert. «Falls ich gewählt werde, werde ich bei der Bundesratswahl im Dezember nicht für Christoph Blocher stimmen», heisst es darin.

Über fünfzig Versprechen

Bereits über fünfzig Waadtländer NationalratskandidatInnen haben dieses Versprechen abgegeben - darunter auch bürgerliche PolitikerInnen, etwa der CVP-Nationalratskandidat Jacques Neyrinck. Auffällig ist die Präsenz gleich mehrerer KandidatInnen der neu gegründeten umweltliberalen Bewegung Ecologie libérale, die erstmals an Nationalratswahlen teilnimmt. «Blocher tut der Schweiz nicht gut», sagt etwa Benjamin Leroy-Beaulieu. Der 28-jährige Doktorand der Mathematik ist gleichzeitig Mitglied der freisinnigen Partei und der Bewegung Ecologie libérale. Blocher manipuliere die Ängste der SchweizerInnen, analysiert Leroy-Beaulieu, mit dem alleinigen Ziel, mehr Macht zu erhalten. Was der junge Intellektuelle besonders abstossend findet, ist das Internetspiel mit dem SVP-Maskottchen «Zottel», bei dem ein böser Grüner überfahren werden muss, weil er die freie Fahrt der Automobilisten gefährdet. Und: «Die SVP spielt nicht nur mit der Angst vor Ausländern, sondern auch mit der Angst vor einer Energieknappheit, falls die Atomkraftwerke abgestellt würden.» Auch die 34-jährige Ökonomin Celina Perret, Mitglied der bürgerlichen Ökobewegung, hat Marras Manifest mit unterschrieben: «Mit der Wahl von Christoph Blocher würde ich gewisse Meinungen und Methoden unterstützen, hinter denen ich nicht stehe», sagt die junge Mutter.

Neue politische Kraft

Ecologie libérale ist eine neue politische Kraft im Vorfeld dieser Nationalratswahlen - die Zeitung «Le Temps» sieht in ihr sogar den Kern einer neuen Partei der bürgerlichen Mitte, die von vielen in der Romandie herbeigesehnt wird. Die Spitzenkandidatin der Bewegung, Isabelle Chevalley, ist eine dissidente Liberale. Die Doktorin der Chemie trifft man in Anti-AKW-, Tierschutz- und Umweltschutzorganisationen, in einer Expertenkommission für die Sanierung der Chemiemülldeponie Bonfol, als parlamentarische Mitarbeiterin des jurassischen CVP-Nationalrats Pierre Kohler. Als sie eine eigene Liste für die Nationalratswahlen auf die Beine stellte, wurde sie aus der Liberalen Partei ausgeschlossen. Seither sind Ecologie-libérale-Listen in den Kantonen Waadt, Wallis und Neuenburg entstanden. Das verursacht weniger der Grünen Partei als den Bürgerlichen einiges Kopfzerbrechen. In den Kantonen Wallis und Neuenburg kamen Listenverbindungen mit den bürgerlichen Parteien zustande, in der Waadt nicht.

Mit der neu gegründeten Grünliberalen Partei der Deutschschweiz hat Ecologie-libérale Kontakte geknüpft: «In den meisten Fragen sind wir auf der gleichen Linie», meint Chevalley, doch ihre Bewegung wolle nicht zur Partei werden. Chevalley setzt auf Pragmatik, auf Anreize statt Verbote: «Temporeduktionen bei Ozonspitzen bringen wenig. Wenn wir eine Vignette für schadstoffarme Autos einführen und nur diesen Autos erlauben, bei Überschreitung der Ozonhöchstwerte zu fahren, bringt das viel mehr», führt sie als Beispiel aus. Und wie steht sie zur Wiederwahl von Bundesrat Blocher? Die Antwort ist ebenfalls pragmatisch: «Wenn man weiss, wie viel Blocher für die Ökologie tut, ist es nicht schwer zu erraten, ob ich ihn wählen würde.»

Das letzte SRG-Wahlbarometer bestätigt die Unterschiede zwischen Deutschschweiz und Romandie: Es gibt in der Romandie keine Mehrheit für eine Beibehaltung Blochers als Bundesrat. Was Wunder, dass die nationale SVP-Kampagne zu einigem Zähneknirschen bei der Westschweizer Filiale geführt hat: Nachdem zunächst auch in der Westschweiz überall die Plakate mit Blocher in Führerposition aufgetaucht waren, merkte die SVP Romandie schnell, dass sie die eigenen KandidatInnen in den Vordergrund rücken musste. Für SVP-Kampagnenleiter Claude-Alain Voiblet sind die Unterschiede allerdings minimal. Er gibt ein Beispiel: Nach der Berner Demonstration der SVP seien die Medien in der Deutschschweiz mehrheitlich hart mit Links-Grün ins Gericht gegangen, während in der Romandie die Meinung vorgeherrscht habe, die SVP habe provoziert und hätte auf ihre Demonstration verzichten müssen. Es sei normal, dass die SVP in unterschiedlichem Umfeld unterschiedlich kommuniziere.