1. Folge: Klandestin in Zürich: Als Hitlergegner ins Schweizer Zuchthaus

Nr. 15 –

In den dreissiger und vierziger Jahren führten Kommunisten wie Fritz Sperling ihren Kampf gegen das Naziregime in Deutschland von der Schweiz aus. Unterstützt wurden sie dabei von einem Teil der hiesigen Bevölkerung. Doch die Behörden duldeten keine politischen Aktivitäten von EmigrantInnen.

Fritz Sperling ist 26-jährig, als er im Herbst 1937 illegal die Grenze von Frankreich in die Schweiz überquert. In Paris hatte ihn das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) damit beauftragt, sich in Zürich bei der Abschnittsleitung Süd der KPD zu melden, um den gefährlichen Job als Instrukteur für den Landeinsatz in Süddeutschland zu übernehmen. Er soll mit gefälschten Papieren regelmässig von der Schweiz vorab nach München fahren, um dort den verbliebenen GenossInnen die Beschlüsse der Parteileitung zu übermitteln und sie mit Zeitungen und Flugblättern zu versorgen. Ziel der KPD ist es, in Deutschland eine breite Volksfront aller NazigegnerInnen zu schaffen, um Hitler von innen her zu stürzen. Dabei soll vor allem in den Betrieben die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen gegenüber den Nazis geschürt werden.

Sperling ist zwar für diesen Job noch ausgesprochen jung, aber keineswegs unerfahren. Aufgewachsen im Ruhrgebiet als Sohn eines Bergarbeiters, trat er bereits mit Beginn seiner Lehre als Buchhalter der Gewerkschaft und der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) bei. Im Alter von zwanzig Jahren wechselte er zum Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), wo er sogleich in die Unterbezirksleitung von Duisburg-Hamborn aufstieg. Mit der Machtübernahme durch die Nazis 1933 wurden alle linken Organisationen verboten und Zehntausende AktivistInnen verhaftet. Auch Sperling musste mehrere Monate in sogenannter Schutzhaft verbringen. Nach seiner Freilassung begann er sich jedoch sofort wieder politisch zu engagieren. Als bezahlter Parteifunktionär versuchte er teils in Deutschland, teils von den angrenzenden Niederlanden aus, den fast zerschlagenen KJVD neu aufzubauen. Er gerät ins Visier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), die in ihm einen gefährlichen Staatsfeind sieht. Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm ermittelt gegen ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat und lässt in ganz Deutschland nach ihm fahnden.

Die nationale Führung des KJVD in Amsterdam schickte Sperling 1935 zusammen mit seiner damaligen Freundin Elvira Nieper nach Moskau an die Lenin-Schule. Diese Eliteschule der Kommunistischen Internationalen (Komintern) war eine Art Ausbildungsstätte für BerufsrevolutionärInnen. Auf dem Stundenplan stand neben Theorie über die Geschichte der kommunistischen Bewegung auch viel zu Strategie und Taktik des Klassenkampfes, darunter viele Anweisungen, wie sich ein kommunistischer Kader in der Illegalität zu bewegen hat. Sperling lernte in Moskau das Geschäft der Tarnung. Ein Verhalten, das es bereits an der Schule selbst zu beachten galt. Sperling nannte sich in Moskau Herbert Wächtler, Elvira Nieper trug den Namen Toni Grün. Am 5. März 1937 wurde ihr gemeinsamer Sohn Ernst geboren. Wie viele BerufsrevolutionärInnen liessen auch sie ihr Kind nach Ende des Kurses an der Leninschule in der Sowjetunion zurück. Es wird unter dem Namen Ernst Grün in einem speziellen Kinderheim für Deutsche in der sowjetischen Stadt Iwanowo aufwachsen. Sperling wird seinen Sohn nie wiedersehen.

KPD-Zelle am Schauspielhaus

Fritz Sperling wird in Zürich von der Schweizer Sektion der Roten Hilfe betreut. Diese internationale Hilfsorganisation steht der Komintern nahe und kümmert sich in den dreissiger Jahren vor allem um die vielen kommunistischen Flüchtlinge und EmigrantInnen. In der Schweiz versorgt die Rote Hilfe ihre Schützlinge mit Essens- und Übernachtungsmöglichkeiten bei GenossInnen - vielfach Mitglieder der Kommunistischen Partei der Schweiz (KPS). Dabei kümmert sie sich besonders auch um Leute wie Sperling, die sich illegal in der Schweiz aufhalten und befürchten müssen, von den Behörden bei einer Anmeldung umgehend ausgeschafft zu werden. Sperling stellt sich bei seinen zumeist proletarischen LogisgeberInnen mal mit «Jonny», mal mit «Johann» vor.

