Zehn Jahre Kioto: Emissionshandel ist eine Sackgasse

Nr. 50 –

Es war schon ein kleines Wunder, dass die Delegierten damals überhaupt ein Klimaabkommen verabschiedeten. Aber was hat die Welt mit dem Kioto-Protokoll gewonnen?

Das Kioto-Protokoll zur Klimarahmenkonvention trägt das Datum vom 10. Dezember 1997. Die Schlussverhandlungen dazu begannen allerdings erst am 11. Dezember um ein Uhr nachts: Der Sekretär der Klima-Konvention, Michael Zammit Cutajar, hatte kurzerhand «die Uhr anhalten lassen», um die Konferenz zu retten. Einige Delegierte brachten ihre gepackten Koffer gleich in den Verhandlungssaal mit, damit sie ihre Flüge nicht verpassten.

Raúl Estrada Oyuela, argentinischer Diplomat und Leiter der Verhandlungen, paukte den Protokolltext mit einem Kraftakt der besonderen Art durch. Unerbittlich fiel der kleine Holzhammer des Vorsitzenden. Jeder Schlag entschied über den Verbleib oder die Streichung einer Textpassage. War der Hammer gefallen, konnte über den betreffenden Punkt nicht mehr diskutiert werden. «Consensus by exhaustion» - Konsens durch Erschöpfung, hiess dieses unkonventionelle Verfahren hinter vorgehaltener Hand. Neun Stunden später wurde das Kioto-Protokoll einstimmig zur förmlichen Annahme an die Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention überwiesen.

Der Markt solls richten?

Das Ergebnis dieses Hauruckverfahrens hat George Bush viel zu verdanken. Ohne die Weigerung des US-Präsidenten, das Kioto-Protokoll zu ratifizieren, wäre es vielleicht nie zum Inbegriff der politischen Antwort auf die Gefahren des Klimawandels geworden. Die Ironie dabei ist, dass keine Regierung das Protokoll stärker geprägt hat als jene der USA. Das äussert sich vor allem in einem blinden Glauben an die Marktkräfte.

Das Kioto-Protokoll hat - noch ohne Details festzulegen - drei Marktmechanismen zum Schutz des Klimas etabliert, welche den Industriestaaten helfen sollen, «ihre Kioto-Ziele zu erreichen». An erster Stelle zu nennen ist der Emissionshandel: Er erlaubt Industrieländern, welche die CO2-Reduktionsziele nicht erreichen, Emissionsreduktionen von andern Industrieländern zu kaufen, welche ihre Ziele «übererfüllen». Durch das Prinzip der Joint Implementation erhalten Industrieländer, welche in andern Industrieländern Projekte zur Reduzierung des Treibhausgasausstosses vornehmen, Emissionsreduktionen gutgeschrieben. Im Rahmen des Clean Development Mechanism können sich Industrieländer überdies Reduktionsprojekte in Entwicklungsländern - die selbst keine Reduktionsverpflichtungen haben - anrechnen lassen.

Im Klartext bedeutet dies, dass Industriestaaten den Treibhausgasausstoss weniger als vorgesehen reduzieren können, indem sie mit ihren eigenen Emissionen handeln respektive sie in andere Länder «auslagern». Diese Handelsmöglichkeiten führen nicht nur dazu, dass die Industrieländer insgesamt ihre Emissionen nicht reduzieren müssen. Laut Greenpeace erlauben sie sogar einen geringen Anstieg der durchschnittlichen Emissionen - statt einer vorgesehenen Reduktion um 5,2 Prozent gegenüber dem Stand von 1990.

Ausserdem hat der Emissionshandel mit dem neuen Spekulationsobjekt CO2 enorme finanzielle «Werte» geschaffen: Geht man von einem Preis von vierzehn US-Dollar pro Tonne CO2 aus, beläuft sich das Gesamtvolumen auf 2345 Milliarden US-Dollar. Profitieren vom neu geschaffenen Handelsgut und Spekulationsobjekt können aber nur jene Länder, welche ihr Kioto-Ziel «übererfüllen» - voraussichtlich sind dies Russland, die Ukraine und Deutschland.

Mit andern Worten: Der Markt belohnt Staaten, die 1990 sehr hohe Emissionen hatten und diese seither stark reduzierten. Dies, obwohl auch die reduzierten Emissionen in diesen Ländern noch weit über dem weltweiten Durchschnitt liegen.

