Toni Brunner: Blochers Bueb

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Der Toggenburger, der die SVP in St. Gallen gross gemacht hat, wird Schweizer Parteipräsident. Sein Leben besteht aus Politik - trotzdem ist er ein unpolitischer Mensch.

Als Toni Brunner vor ein paar Jahren mit seinem Rücktritt drohte, sagte Ueli Maurer: «Der soll sich unterstehen.» Und fügte hinzu: «So ein Kalb!» Toni Brunner war damals seit neun Jahren Nationalrat. Seit sechs Jahren Präsident der SVP St. Gallen. Seit vier Jahren Vizepräsident der SVP Schweiz. Ein persönlicher Freund von Christoph Blocher. Ein wichtiger Mann. Warum stellte ihn der Präsident öffentlich bloss? Wer ist dieser Toni Brunner?

Die Frohnatur

Wen auch immer man zum 33-jährigen Toni Brunner befragt, lobt sei-nen Witz. Keine Berührungsängste! Ein Sprücheklopfer! Ein Optimist! «Ich bin der Unterhaltungschef in der Fraktion», beschreibt sich Brunner selbst. Sein Motto, sagte er einmal, sei es, vorwärts zu schauen. Er geht an jede Hundsverlochete, er liebt es, Hände zu schütteln und den Leuten zuzuwinken, sie zu duzen wie Freunde. Er klopft sich auf die Schenkel und lacht laut - über Witze und auch über Kritik. Lanciert im Internet sein «Buureradio» (Slogan: «Bodenständig digital»), engagiert sich bei der Wahl des «Mister Heubuuch» und sitzt in der Jury des erotischen «Bauernkalenders». «Ich mag Frauen», sagte er damals, «meine Wahl ins Parlament verdanke ich schliesslich auch den Grossmüttern.»

Mit all dem schafft er es, dass seine Aussagen, fast alle identisch mit denjenigen der Zürcher Scharfmacher, nicht in ihrer Härte wahrgenommen werden. Wenn Toni Brunner fordert, dass «13-jährige Vergewaltiger» ins Gefängnis gehörten und kleinere Delikte mit «Arbeitsstrafen, etwa Steine schleppen auf Alpen», belegt werden sollten, dann geht das schnell vergessen. Wenn er Slogans kreiert wie «Wir Schweizer sind immer mehr die Neger», haftet ihm dennoch nicht der Ruf eines Rassisten an. Als Lieblingsmedium nennt er polizeinews.ch. Er gehört in den Klub der bösen Buben aus Zürich, doch ihm fehlt die paranoide Schärfe eines Christoph Mörgeli oder die religiö-se Sendung eines Christoph Blocher. Brunner erscheint im Vergleich harmlos. Im «Blick»-Chat antwortete er auf die Frage, weshalb in der Partei Figuren wie Ueli Maurer und Christoph Mörgeli im Vordergrund stünden: «Wenn Sie sie nicht mögen, so denken Sie doch an Adrian Amstutz oder Brunner. Dann werden auch Sie die SVP mögen!»

Ob Brunner seine Leichtigkeit behalten wird, ist trotzdem fraglich: Anfang Jahr wurde er nach der Abwahl seines Mentors Blocher ausfällig wie nie zuvor. Die CVP habe ein «hinterhältiges und verlogenes Gesicht», giftelte er und warf der CVP-Regierungsratskandidatin Lucrezia Meier-Schatz «fanatisch angetriebenen Blocher-Hass» vor. Kurz zuvor, nach seiner persönlichen Niederlage bei der Ständeratswahl im November, hatte er sich noch als fröhlicher Verlierer gezeigt. Vielleicht sei es gut, wenn er auch einmal eines ans Schienbein bekomme. Dadurch werde er «noch menschlicher».

Der Emporkömmling

Toni Brunner kommt aus einer toggenburgischen Bauernfamilie. Er ist das jüngste von fünf Kindern, ein Bruder hat das Downsyndrom. «Ich selber war», so Brunner im «SonntagsBlick», «nicht mehr geplant. Die Ärzte rieten, dass ich wegmuss. Sie befürchteten, ich sei ebenfalls mongoloid. Die Mutter wehrte sich und setzte sich durch. Das war für meinen Bruder Andi ein Glücksfall: So wuchs er nicht alleine auf.»

