Nokia: Die Subventionsnomaden

Nr. 5 –

Kaum gibts keine Subventionen mehr, verlässt der Handykonzern das deutsche Ruhrgebiet und schaut, wo er neue Fördermittel einstreichen kann. Zu verantworten hat dies vor allem die Politik.

Bereits im Dezember stand der Entschluss der Nokia-Konzernzentrale in Helsinki fest: Dem Aus für den deutschen Handyproduktionsstandort Bochum folgt die Verlagerung der Produktion in einen nagelneuen Industriepark im rumänischen Cluj. Die Bagger zur Erschliessung dieses Terrains, auf dem früher das Vieh der Bauern aus einem kleinen Dorf weidete, haben ganze Arbeit geleistet. Seit Wochen laufen in den schnell erbauten Hallen erste Produktionstests - am 11. Februar startet die Fertigung. In der Politik scheint derweil ein Wettkampf um die härteste verbale Geisselung der Nokia-Strategie ausgebrochen zu sein.

Von Subventionsheuschrecken, Karawanen- und irrtümlicherweise gar von Steinzeitkapitalismus ist die Rede. Das wortgewaltige Urteil über den grössten Handykonzern der Welt sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Hier ist viel Heuchelei im Spiel. Schliesslich trifft die Politik vor Ort, im Bund und vor allem in der EU eine riesige Mitschuld am gnadenlosen Subventionsnomadentum der Konzerne. Die EU hat mit massiver Unterstützung deutscher Regierungen einen grenzlosen Binnenmarkt geschaffen. Da eine unbehinderte Standortwahl auf diesem Markt gewollt ist, muss man sich nicht wundern, wenn Konzerne dorthin wandern, wo die höchsten Renditen winken - Ethik hat da keinen Platz.

Borniert und rational

Die Rechtfertigung von Nokia scheint profitwirtschaftlich völlig rational: «Wir haben sehr sorgfältige Analysen der Kosten und der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Bochumer Werks durchgeführt. Die Entscheidung zur Schliessung ist genau durchdacht.» Aus der bornierten Sicht dieses Konzerns ist der Umzug nach Cluj zweifellos rational. Da wirkt das Argument hilflos, wegen der ohnehin im Vergleich zur Konkurrenz hohen Rendite könnte auf die Schliessung des Werks in Bochum verzichtet werden. Denn die Verlagerung nach Rumänien dient dazu, die Rendite noch höher zu treiben. Dabei geht es nicht nur um niedrige Löhne, denn deren Anteil am Produktionswert der Nokia-Handys liegt mit unter fünf Prozent sehr tief - vielmehr folgt Nokia einem neuen Produktionskonzept. Aufgebaut wird ein Nokia-Village, in dem sich auch die Zulieferfirmen ansiedeln. Modernste Infrastruktur mit Qualifizierungs- und Forschungszentren gehört dazu. Ein solcher «Cluster» bietet für die nächsten Jahre hohe Renditen im Handygeschäft.

Vorübergehende Schäden durch den Imageverlust, den Nokia in Deutschland erfährt, sind dabei kalkuliert. Schliesslich liegen die expandierenden Märkte in Osteuropa und Asien. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers muss wissen, dass der EU-Binnenmarkt eine aggressive Kapitalwanderung ausgelöst hat. Die Politik versucht, durch öffentliche Beihilfen die Wahl der Standorte zu beeinflussen und veranstaltet - von der Region bis zum Nationalstaat - eine böse Subventionskonkurrenz. In Bochum war sie dem Bund und dem Land über achtzig Millionen Euro wert. Wer fragt eigentlich danach, inwieweit wegen dieser Fördergelder Arbeitsplätze in Finnland oder an anderen Nokia-Standorten demontiert worden sind? Jetzt plötzlich erfährt die Öffentlichkeit, dass offenbar die Auflagen nicht einmal durch die zuständigen Behörden kontrolliert worden sind. Jedenfalls musste der Regierung Nordrhein-Westfalens klar sein, dass nach dem September 2006, als die Arbeitsplatzauflage für Nokia auslief, neue, hochattraktive Standorte in Osteuropa in Betracht kamen. Warum also hat sie die Subventionen nicht in eine Kapitalbeteiligung umgewandelt, um wenigstens im Aufsichtsrat bei der Entscheidung über den Standort Bochum dabei zu sein? War sie nicht in der Lage, die sich abzeichnenden Risiken ihrer Subventionspolitik für einen Global Player abzuschätzen? Der Kniefall vor Nokia besass Vorrang - eine öffentliche Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen zugunsten einer kleinteiligen, risikodiversifizierten Wirtschafsstruktur zog die Regierung Rüttgers hingegen nicht in Erwägung. Den Subventionsskandal komplettiert die EU. Zwar wird in Brüssel beteuert, aus dem Regionalfonds seien keine direkten Fördermittel nach Nokia-Village in Rumänien geflossen, indirekte aber gewiss.

Nokia-Village

Aus dem Topf für die Infrastruktur der neuen EU-Mitglieder wurde die Finanzierung dieses nagelneuen Industrieparks mit dreissig Millionen Euro erleichtert. Hinzu kamen der Ausbau einer Eisenbahnlinie, einer Autobahn sowie des derzeit noch kleinen Flughafens in der Nähe von Nokia-Village. Um es klar zu stellen: Gerade Rumänien braucht eine wirtschaftsnahe Infrastruktur. Nicht akzeptabel ist, dass renditestarke Unternehmen wie Nokia einen subventionierten Standort schliessen, um einen neuen zu eröffnen, der sich erneut öffentlicher Zuschüsse aus dem EU-Gemeinschaftshaushalt erfreut. Am Ende ist Nokia mit steigenden Gewinnen der Sieger, während die Krisenkosten in Bochum vergesellschaftet werden.


Milliardengewinn

Eine Woche nach dem Schliessungsbescheid für das Handywerk Bochum vermeldete Nokia einen Rekordgewinn von 7,2 Milliarden Euro für das vergangene Jahr. Damit erhöhte sich der Nettogewinn gegenüber dem Vorjahr um fast siebzig Prozent, den Marktanteil konnte der finnische Konzern auf vierzig Prozent ausbauen. Der Umsatz stieg um 24 Prozent auf über fünfzig Milliarden Euro. Nokia hatte die Schliessung des Werkes mit 2300 Beschäftigten mit zu hohen Personalkosten begründet. Diese seien nicht konkurrenzfähig.