Alternative Anreize schaffen

Denkbar gewesen wäre indes auch ein Markt für Emissionsrechte, der auf einem zulässigen CO2-Ausstoss pro Kopf der Bevölkerung basiert. Gehandelt worden wäre in diesem Fall nicht mit Emissionsreduktionen, sondern mit nicht erfolgten Emissionen. Dadurch hätten Entwicklungsländer, welche vergleichsweise wenig fossile Brennstoffe verbrauchen, die Emissionsrechte, die sie nicht in Anspruch nehmen, an Industrieländer verkaufen können. Sie hätten dann zudem einen dauerhaften finanziellen Anreiz erhalten, gar nicht erst auf einen CO2-intensiven Entwicklungspfad einzuschwenken.

Allerdings hätte ein solcher Markt den Börsen, Banken und Versicherungen nicht die gleichen Profite gebracht wie der Kioto-Handel. Tatsächlich versuchte Indien noch in der letzten Nachtsitzung in Kioto erfolglos, den Emissionshandel mit dem Argument zu verhindern, erst müsse eine gerechte Verteilung von Emissionsrechten geschaffen werden.

Auch aus wissenschaftlicher Perspektive gerät der Emissionshandel zunehmend unter Druck: Es sei Zeit, das Kioto-Protokoll zu entsorgen, forderten Gwyn Prins von der London School of Economics und Steve Rayner von der Oxford University in der Zeitschrift «Nature» im Oktober 2007 (vgl. unten). Der Versuch, dem Klimawandel mit einer Kontrolle des weltweiten Ausstosses an Treibhausgasen zu begegnen, werde der Komplexität des Phänomens in keiner Art und Weise gerecht.

Das internationale Klimaregime nach Kioto, so Prins und Rayner, soll nicht mehr von oben her zahlenmässige Emissionsreduktionen diktieren, welche dann durch die eingebauten Schlupflöcher doch nicht erreicht werden. Sie sehen die Aufgabe der laufenden Klimakonferenz in Bali vielmehr darin, die Energieforschung global zu koordinieren und nationale Massnahmen zur Vermeidung von Emissionen zu fördern.

Die EU hatte im Vorfeld von Kioto solch bindende Massnahmen zur Reduktion von CO2-Emissionen schon für das Kioto-Protokoll gefordert, konnte sich aber damals gegen die USA nicht durchsetzen. Manchmal ist ein Schritt zurück ein Fortschritt.





Andreas Missbach arbeitet bei der Erklärung von Bern und berichtete 1997 für die WOZ aus Kioto.

* Gwyn Prins, Steve Rayner: «Time to Ditch Kyoto». Nature 449, 25. Oktober 2007, S. 973 - 975.

Wissenschaft schlägt Alarm

«Die UN-Klimakonferenz in Bali muss die Klimapolitik radikal überdenken», fordern Gwyn Prins und Steve Rayner.* Nichts weniger als ein Wandel in den Köpfen steht an, denn der ist bislang nicht vollzogen worden. Die Internationale Energieagentur prognostiziert für die nächsten 25 Jahre eine Verdoppelung der Energienachfrage. Ganz entgegengesetzt der Trend bei den Forschungsausgaben im Bereich Energie: Sie sind seit 1980 weltweit um vierzig Prozent zurückgegangen.

Prins und Rayner bieten konkrete Ansatzpunkte für einen fundamentalen Richtungswandel in der Klimapolitik: Als Erstes fordern sie einen massiven Ausbau der Forschung für alternative Energien. Nichts weniger als «kriegswirtschaftliche» Anstrengungen im Stile des Manhattan-Projekts, das zur Entwicklung der US-Atombombe geführt hatte, seien notwendig, be- tonen die beiden. Und sie nennen einen konkreten Betrag: achtzig Milliarden US-Dollar. So viel geben die USA jährlich für Rüstungsforschung aus.

Ebenso viel Geld soll in konkrete Massnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels investiert werden - im Interesse der Menschen in Entwicklungsländern, deren Existenz an fragilen Ökosystemen hängt. Anpassungsleistungen dürfen nicht länger gegen eine Verringerung des Treibhausgasausstosses ausgespielt werden, warnen Prins und Rayner.

Dabei lassen sie keinen Zweifel daran aufkommen, wer die Hauptkosten zu tragen hat: jene sechzehn Staaten, die für rund achtzig Prozent des weltweiten CO2-Ausstosses verantwortlich sind. Gleichzeitig wenden sie sich aber gegen den globalen, von oben diktierten Ansatz in der bisherigen Klimapolitik. Langfristig effizienter funktionieren ihrer Meinung nach Strategien, die von unten nach oben entwickelt und in einem verhältnismässigen Rahmen - zum Beispiel auf nationaler Ebene - erprobt werden können.

Franziska Meister