China: Die WettermacherInnen

Nr. 12 –

Wir haben alles im Griff, behaupten die Verantwortlichen der Olympischen Spiele - die Organisation, potenzielle StörerInnen, sogar das Wetter. Doch der Machbarkeitswahn stösst an Grenzen.

«Wir sind bereits sehr gut im Regenmachen», sagt Liu Xiaolin. Er ist Mitarbeiter des Wetterkontrollamtes in Hohot, der Hauptstadt der zu China gehörenden Autonomen Region Innere Mongolei. «Aber wir müssen noch mehr forschen, um auch Regen vermeiden zu können.»

Das Regenmachen hat in China Tradition. Im äussersten Norden Chinas, an der Grenze zu Russland, lebt der Volksstamm der Ewenki. Ganz im Süden, an der Grenze zu Burma, siedelt der Volksstamm der Drung. In beiden Stämmen gibt es noch einige echte Schamanen, die - zumindest nach eigenem Bekunden - auch das Wetter beeinflussen können. Dennoch kommen den ChinesInnen keine Schamanen in den Sinn, wenn sie vom Wettermachen reden - sondern die IngenieurInnen der meterologischen Ämter.

In der Hauptstadt Beijing ist es bereits seit vielen Jahren so, dass es am Vorabend der wichtigsten Feiertage wie aus Kübeln schüttet. Das regnet den ganzen Smog und Staub herunter. Der strahlend blaue Feiertagshimmel am nächsten Tag überzeugt dann die BeijingerInnen und erst recht die vielen Millionen, welche die Paraden und Showveranstaltungen am Fernseher verfolgen, dass die Luftverschmutzung in der Hauptstadt doch gar nicht so schlimm ist.

Wer am Abend vor der Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele am 8. August noch einmal aus dem Haus muss, sollte also einen Regenschirm mitnehmen. Die ganze Angelegenheit hätte damit erledigt sein können. Leider ist die Sache aber etwas komplizierter: Denn die Beijinger MeteorologInnen prophezeien für den 8. August nicht nur Durchschnittstemperaturen von zwischen 25 und 30 Grad, sondern auch eine relative Luftfeuchtigkeit von 77 Prozent und damit eine «Regenwahrscheinlichkeit» von 50 Prozent. Das bereitet Wang Qishan, Beijinger Bürgermeister und Geschäftsführer des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele, laut eigenem Bekunden die meisten Kopfschmerzen. Regen soll es bei der Eröffnungsveranstaltung keinesfalls geben.

Die Materie: Wasserdampf

Deswegen musste das Meteorologische Amt etwas unternehmen. «Wir werden weitere Massnahmen ergreifen, um gegen mögliches schlechtes Wetter vorzugehen», versicherte Wang Yubin, Vize-Chefingenieur des Beijinger Meteorologischen Amts, bereits am 7. August 2007 dem besorgten Organisationskomitee. Und schon einen Tag später, also genau ein Jahr vor der Eröffnung der Spiele, wurde deutlich, was er damit meinte: Drei Flugzeuge mit je zehn TechnikerInnen an Bord versprühten über der Stadt Hohot auf 8000 Meter Höhe Silberjodid und 2,8 Tonnen einer umweltschonenden mineralischen Einzellerablagerung namens Diatomite, um Regenwolken auseinanderzutreiben und Tröpfchenbildung zu verhindern. Trotz ungünstiger Wetterbedingungen waren die IngenieurInnen mit ihrem Test zufrieden. Allerdings funktioniert die Regenvermeidung bisher nur auf relativ kleinen Flächen.

Darum wird das Beijinger Wetteramt zu Beginn der Spiele auf eine Doppelstrategie setzen. Weit draussen, 15 bis 120 Kilometer vom Olympiagelände entfernt, will es regnen lassen, während innerhalb des 15-Kilometer-Radius Regen vermieden werden soll. Sollte ein Start der Flugzeuge wegen schlechten Wetters nicht möglich sein, können die Chemikalien auch von 26 rund um Beijing stationierten Raketen direkt in die Wolken geschossen werden.

Wäre es da nicht einfacher gewesen, den Beginn der Spiele etwas nach hinten zu verschieben? Nach dem 24. August beginnt laut dem jahrtausendealten chinesischen Bauernkalender die Chushu-Periode («Ende der Hitze»). Die Luft wird dann deutlich kühler und trockener. Wieso musste es also unbedingt der 8. August sein? Nur weil - und so wurde zuweilen argumentiert - die Zahl «8» auf Chinesisch ausgesprochen ähnlich klingt wie «fa», was neben den im Wörterbuch aufgeführten elf weiteren Bedeutungen auch «sich entwickeln» bedeuten kann? Und weil die Ziffer 8, auf Arabisch geschrieben, eine entfernte Ähnlichkeit mit dem chinesischen Zeichen für «xi» - auf Deutsch «Glück, Freude» - hat?