Nachdem Sperling durch den Abwehrmann der KPD in Zürich überprüft worden ist, kann er seine Arbeit aufnehmen. Einmal pro Monat fährt er mit falschem Pass auf verschlungenen Wegen nach München. Dort instruiert er die in Deutschland verbliebenen GenossInnen und versucht Jugendgruppen aufzubauen. In Zürich schreibt er Artikel für die «Süddeutsche Volksstimme», die in der Schweiz gedruckt und in Deutschland verteilt wird. Ausserdem steht er in Verbindung mit der KJVD-Leitung in Amsterdam. Auch Elvira Nieper kommt 1938 nach Zürich, wo sie die illegale Arbeit in der KPD aufnimmt. Von den wenigen legalisierten Flüchtlingen der KPD hält sich Sperling fern, um nicht ins Visier der politischen Polizei zu geraten. «Ich hielt mich streng an die Regeln der Konspiration», wird er später in einem Bericht zu seiner Anfangszeit in Zürich schreiben. Die KPD ist in Zellen von drei bis fünf Mitgliedern strukturiert. Nur die einzelnen Zellenleiter haben Kontakt zur Leitung. Die politische Betätigung ist auch den legalen EmigrantInnen durch die Schweizer Behörden streng verboten. Eine KPD-Zelle befindet sich am Schauspielhaus Zürich, geführt vom deutschen Schauspieler Wolfgang Langhoff, der 1934 vom Nazireich in die Schweiz flüchtete, nachdem er zuvor im Konzentrationslager Esterwegen inhaftiert gewesen war. Langhoff ist anerkannter Flüchtling und hatte mit seinem 1935 erschienenen KZ-Buch «Die Moorsoldaten» grosses Aufsehen erregt.

Der Krieg beginnt

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 riegelt die Schweiz ihre Grenzen zu Deutschland stärker ab. Damit wird die Tätigkeit der Instrukteure eingeschränkt. Die KPD-Führung beschliesst, dass sich alle ihre bis anhin illegalen Kader als politische Flüchtlinge in der Schweiz registrieren lassen sollen. Sie glaubt, dass sich die Schweizer Behörden wegen des Kriegsbeginns tolerant verhalten würden. Diese Annahme erweist sich aber als Fehleinschätzung. Viele werden sofort verhaftet und in Strafanstalten interniert. Die Polizei versucht, die Kommunistin Elsa Mayer gar schwarz nach Deutschland auszuschaffen, wie so viele namenlose jüdische Flüchtlinge auch. Ein Detektiv der Zürcher Kantonspolizist verfrachtet sie in der Abenddämmerung an die Grenze und fordert sie auf, ins deutsche Jestetten hinüberzugehen. Mayer versteckt sich so gut es geht hinter Büschen und wartet ab, bis der Polizist weg ist. Dann tritt sie durch die Dunkelheit den Rückweg in die Schweiz an. Einige Tage später kann sie dem liberalen Nationalrat Albert Maag-Socin ihre Geschichte erzählen, der bei den Bundesbehörden interveniert und erwirkt, dass man sie zwar interniert, aber in der Schweiz behält.

Fritz Sperling und Elvira Nieper warten mit ihrer Legalisierung ab und wählen nach den schlechten Erfahrungen ihrer GenossInnen eine andere Taktik. Sie melden sich zuerst beim Schweizerischen Arbeiterhilfswerk (SAH) und geben sich als GewerkschafterInnen und SozialdemokratInnen aus. Daraufhin melden sie sich bei der Polizei: Sie seien eben von Deutschland in die Schweiz geflüchtet und verweisen auf das SAH. Elvira Nieper wird so als politischer Flüchtling anerkannt und erhält sogar eine Arbeitsstelle als Haushaltshilfe. Allerdings muss sie sich innerhalb eines halben Jahres um ihre Weiterreise kümmern. Die Schweiz sei schon «überfremdet» genug. Fritz Sperling jedoch will die Fremdenpolizei seine Geschichte als verfolgter Gewerkschafter nicht so recht abkaufen. Weil er aber als Fluchtgrund auch angibt, er habe sich einer drohenden Aushebung durch die deutsche Reichswehr entziehen wollen, halten ihn die Behörden anfänglich für einen Deserteur. Ein Hin und Her im Behördenapparat, wie mit ihm zu verfahren sei, verschafft ihm vorübergehend einen Status, den man heute wohl mit dem eines Asylbewerbers vergleichen könnte. Er wird nicht interniert und kann sich legal in Zürich an der Schweighofstrasse anmelden. Daneben setzt er seine illegale Arbeit fort: Innerhalb der personell geschwächten KPD in der Schweiz steigt er in die Abschnittsleitung auf und versucht die Partei zu reorganisieren.

