Militärdienst im Fesselballlon: Die in die Luft schiffen

Nr. 50 –

Die in der Luft schiffen

Lasst den Wasserstoff herein, lasst ihn rein, ja lasst ihn rein,

öffne den Appendix, schliesse das Ventil, lasst uns in die Wolken ziehn!

Ja, lust’ge Leute sind halt die Ballönler-Leut,

und jede Schweizer Maid erlebt an uns nur Freud.

Und so berühmt wie unsere gasgefüllte Wurst,

ist auch unser Riesendurst.

Ausschnitte aus dem «Ballonlied», Offiziersschule 1926, Thun

Weitgehend geräuschlos und friedlich startet die militärische Eroberung des Schweizer Luftraums durch die hiesige Armee. Denn die waghalsigen Piloten in ihren fliegenden Kisten sind nicht die ersten Wehrmänner, die ihren Dienst in luftiger Höhe leisten. Im Jahr 1900 rücken nebst 66 Pferden rund hundert junge Männer zur ersten Luftschiffer-Rekrutenschule im Ober-Wankdorf in Bern ein. Bereits 1794, elf Jahre nach der ersten Ballonfahrt der Brüder Montgolfier in Paris, verwendete die französische Armee im Krieg Ballone als Beobachtungsposten.

Fragile Gasballone im Einsatz an der Front? Auch den eidgenössischen Parlamentariern ist dies zunächst nicht geheuer. Sie lehnen 1893 einen ersten Antrag ab - auch weil die Kosten von 69000 Franken für einen Fesselballon samt Zubehör als zu hoch taxiert werden. Zudem wird vermutet, in der Schweiz sei der Wind für Ballone zu stark, und überhaupt gebe es ja genügend Beobachtungspunkte auf helvetischen Erhebungen. Abgeschossen werden kann ein Ballon allerdings praktisch nicht, auf jeden Fall nicht vom Boden aus, solange er mindestens 5,5 Kilometer von den gegnerischen Kanonen entfernt in 800 Metern Höhe schwebt. Und auch direkter Beschuss macht ihm kaum etwas aus: Im Juli 1895 versuchte man auf dem österreichischen Schiessplatz Steinfeld, einen Ballon mit «feldmässigem Artilleriefeuer» vom Himmel zu holen - vergeblich.

Der erste Militärballon der Schweiz nimmt bald reissaus. Das Kabel, an dem ihn die Rekruten vom Berner Beundenfeld in die Luft steigen lassen, vermag ihn nicht zu halten, er entschwindet den Blicken, später findet man ihn auf dem fünf Kilometer entfernten, 947 Meter hohen Bantiger - ab sofort heisst er «Vagabund». Wenn die Kabel der Belastung standhalten, wird nach dem Füllen und Aufsteigen das Marschieren mit dem Ballon geübt, wobei Tagesetappen von dreissig Kilometern inklusive der Überquerung von etlichen Hindernissen - Telefon- und Stromleitungen, Hecken, gedeckte Brücken - zu bewältigen sind. Vom Ballonkorb aus späht ein Offizier rund fünfzehn Kilometer weit und meldet das Entdeckte per Feldtelefon sofort nach unten. Und nachts steht «Kampieren mit dem Ballon» an, wozu «wenn thunlich ein möglichst windgeschützter Ort, wie zum Beispiel eine Waldlisière als Kampierplatz» zu wählen sei.

Gefährlich wird es für die Ballone erst, als sie es mit Flugzeugen zu tun bekommen. Ende des Ersten Weltkriegs, in dem alle Armeen Ballone einsetzen, gibt es den ersten toten Schweizer Luftschiffer: Ein deutscher Flieger, der sich über Schweizer Gebiet befindet, wird am 7. Oktober 1918 vom Boden aus beschossen und trifft selber mit seinem Maschinengewehr den Ballon, von dem aus Leutnant Walter Flury die Grenze beobachtet. Auch der Fallschirm, mit dem sich rund neunzig Prozent der beschossenen Ballonfahrer im Ersten Weltkrieg retten können, hilft Flury nicht.

Anfang der dreissiger Jahre erreichen die Luftschiffer bezüglich Technik und Material einen Höchststand. Aber ein Oberst Labhardt fordert in der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift» vom 15. November 1931 die Aufhebung der Ballontruppe - viel weiter als die Ballone haben sich die Flugzeuge entwickelt. Schliesslich beschliesst das Parlament per 1. Januar 1938 das Ende der Armeeluftschifffahrt. Am 20. September 1978 verschwindet mit der 1902 für 180000 Franken erstellten, längst baufälligen Ballonhalle an der Berner Papiermühleallee das letzte Überbleibsel dieser vergessenen Truppe.

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