Durch den Monat mit Christian Levrat (Teil 3): Sind Sie ein Landei?

Nr. 4 –

WOZ: Freuen Sie sich auf Ihren Auftritt beim Weltwirtschaftsforum?
Christian Levrat: Ja. Ich nehme am Open Forum an einer Debatte über Private Equity Funds teil. Ich freue mich, über ein Problem zu reden, von dem wir als Gewerkschaften enorm betroffen sind. Der Telekombereich leidet unter einem heftigen Andrang dieser spekulativen Finanzfonds. Wir fordern als Gewerkschaft mehr Transparenz: Woher kommt das Geld, wie funktionieren die Fonds, wer steckt dahinter? Ein zweites Ziel ist, unsere Mitglieder zu warnen. Sogar Pensionskassen legen ihre Gelder in solchen Fonds an.

Zum Beispiel?
Ich war in Athen an einem Gewerkschaftskongress, als in Deutschland die Telekom streikte. Unsere Kollegen waren der Ansicht, dass der Streik vom Private Equity Fund Blackstone provoziert worden war. Während des Kongresses erreichte uns die Nachricht, dass die amerikanische Post- und Telefongewerkschaft CWU bei Blackstone fünf Milliarden Pensionskassengelder angelegt hatte! Es ist den Gewerkschaften zu wenig bewusst, dass sie mit der Macht ihrer Pensionskassengelder arbeiten müssten.

Spielen Sie gerne den Rufer in der Wüste?
Es ist wahr, ich habe mich lange gefragt, ob mein Auftritt am Weltwirtschaftsforum nicht als Alibiübung dient. Für ein anderes Thema wäre ich auch nicht hingegangen. Aber ein Streitgespräch mit Vertretern solcher Funds wollte ich nicht ablehnen. Es wäre fahrlässig, von ihnen mehr Transparenz zu fordern und dann das Gespräch zu verweigern, wenn sie sich der Diskussion stellen. Diese Funds fallen wie Heuschreckenschwärme über eine Firma her, verkaufen die rentablen Teile, entlassen und restrukturieren und verschachern dann noch den Rest. Ihr Ziel ist nicht Produktion und Entwicklung, sondern eine Maximalrendite von rund zwanzig Prozent in minimaler Zeit.

Der Widerstand gegen das Wef ist kleiner geworden, auch wegen des Open Forums, das die GegnerInnen der Globalisierung spaltet ...
... ich glaube nicht, dass das Open Forum schuld ist. Ich sehe eher eine inhaltliche Schwäche der Bewegung, die sich nicht darauf einigen kann, welche Themen sie ins Zentrum rücken will.

Zurück zur Schweiz: Die CVP verlangt mehr Polizei und die Ausschaffung krimineller Ausländer. Ist die «neue Ära» der Mitte-links-Allianzen, mit der Sie die SVP bekämpfen wollen, bereits vorbei?
Christoph Darbellay spielt im Moment den Kasperli, um den rechten Parteiflügel an Bord zu halten. Warten wir doch ab, wie sich die CVP zur Flexibilisierung des Rentenalters stellt oder ob sie mit den flankierenden Massnahmen zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit einverstanden ist. Wir verlangen mehr Kontrollen gegen Lohndumping – da müsste Darbellay mit seinem Hang, Übeltäter zu bestrafen, eigentlich einverstanden sein.

Wie sehen Sie das beim Thema Jugend- und Ausländerkriminalität?
Ich bin für die Ausschaffung mehrfach rückfälliger Ausländer, wer wäre das nicht? Nur ist da viel Rhetorik dabei, und die Debatte zielt am Thema vorbei. Ich bin überzeugt, dass es nicht nötig ist, die Gesetze zu verschärfen. Es genügt, sie anzuwenden. Aber wenn man feststellt, dass jugendliche Delinquenten nach einer Verurteilung gleich wieder freigelassen werden, weil es nicht genügend geschlossene Plätze für sie gibt, ist das nicht besonders gut für die Glaubwürdigkeit der erzieherischen Massnahme.

Ihre Partei hat in diesem Punkt ein Problem.
Bei uns stehen die soziale und die ökologische Frage im Zentrum. Aber wir können uns nicht um glaubwürdige Antworten in der Sicherheitspolitik herumdrücken, das ist wahr. Nur: Wir wollen den Missbrauch bekämpfen, nicht die Ausländer. Wenn die SVP gleich die ganze Familie ausschaffen will, zielt sie auf eine kollektive Strafe. In der Schule hat man glücklicherweise gemerkt, dass kollektive Strafen nichts nützen. Umso seltsamer ist es, dass sie in der Politik wieder salonfähig werden.

Sie wohnen im Greyerzerland, in den Voralpen. Sind Sie ein Landei?
Ich bin hier aufgewachsen, und ich will meine Wurzeln nicht verlieren. Wo wir wohnen, meine Familie und ich, verkehren wir in den unterschiedlichsten Kreisen. Das Leben auf dem Land ist eine wunderbare Schule, um die Vielfalt der Denk- und Verhaltensweisen der Menschen zu verstehen.

In der Stadt wären Sie aber näher am Puls der Zeit.
Ich bin nicht so sicher. In den Städten ist die Gefahr vielleicht grösser, sich immer in den gleichen Schichten und unter gleich Gesinnten zu bewegen, oder nicht?

Christian Levrat, geboren 1970 in 
Bulle, ist Jurist, Politwissenschaftler, Präsident der Gewerkschaft Kommunikation und SGB-Vizepräsident, Freiburger SP-Nationalrat, Kandidat für das SP-
Präsidium.