Trotz seines nun legalen Status hat Sperling in Zürich kein einfaches Leben. Weil er seine Gewerkschaftszugehörigkeit nicht stichhaltig beweisen kann, erhält er vom SAH keine finanzielle Unterstützung. Immerhin vermittelt ihm aber die SAH-Leiterin Regina Kägi-Fuchsmann eine Arbeitsstelle als Hilfsgärtner - er scheint sie allerdings nie angetreten zu haben. Der Roten Hilfe andererseits gehen die Gelder aus. Am 18. März 1940 schickt die Rote-Hilfe-Sekretärin Maria Hasslauer ihren Schützling Fritz Sperling mit einem Schreiben bei der Evangelischen Flüchtlingshilfe in Zürich vorbei: «Der Überbringer dieses Briefes ist der Ihnen von mir empfohlene Flüchtling Fritz Sperling. Er ist einer der ruhigsten und angenehmsten Emigranten, den ich in meiner Führsorgetätigkeit kennengelernt habe. Ich möchte den Betreffenden ganz besonders ihrem Wohlwollen empfehlen.» Tatsächlich erhält Sperling von da an fünfzehn Franken in der Woche von der evangelischen Kirche. Der zuständige Pfarrer ist über diese Form der Kooperation mit der Roten Hilfe allerdings nicht sonderlich erfreut. In einem Brief an Hasslauer vom 24. Juni 1940 macht er seinem Ärger darüber Luft: «Die kirchliche Flüchtlingshilfe ist nicht gewillt, sich kurzweg die Leute zuschieben zu lassen, die gar nicht zu ihr gehören. Ich sehe in der Nötigung durch Hunger ein Vorgehen, dass die Gestapo noch übertrifft.» Sperling leide nicht nur an «bitterer Not», sondern sei auch «in Krankheit verfallen».

Sperlings Gesundheit dürfte nicht nur wegen seiner materiellen Situation angegriffen gewesen sein. Auch die politische Situation macht der KPD-Spitze in der Schweiz - in den Führungspositionen sitzen ausschliesslich Männer - zu schaffen. So entsteht nach der Inhaftierung der Parteileitung ein Machtkampf zwischen den schon länger legalisierten Genossen in der Emigrationsleitung und den neu in die Abschnittsleitung Süd aufgestiegenen Funktionären. Sperling bekämpft die Ansicht, dass die Instruktionsarbeit in Deutschland eingestellt werden soll. Ausserdem wird über politische Inhalte gestritten: Nach Beginn des Krieges will die Emigrationsleitung nichts mehr von der angestrebten grossen Einheitsfront wissen und propagiert in einem Flugblatt den bewaffneten Kampf in Deutschland mit dem Ziel der Errichtung eines sozialistischen Staates. Die inhaltliche Desorientierung ist deshalb so gross, weil die Verbindung zur Parteiführung nahezu abgebrochen ist. Die ZK-Mitglieder in Paris sind von der französischen Regierung nach Kriegsausbruch interniert worden, und das Politbüro sitzt im fernen Moskau.

Ausserdem unterstützen immer weniger Schweizer ArbeiterInnen die Rote Hilfe, was die Parteiarbeit der KPD in der Schweiz erschwert. Die sinkende Hilfsbereitschaft hat teilweise wirtschaftliche Gründe. Allerdings gibt es in der Linken auch ein zunehmendes Unbehagen über die Politik von Josef Stalin, der vonseiten der KPD und der KPS weiterhin vergöttert wird. Insbesondere Stalins Nichtangriffspakt mit Hitler, unmittelbar vor dem Überfall der Reichswehr auf Polen, stösst auf Ablehnung. Dazu kommen die Säuberungsaktionen in der Sowjetunion. Viele kommunistische EmigrantInnen werden in der Sowjetunion verhaftet und ermordet, vermeintliche TrotzkistInnen aus Deutschland der Gestapo übergeben.

