Türkei: Ein kostspieliger Schlag

Nr. 42 –

Das türkische Parlament erlaubt Militäroperationen im Nordirak - die Risiken dabei sind hoch.

Man muss nicht hellsehen können, um das militärische Ergebnis einer türkischen Militäroperation im Nordirak vorherzusagen: Es wird ein kostspieliger Schlag auf leere Bergkuppen und in verlassene Schluchten, denn natürlich wird die Guerilla der kurdischen Arbeiterpartei PKK nicht wie eine Schafherde auf die Hubschrauber der türkischen Armee warten. Das weiss diese nach mehr als zwanzig grenzüberschreitenden Grosseinsätzen während der letzten fünfzehn Jahre.

Ein anderes Ergebnis hätte nur eine breit angelegte militärische Besetzung des Nordirak, doch eine solche ist unwahrscheinlich, vor allem jetzt vor dem Wintereinbruch. Eher sind kurze Kommandoaktionen im Grenzgebiet geplant, die eine Konfrontation mit den nordirakischen KurdInnen vermeiden. Denn käme es mit ihnen zu Gefechten, wären die militärischen Risiken für die Türkei vollends unabsehbar.

Manche türkischen PolitikerInnen und Generäle hoffen wohl, dass ihnen bei einer Kommandoaktion die US-Militärs den einen oder anderen PKK-Führer in Handschellen übergeben - dann gibt es zumindest eine kleine Siegesfeier. Mehr wird nicht sein. Man kann mit einem Vorschlaghammer keine Fliege fangen - wie wahr dieser Satz ist, hat die Armee oft genug erfahren. Sie habe innerhalb eines Jahres 191 PKK-KämpferInnen getötet und 142 gefangen genommen, meldete die Armee. Im selben Zeitraum zählte der Generalstab fast genauso viele PKK-Minen und -Sprengfallen sowie mehrere direkte Aktionen. Wie viele Soldaten und Polizisten dabei ums Leben kamen, verriet er nicht.

Die erfolglosen Militäreinsätze im Südosten der Türkei setzen die Regierung und die Armee unter Druck. Noch im Juli waren laut einer Umfrage nur knapp 43 Prozent der Bevölkerung für einen Armeeeinsatz im Nordirak, und gerade 21 Prozent glaubten, dass so das Terrorproblem gelöst werden könne. Inzwischen aber ist eine deutliche Mehrheit für grenzüberschreitende Operationen, also hat der Regierungschef Tayyip Erdogan sein langes Zögern aufgegeben.

Damit aber riskiert er, dass sich die wichtigsten Koordinaten seiner Politik verschieben. Innenpolitisch steht das Projekt der Modernisierung des Staates auf dem Spiel. Das grosse Ziel, die Verfassung der Putschgeneräle von 1980 endlich durch eine zivile Verfassung zu ersetzen, könnte ausser Reichweite geraten. Wie soll in Zeiten des Krieges die Sonderstellung des Militärs abgeschafft werden? Zudem haben die Generäle nun ein wuchtiges Mittel in der Hand, der Regierungspartei AKP das Leben schwer zu machen. Eine einzige politisch unwillkommene Kommandoaktion im Nordirak genügt.

Ausserdem: Wie sollen Grundsätze zu Bürgerrechten und zu einem umfassenden Minderheitenschutz beschlossen werden, wenn gerade die «Kurdenfrage» einmal mehr vor allem als «Terrorproblem» definiert wird? Nur wenige Wochen nach dem ersten Zusammentreten des gerade gewählten Parlaments scheint der mögliche Dialog mit «den Kurden», den gewählten Abgeordneten der kurdischen Partei DTP, schon wieder unmöglich. Fast täglich durchsucht die Polizei DTP-Büros und verhaftet DTP-FunktionärInnen wegen «separatistischer Propaganda» oder «Unterstützung der PKK». Seit sich die Partei - als Einzige - gegen Militäraktionen im Nordirak ausgesprochen hat, häufen sich zudem die Anschläge auf DTP-Einrichtungen.

Aussenpolitisch steht das Projekt EU-Beitritt auf dem Spiel, denn ohne Modernisierung wird der Beitrittsprozess kaum vorankommen. Grössere Militäraktionen der Türkei im Nordirak könnten gar zum Abbruch der Verhandlungen führen, wie von einer Delegation des Europaparlaments zu hören war, die eben in Ankara weilte.

Im Irak geht es ausserdem um weit mehr als neuen Aufruhr im bisher eher ruhigen Norden. Ankara läuft Gefahr, einen politischen Dammbruch zu provozieren: Der Iran mischt sich seit langem unverhohlen im Irak ein, Saudi-Arabien hat mehrmals ein direktes Eingreifen zugunsten der SunnitInnen angedroht, auch Syrien wartet nur darauf, sich ein Stück aus der Konkursmasse des US-Kriegs zu sichern. Gewinnen kann bei all dem nur die PKK, der dann neue BundesgenossInnen zur Seite stehen werden. Der radikale Schiitenführer Muktada as-Sadr hatte die Türkei bereits im Juni gewarnt: «Das kurdische Volk ist ein Teil des Irak, und die Kurden dort zu verteidigen, ist eine heilige Pflicht.»

Auch die nordirakischen KurdInnen, die die PKK bisher eher zähneknirschend hinnahmen, werden die PKK wieder schätzen, sollte es zu einem türkischen Angriff kommen. «Yenisafak», das halbamtliche Parteiblatt der AKP, schreibt gar von einem türkischen Geheimdienstbericht, demzufolge die PKK die türkische Armee absichtlich in die nordirakische Falle bombe, da sie in letzter Zeit an Zuspruch verloren habe. Die Risiken türkischer Militäroperationen im Nordirak sind also gross. Und so hofft nicht nur die US-Regierung, dass es bei Drohungen bleibt.