Alternde Männer: «Das Alter ist ein bunter Kontinent»

Nr. 10 –

Männliche Wechseljahre? Gibt es das? Und warum tun sich viele Männer mit der Pensionierung so schwer? Der Gerontologe Eckart Hammer gibt Auskunft.

WOZ: Sie haben Ihr Buch «Männer altern anders» eine Gebrauchsanweisung genannt, was an die Do-it-yourself-Anleitungen fürs Autoreparieren erinnert. Dennoch hatte ich beim Lesen das Gefühl, Ihr Buch wende sich vor allem an Frauen - ist das nun ein Frauen-Trostbuch?

Eckart Hammer: Das höre ich jetzt zum ersten Mal - interessant. Ich habe das Buch auf jeden Fall für Männer geschrieben. Aber Sie haben recht: Männer lesen so etwas in der Regel nicht, schon deshalb, weil sie sich nicht gerne mit sich selbst befassen, und genau davon handelt das Buch ja.

In Ihrem Buch behaupten Sie, dass das Altern Männer härter treffe als Frauen. Wie kommen Sie dazu?

Frauen sind in viel stärkerem Masse als Männer lebenslang mit biografischen Brüchen konfrontiert: Ausbildung, Beruf, Familie, wieder Beruf, Pflege und so weiter. Sie bewegen sich in verschiedenen Bezugsfeldern und haben gelernt, mit Unvorhersehbarem umzugehen. Männer, soweit sie eine Normalarbeitsbiografie leben - die allerdings im Schwinden ist -, werden gelebt. Da wird alles von aussen bestimmt.

Wo gibt es Probleme?

Die Entberuflichung ist der erste wirkliche Bruch. Plötzlich sind Männer auf sich selbst zurückgeworfen. Sie stehen vor der Frage: Was jetzt? Tätigkeiten, Freunde, alles war bislang über den Beruf vermittelt. Jetzt bleibt plötzlich nur noch die Ehefrau, die alle Bedürfnisse erfüllen, alles auffangen soll.

Und da die Phase des Ruhestands heute viel länger dauert als früher, weil die Leute mit 55 schon alt gemacht werden und gleichzeitig länger leben, wird das zum Problem. Mit 55 plötzlich radikal sein Leben ändern zu müssen, wenn man aus dem «Gefängnis» der Arbeit «freigesetzt» wird, ist eine Herausforderung. Die meisten Ruheständler haben kein Konzept dafür.

Ein Problem für Männer ist, im Alter stabile soziale Beziehungen herzustellen. Männer sterben früher, sie nehmen sich öfter das Leben als Frauen. Soziale Kompetenz lässt sich nicht so einfach nachholen. Was würden Sie Männern raten?

Das ist in der Tat schwierig. Untersuchungen belegen, dass in der Regel nur die Aktivitäten, die mit zwanzig oder dreissig begonnen wurden, auch im Alter weitergeführt werden. Insofern begleitet einen die Frage «Wie lebe ich richtig?» lebenslang. Eine Chance besteht darin, dass die Phase der Entberuflichung historisch erstmals materiell relativ abgesichert ist. Bei guter Gesundheit kann - und muss - man in dieser Phase ein neues Geschäft anfangen.Ein Beispiel wäre, dass man sich sozial engagiert für das Gemeinwesen, in der Nachbarschaft. Im ehrenamtlichen Engagement mache ich mit anderen etwas für mich und gleichzeitig für andere, was irgendwann auf mich zurückfällt: in Form von Wahlverwandtschaften, einem sozialen Netz, auf das ich dann zurückgreifen kann.

Männer sind vor allem im Sportverein oder in der Politik ehrenamtlich tätig. Das heisst, im Prinzip wiederholen sich die männlichen Berufsrollen im Alter. Wie ist das zu durchbrechen?

Es gibt tatsächlich eine starke geschlechtsspezifische Rollenteilung im ehrenamtlichen Engagement. Aber vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, dass die Männer das weiter tun, was sie können - der Manager zum Beispiel, der in einer neuen, sozial orientierten Form sein Wissen weitergibt.

Ich habe das unter dem Stichwort Wechseljahre beschrieben. Sie sind biologisch für den Mann wahrscheinlich nicht so gravierend, aber eine Möglichkeit, innezuhalten, zu überlegen: Wo stehe ich? Wie sieht mein Umfeld aus? Orientiere ich mich nur nach aussen, oder lasse ich andere Dimensionen in mir zu?

Sie sagen, die männlichen Wechseljahre gebe es biologisch nicht. Aber ist nicht gerade der Verlust der männlichen Kraft und Potenz identitätsbedrohend für Männer?

Ich denke, für Frauen bedeuten die Wechseljahre biologisch einen radikaleren Bruch als für Männer. Bei Männern setzt das früher ein: Schon mit dreissig verändert sich ihr Hormonstatus. Der Prozess verläuft schleichender. Ich kann mich mit den medizinischen Auswegen aus den männlichen Wechseljahren nicht anfreunden, weil Männer ohnehin gerne zu solchen technischen Lösungen greifen, man denke nur an Viagra.

Ein Mann kann diese Veränderungen aber auch zulassen, im Sinne einer Verunsicherung, indem er sich fragt: Wie steht es um meine Partnerschaft? Ist sie noch tragfähig? Was ist da noch möglich? Anstatt einfach loszurennen, sich eine jüngere Frau zu suchen und Hormone zu spritzen.

Wichtig ist auch, sich einzugestehen, dass man nicht mehr die Kräfte wie vor zwanzig Jahren hat. Man sollte sich zum Beispiel fragen, ob ein Marathon gesundheitlich noch angesagt ist.

Alte Männer unterscheiden sich von alten Frauen. Aber auch alte Männer sind nicht alle gleich - mein Eindruck ist, dass das Alter die sozialen, geschlechtsspezifischen und ethnischen Gräben und Verwerfungen noch einmal vertieft.

Zunächst: Alt ist nicht gleich alt - kein Kontinent ist bunter als das Alter. Deshalb ist es natürlich immer wichtig, zu fragen, von welchem Menschen wir reden. Ganz sicher ist, dass Reiche länger leben. Das soziale Gefälle dramatisiert sich im Alter noch. Die Geschlechter gleichen sich im Alter biologisch zwar eher an, aber die Frauen werden wegen der unterschiedlichen Lebenserwartung häufiger Witwen, und Armut ist für sie ein gravierenderes Problem.

Migranten, für die die Rückkehroption immer ein Thema ist, kann es passieren, dass dieser Traum im Alter platzt und die Zerrissenheit zwischen den Kulturen und die Entfremdung von der jüngeren Generation spürbarer und schmerzhafter werden.

Eckart Hammer: Männer altern anders. Eine Gebrauchsanweisung. Herder, Freiburg 2007. 219 Seiten, Fr. 27.50