Gleichzeitig nimmt der Druck der Schweizer Behörden auf die kommunistische Bewegung weiter zu. Die bürgerlichen Politiker fordern immer lauter ein Verbot der KPS. Deren Mitglieder stehen unter ständiger Beobachtung der Staatsschutzpolizei, was politische Aktivitäten der EmigrantInnen erschwert.

Spitzelberichte

Am 10. April 1940 wird die Bundesanwaltschaft in Bern von einer anonymen Quelle auf die deutsche Kommunistin Susanne Schüle aufmerksam gemacht, die «in den alkoholfreien Wirtschaften, welche vom Proletariat aufgesucht werden, für den Kommunismus agitiert, über unsere Landesbehörden schimpft und auch für die Schweiz die bevorstehende bolschewistische Herrschaft predigt». Schüle beziehe von der Roten Hilfe und «gewissen Persönlichkeiten der KPS» finanzielle Hilfe.

Susanne Schüle lebt seit 1937 als politischer Flüchtling in der Schweiz. Als KPD-Mitglied engagiert sie sich anfänglich für die in Deutschland zum Tode verurteilte Kommunistin Lilo Hermann. Es gelingt ihr, verschiedenste Schweizer Organisationen wie Frauenvereine, kirchliche Gruppen und Gewerkschaften davon zu überzeugen, sich für Hermann mit Protestschreiben und Begnadigungsgesuchen einzusetzen - allerdings wird Lilo Hermann dennoch von den Nazis hingerichtet. Später arbeitet Schüle bei illegalen Zeitungen mit. Sie schreibt auch Artikel für den «Bundschuh», eine Zeitung, die sich speziell an die BäuerInnen in Süddeutschland richtet. Zudem tippt sie Sperlings Artikel auf der Schreibmaschine.

Schon 1938 liegt der Bundesanwaltschaft ein Hinweis auf Schüles verbotene kommunistische Tätigkeit in der Schweiz vor. In einem Brief eines gewissen «Ferdinand» an einen «Walter» wird sie bezichtigt, deutsche KommunistInnen via Basel nach Frankreich zu schleusen. Von dort würden diese nach Spanien weiterreisen, wo sie sich dann am Kampf gegen die Franco-Faschisten beteiligten. Bei der Bundesanwaltschaft finden sich viele dieser Ferdinand-Walter-Meldungen. Beim Decknamen Ferdinand scheint es sich um einen hochrangigen Mitarbeiter der Gestapo in Stuttgart zu handeln.

Nach der Mitteilung vom 10. April 1940 ordnet die Bundesanwaltschaft eine Postkontrolle gegen Schüle an. Über Monate werden die Briefe an Schüle abgefangen und vom Staatsschutz gelesen, bringen jedoch keine neuen Erkenntnisse. Schliesslich ordnet die Bundesanwaltschaft Anfang November die Verhaftung von Schüle und die Durchsuchung ihrer Wohnung an. Die Beamten finden zwar «kommunistisches Schriftmaterial», aber keine stichhaltigen Beweise für Schüles politische Tätigkeit. In ihrem Briefkasten stossen sie jedoch auf einen handgeschriebenen Zettel, mit dem jemand ein Treffen um neun Uhr morgens beim Kunstgewerbemuseum vereinbart. Endlich hat die Polizei eine heisse Spur, um gegen «kommunistische Umtriebe» der deutschen Emigration vorgehen zu können.

Erneutes Untertauchen

Am Mittwoch, dem 6. November 1940, sitzt vor dem Kunstgewerbemuseum in Zürich ein Pärchen auf einer Parkbank und scheint auf irgendetwas zu warten. Fritz Sperling, der sich hier mit Susanne Schüle treffen will, fallen die beiden sofort auf. «Es war immerhin erst neun Uhr morgens, Arbeitstag und eigentlich nicht warm genug, um auf einer Bank im Freien zu sitzen», schreibt er später in einem verschlüsselten Bericht zuhanden seiner Partei. Sperling wartet kurze Zeit auf Schüle, als sie aber nicht erscheint, will er sich davonstehlen. Er bemerkt, dass ihm das Pärchen folgt. Er beschleunigt sein Tempo, läuft durch verschiedene Gassen und Hinterhöfe im Stadtkreis 5 und schafft es, die beiden abzuhängen. Sperling will auf sein Mansardenzimmer gehen, das er an der Mattengasse 52 bewohnt. Vor der Türe wartet bereits ein Schweizer Genosse: Susanne Schüle sei verhaftet worden, warnt er. Sperling weiss jetzt, dass er und Elvira Nieper untertauchen müssen.