Kann es sein, dass die Kader der Kommunistischen Partei, die das Schamanentum als Aberglauben ablehnen und die die Religionen der Ewenki und der Drung nicht zu den fünf offiziell zugelassenen Glaubensgemeinschaften zählen, so viel Wert auf ein «glückliches Datum» legen? Das ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass die Parteikader die Gelegenheit nutzen, einmal aller Welt zu zeigen, woran sie wirklich glauben: an die Allmacht der Technik.

Das Problem: Wasser

Dieser Glaube zeigt sich auch in der Wasserwirtschaft. «Beijings Wasserknappheit ist das wichtigste Entwicklungshemmnis der Stadt», sagt Niu Youchen, Beijings Vizebürgermeister. Die Statistiken zeigen, dass die Stadt weniger Trinkwasserreserven pro Kopf hat als die Wüstenstaaten Jemen oder Jordanien. Die Behörden saugen aus dem Boden viel mehr Grundwasser, als der Natur zuträglich ist: Der Grundwasserspiegel unter der Hauptstadt sinkt jedes Jahr um 1,20 Meter. Das grösste Beijinger Trinkwasserreservoir bei Miyun fasst zwar theoretisch mehr als den Beijinger Jahresverbrauch in Höhe von 3,4 Milliarden Kubikmeter, ist aber wegen der seit 1999 anhaltenden Trockenheit, derzeit nicht einmal zu einem Achtel gefüllt. Und selbst für die noch vorhandenen knapp 700 Millionen Kubikmeter braucht es - zum Regenmachen - den Einsatz von 2 Flugzeugen, 21 mobilen Raketenabschussbasen und 30 Flugabwehrkanonen.

Weil das alles nicht reicht, hat das Beijinger Wasseramt mit der Provinzverwaltung von Hebei - diese Provinz umgibt die Hauptstadt - eine Vielzahl von Lieferverträgen abgeschlossen. Für den höheren Wasserverbrauch während der Olympischen Spiele stellt Hebei ab April zusätzlich 400 Millionen Kubikmeter Wasser für Beijing bereit - obwohl in Hebei über eine halbe Million Menschen unter Wasserknappheit leiden. Und obwohl dort der Grundwasserspiegel noch schneller fällt: Vielerorts liegt er bereits unter 300 Metern (so tief muss man einen Brunnen graben, um an Wasser zu kommen); ausserdem besteht die Gefahr, dass salziges Meerwasser in die ehemals Grundwasser führenden Schichten dringt. In der Umgebung liegt die Lösung für Beijings Wasserprobleme also nicht. Zumindest nicht die langfristige.

Trotzdem verspricht Jiao Zhizhong, dass «im Jahre 2010 Wasserangebot und Nachfrage ausgeglichen sein» werden. Der Direktor von Beijings Wasseramt ist zuversichtlich, weil 2003 mit dem Bau eines gewaltigen Kanals begonnen wurde, der abschnittsweise in gigantischen Röhren unter der Erdoberfläche und unter dem fast ausgetrockneten Gelben Fluss hindurch verläuft. Diese Zuleitung soll ab 2010 jährlich 9,3 Milliarden Kubikmeter Wasser aus der Provinz Hubei nach Beijing und in die benachbarte Grossstadt Tianjin führen.

Der Kanal hat eine Länge von 1267 Kilometern. Eventuell werden es auch noch ein paar Kilometer mehr sein. Denn der Fluss Han, der angezapft werden soll, führt seit Jahren so wenig Wasser, dass darüber nachgedacht wird, den Kanal bis an den Jangtse zu verlängern (vgl. Karte).

Die Behörden schätzen die Kosten des Projekts auf 250 Milliarden Renminbi Yuan, umgerechnet 36 Milliarden Franken. Damit ist klar, dass das Wasser nur für zahlungskräftige StädterInnen bestimmt sein wird und nicht für die dürstende Landbevölkerung von Hebei.

Derzeit zahlt ein Beijinger Haushalt für einen Kubikmeter Wasser nicht einmal 0,30 Yuan (4 Rappen). Dieser Preis ist hoch subventioniert - aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird sich der Bau des Kanals frühestens in neunzig Jahren amortisiert haben. Rechnet man Zinsen, Wartung und Betriebskosten dazu, wird klar, dass hier den im Landesdurchschnitt ohnehin reichen HauptstädterInnen ein riesiges Geschenk gemacht wird. Warum wird der Wasserpreis nicht einfach angehoben? Er müsste ja nicht so hoch sein, dass sich der Beijinger Verbrauch gleich auf ein nachhaltiges Niveau reduziert. Aber er sollte doch wenigstens die Herstellungs- und Bereitstellungskosten widerspiegeln. Wird auf die fällige Preiserhöhung nur deswegen verzichtet, weil ein höherer Wasserpreis der Inflation, dem «grössten Feind der Partei», weiter Auftrieb verleihen könnte? Wahrscheinlicher ist, dass sich die Parteikader so sehr von der technischen Machbarkeit begeistern lassen, dass sie auf Kosten-Nutzen-Analysen nur wenig Rücksicht nehmen.