Der Zwanzig-Hektaren-Hof liegt auf dem Hundsrücken in steilem Gelände, oberhalb von Ebnat-Kappel, eine arme Gegend. In der Schule wird der Bauernbub gehänselt, er ist brav, fällt nicht auf, später leidet er an Akne, fällt von der Sekundarschule zurück in die Realschule. Seine Rettung kommt durch die Politik. Zu Hause wird viel politisiert, sein Vater ist FDP-Mitglied, hat aber die SVP-Zeitung abonniert. Als Siebzehnjähriger ist der Sohn bei der Gründung der SVP St. Gallen dabei - es ist 1992, und die Rechte mobilisiert gegen den Beitritt der Schweiz zum EWR. Praktisch die ganze Familie tritt der neuen Partei bei.

Und Toni Brunner lernt den Erfolg kennen. Als die SVP St. Gallen erstmals bei den Nationalratswahlen antritt, stellt sie den 21-jährigen Jungbauern als Listenfüller auf. Er wird völlig überraschend gewählt (der Spitzenkandidat Albert Schwarzmann wartete bereits gepudert vor den Mikrofonen), und Brunner jauchzt vor Freude. Er trägt seine Konfirmationskrawatte, als er zum ersten Mal in seinem Leben ins Bundeshaus tritt. Grinst, als er mit «Herr Nationalrat» begrüsst wird. Das Bundeshaus findet er «gewaltig», «wie ein Schloss».

Die Karriere ist unaufhaltsam, das Selbstbewusstein schier unerschütterlich, er setzt Instinkt und Schlauheit ein und wird Vizepräsident der Schweizer SVP und später Wahlkampfleiter. Fortan glaubt Toni, dass es jeder schaffen kann. Dass man sich halt hinaufkämpfen muss. Sein grösster Traum ist, mit einem Cadillac durch die USA zu fahren.

Der Unbedarfte

Brunner steckt seine ganze Energie in den Aufbau der Kantonalpartei, deren Präsident er 1998 wird. Er zieht unermüdlich durch das Sankt-Gallische und gründet Dutzende von Ortsparteien. Erstaunlicherweise tritt er als Präsident kaum je in Erscheinung, wenn es um politisches Handwerken geht. Wenn die St. Galler Regierung vor den Sessionen jeweils alle Parlamentarier einlädt, um die politische Agenda zu diskutieren, taucht er selten auf. Weder für den Regierungsrat noch für den Kantonsrat hat er je kandidiert. «Es gibt keine eigenständige SVP-Politik auf Kantonsebene, so wie es sie etwa im Thurgau oder in Graubünden gibt», sagt Fredy Fässler, St. Galler SP-Kantonsrat. Es fehlen Programm und Köpfe: Auf der Gemeindeebene und im Kantonsrat ist die SVP eine schwache Stimme, obwohl sie inzwischen die zweitgrösste Partei ist. Und in der Regierung hat die Partei bis heute nie einen Sitz gewonnen.

Bei den Regierungsratswahlen vom 16. März 2008 nominiert die SVP den politisch unerfahrenen und gänzlich unbekannten Treuhänder Stefan Kölliker. (Das Interessanteste, was von Kölliker bekannt ist: Er hat mit Brunner zusammen soeben das Restaurant «Sonne» am Winterberg gekauft, wo regelmässig SVP-Zwickmeisterschaften stattfinden.)

Die Kritik kommt auch aus den eignen Reihen. SVP-Kantonsrat Oskar Gächter kritisierte vor kurzem, dass kein Kandidat seriös aufgebaut worden sei. Es gebe in der Partei keine Personalpolitik. Tatsächlich ist es so, dass die Parteileitung jeweils die Kandidatenauswahl nicht offenlegt, sondern einfach Kandidaten präsentiert. Als die Delegiertenversammlung vor vier Jahren Brunners Auswahl nicht goutierte, drohte er beleidigt mit seinem Rücktritt - damals nannte ihn Maurer «Kalb». Und als sich vor einem Jahr zwei SVP-Nationalratskandidaten gegenseitig öffentlich kritisierten, drohte ihnen Brunner mit dem Parteiausschluss. Hier zeigt sich die unschöne Seite des ehrgeizigen Emporkömmlings: Er duldet keine anderen Aufsteiger. Schön ist die Welt, wenn sie, wie auf seinem abgelegenen Hof, zu seinen Füssen liegt.

Brunner hat in seinem Kanton nichts auf die Beine gestellt. Projekte, die seine Heimat, das vergessene und strukturschwache Toggenburg, unterstützen sollten, schoss er ab. Ein Beispiel: Der geplante regionale Naturpark Toggenburg Werdenberg sollte einen sanften Tourismus in die Region zurückholen. Brunner erledigte das Projekt im letzten Frühling mit einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Der Naturpark verhindere eine Entwicklung, es könnten dann keine grosse Veranstaltungen mehr organisiert werden.