Der Rückschlag: Eis

Noch funktioniert nicht alles nach Plan - wie beispielsweise der Wettereinbruch Mitte Januar zeigte, der das öffentliche Leben im Süden des Landes zum Stillstand brachte. «Die siegreiche Eröffnung der Volkskongresse und der Politischen Konsultativkonferenzen auf Provinzebene wurde in Fernsehen, Funk und Presse mit grossem Getöse gefeiert», schrieb kürzlich ein Blogger oder eine Bloggerin. Dass «in einer der südlichen Provinzen diese Konferenzen wegen ungewöhnlicher Wetterbedingungen einen Tag früher beendet wurden», sei, so kritisierte er, von denselben Medien lediglich «als Beweis für den Realitätsinn der Politiker» gedeutet worden.

Was den Mann, vielleicht auch die Frau, am meisten aufregte, war jedoch nicht die Tatsache, dass für die kleinen Leute keinerlei Vorkehrmassnahmen getroffen wurden, obwohl die Regierung wusste, was für ein Wetter sich im Süden zusammenbraute. Er (oder sie) regte sich vor allem darüber auf, dass in den staatlichen Medien nach den Schnee- und Eisregenfällen nicht über die Lage der «einfachen Leute» berichtet wurde.

Alles drehte sich nur um die «technischen Gegenmassnahmen», die «heroischen und unermüdlichen» Anstrengungen der Regierung. Die frierenden WanderarbeiterInnen, die sich tagelang nur von Instant-Nudeln ernährten, seien nie zu Wort gekommen. Interviewt wurde höchstens mal ein müder Bahnpolizist, der aber immerhin zu Hause ein Bett hat und Überstundengeld erhält.

Die schweren Schnee- und Eisregenfälle begannen am 10. Januar. Als sich der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao am Abend des 28. Januar auf den Weg in das Katastrophengebiet im Süden machte, hatten bereits Millionen von ChinesInnen über zwei Wochen ohne Kohle, Strom, fliessendes Wasser und frische Nahrungsmittel hinter sich. «Die Regierung strengt sich an, alles so schnell wie möglich zu reparieren», rief Wen Jiabao per Megafon den Tausenden im Bahnhof von Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, zu, die dort seit Tagen festsassen.

Nach seiner Visite ging alles sehr schnell. Nach einem nur 44 Stunden währenden Aufenthalt in Beijing reiste Wen Jiabao am 1. Februar erneut ins Katastrophengebiet. Da hatte der Staatsrat bereits Kohle-, Strom und Öltransporte organisiert und ein Rettungszentrum eingerichtet. Aber warum haben die Behörden nicht früher reagiert? Haben sie abgewartet, weil sie - wie üblich - für wichtige Entscheidungen unbedingt den Segen «von ganz oben» brauchten? Wahrscheinlicher ist, dass sich chinesische PolitikerInnen ausschliesslich auf die Vervollkommnung - oder wie in diesem Fall die Wiederinstandsetzung - technischer Hardware konzentrieren und auf die in Krisenfällen gebotene Umgestaltung von Entscheidungsprozessen und Verwaltungsstrukturen wenig Rücksicht nehmen.

Während der Zeit der chinesischen Kaiserreiche galten Katastrophen wie Dürren oder Überflutungen als ein Zeichen dafür, dass der «Sohn des Himmels» sein Mandat verloren hatte. Selbst der Tod des «Grossen Vorsitzenden» der Kommunistischen Partei (KP), Mao Zedong, am 9. September 1976 hatte sich - so der Volksglaube - durch einen Meteoritenregen in der Provinz Jilin angekündigt und durch das schwere Erdbeben in der Stadt Tangshan. Und nun musste ausgerechnet zum Frühlingsfest, als sich gut 180 Millionen ChinesInnen per Bahn und weitere 20 Millionen per Flugzeug auf die Reise in ihre Herkunftsregionen begeben wollten, eine Schnee- und Eiskatastrophe über China hereinbrechen.

Das dürfte Chinas mächtigsten Männern, den acht Ingenieuren im neunköpfigen Ständigen Ausschusses des KP-Politbüros, fast ebenso unangenehm gewesen sein wie die Vorstellung, dass es während der Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele 2008 regnet. Zumal der Schnee und das Eis im Januar genau dort am heftigsten fielen, wo sich die bislang grösste chinesische Ingenieursleistung befindet: am Drei-Schluchten-Staudamm.

Vielleicht war es ja der immer noch tief in der chinesischen Gesellschaft wurzelnde Aberglaube gewesen (in diesem Fall die in der Kaiserzeit verbreitete Legende vom Katastrophenurteil über die Mächtigen), der Wen Jiabao dazu brachte, sich bei den Wartenden auf dem Bahnhof von Changsha so ausdrücklich zu entschuldigen. Das Wetter, das musste dem Ministerpräsidenten in dieser Situation klar geworden sein, steht doch noch nicht ganz unter der Kontrolle der Partei.