Und in Bern? Brunners Vorstösse sind legendär. Eine kleine Auswahl: Er will verhindern, dass «Alkoholflaschen mit demotivierenden Warnhinweisen» versehen werden. Er wünscht, dass der America's Cup in der Schweiz stattfindet, etwa auf dem Malojasee. Er fordert, dass jede Steuererhöhung durch die Reduktion einer anderen Steuer «vollumfänglich kompensiert» wird. Er kämpft für die «Lendentätowierung bei Schweinen». Er setzt sich ein für die «Missbrauchsbekämpfung bei Schnittblumenimporten».

Bei Debatten meldet sich Brunner selten. Wenn doch, dann tönt es so: «Ein weiteres Problem in der Schweiz», sagte er unlängst in seinem Plädoyer für neue AKWs, «ist die unsichere Weltlage.» In den Kommissionssitzungen kommt es vor, dass er Schreiben des Parteibüros verliest. «Er kennt die Dossiers schlecht», sagt SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner. «Auch das mag ein Grund dafür sein, dass er oft Nein sagt.»

Über die Rechtsextremen, die letzten Oktober beim SVP-Marsch auf Bern dabei waren, sagte Brunner: «Sie haben sich anständig verhalten.»

Der Parteisoldat

Toni Brunner vertritt die Zürcher Linie, «ich bin kein Ausbrecher», sagte er mal. Als Christoph Blocher 2004 in den Bundesrat gewählt wird, stürzt Brunner, ausser sich vor Freude, auf Blocher zu und umarmt ihn, vor allen anderen. Er hält ihn für ein «Genie»: «Er hat eine Schaffenskraft wie kein anderer.» Und er, Brunner, sieht sich als sein «Schützling». Als Blocher Brunner letzte Woche als den zukünftigen Präsidenten der SVP vorstellte - beide trugen sie dabei die gleiche Krawatte - , sagte er: «Er könnte mein Sohn sein.» Beide lieben sie den Bauernstand (inzwischen hat Brunner zwar den Hof von seinem Vater übernommen, geführt wird er aber von einem angestellten Bauern). Blocher war immer da gewesen für seinen Toni. Er kümmerte sich persönlich um den jungen Nationalrat und unterstützte seine Kantonalpartei finanziell.

Der Schützling dankte mit Eifer und Frohsinn. Als er vergangenen Sommer die Fraktion auf seinen Hof einlud, strahlte Toni Brunner stundenlang und sang mit Blochers Gattin Silvia Heimatlieder. «Blocher», sagt SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner, «wäre wohl gern ein wenig so wie Brunner: unbeschwert und geniesserisch.»

Die Parteikollegen danken Brunner seine Unermüdlichkeit mit Unterstützung - und bisweilen herablassendem bis bösem Spott. Der abtretende Parteipräsident Ueli Maurer sagte über Brunner gerne Dinge wie: «Toni ist nicht der, der sich um Details kümmert.» Und weiter: «Den kann man überall hinschicken, der macht keine Fehler.» SVP-Nationalrat Peter Spuhler bellte ihn Ende Jahr zurück, nachdem Brunner vorschnell Referenden gegen die Erweiterung der Personenfreizügigkeit angekündigt hatte. Brunner solle «wieder mal sein Hirn einschalten».

Und wie fühlt sich Brunner als «Blochers Bueb», wie er immer wieder genannt wird? Einer der Sätze, die er über die letzten Jahre unzählige Male geäussert hat, passt nicht ganz ins Bild des treuen Sohns: «Wenn ein grosser Baum nicht mehr ist, bekommen die jungen Bäume in der Umgebung mehr Licht und können wachsen.»

Der Farblose

Toni Brunner hat keine Kanten. Längst wirkt sein Gesicht nicht mehr bubenhaft, sondern ein bisschen feist und gealtert. Er lebt ein pausenloses politisches Leben und tut dies doch wie ein unpolitischer Mensch; seine Positionen sind alle geborgt. Fragt man ihn nach seinem Lieblingsfilm, sagt er «lustige und unterhaltsame Filme», fragt man ihn nach seiner Lieblingsmusik, sagt er «querbeet». Fragt man ihn nach Persönlichem, lacht er laut. Die Liste der Dinge, die er nicht mag: «Streiten, pessimistisch sein, Verkrampftes, Filziges, Intrigen, Bornierte, Saures und Röseliköhl».

Toni Brunner wird am 1. März Präsident der stärksten Partei der Schweiz. Früher hatte er einen anderen Berufswunsch: Offizier.