Der Polizei gelingt es noch am selben Tag, Sperling anhand von Fotoaufnahmen zu identifizieren. Sperling und Nieper werden zur Fahndung ausgeschrieben. Schüle bleibt in Haft. Am 15. Januar 1941 beschliesst der Bundesrat die Ausweisung von Schüle und Sperling. «Die Anwesenheit und Tätigkeit kommunistischer Agenten» sei geeignet, «die innere und äussere Sicherheit des Landes zu gefährden». Die Ausgewiesenen seien zu internieren, bis sie «aus unserem Lande ausgeschafft werden können». Da inzwischen die Schweiz von grossdeutschem Gebiet beziehungsweise deutschfreundlichen Regimes umgeben ist, wird von einer Abschiebung der bereits inhaftierten Susanne Schüle vorerst abgesehen. Maria Hasslauer von der Roten Hilfe wird sich in den nächsten Monaten jedoch darum bemühen, dass Schüle zusammen mit 34 weiteren in der Schweiz internierten GenossInnen in die Sowjetunion ausreisen kann. Allerdings vergeblich. Auch eine von der KPD-Zentrale in Moskau vorgeschlagene Ausreise über die USA scheitert daran, dass das US-Generalkonsulat nicht bereit ist, Transitvisa für die deutschen KommunistInnen auszustellen. Sperling andererseits wird der Status eines politischen Flüchtlings nun definitiv nicht zuerkannt, obwohl die Bundesanwaltschaft inzwischen weiss, dass «1938 gegen Sperling deutscherseits eine steckbriefliche Ausschreibung wegen Vorbereitung zum Hochverrat erschienen ist», wie einer Aktennotiz zu entnehmen ist.

Für Sperling ist ein Leben in der Illegalität nichts Neues. Allerdings hat sich die Situation für seine Schweizer UnterstützerInnen nochmals dramatisch verschlechtert: Schon am 6. August 1940 hatte der Bundesrat Massnahmen gegen kommunistische und anarchistische Tätigkeit beschlossen. Jede kommunistische Propaganda ist nun verboten, wer kommunistische Schriften weitergibt, wird bestraft. Gross angelegte Hausdurchsuchungen bei allen bekannten KommunistInnen sind die Folge. Am 17. Dezember 1940 löst dann der Bundesrat die KPS offiziell auf, und gut einen Monat später präzisiert Bundesrat Eduard von Steiger in einer Verfügung, dass unter dieses Verbot auch alle Organisationen «mit kommunistischem Charakter» fallen - so etwa zwei Buchhandlungen, die Feriengemeinschaft Basler Arbeiterkinder, zwei Arbeiterchöre und die Rote Hilfe.

Die Repressionen gegen die Schweizer KommunistInnen führen letztlich auch zum Auffliegen von Sperling. Im März 1941 verhaftet die Polizei den Kommunisten Jakob Hug sowie dessen Sohn Fritz Hug. In der Polsterei von Jakob Hug findet sie ein Lager der KPS mit Schriftmaterialien und bei der Hausdurchsuchung stossen die Polizeibeamten auf einen Brief von Fritz Sperling an Hugs Tochter Lydia. Die Bundesanwaltschaft weiss jetzt, dass Fritz Sperling eine Liebesbeziehung mit Lydia Hug unterhält. Von Elvira Nieper hat er sich getrennt. Sperling hatte Lydia Hug bereits 1938 in ihrer elterlichen Wohnung kennengelernt. Er fand hier als illegaler Emigrant Unterstützung. Aufgrund des vorgefundenen Liebesbriefes lässt die Bundesanwaltschaft die Post von Lydia Hug überwachen, die in dieser Zeit in Davos wohnt und arbeitet. Sie fangen zwei Briefe von Sperling an Hug ab und kopieren diese. Sperling beteuert darin seine Liebe und versucht seine Freundin wegen der Verhaftung ihres Vaters und ihres Bruders zu trösten: «Schön das Köpfchen hochhalten, auch dieses Leiden wird vorübergehen, und glücklich ist der Mensch, der für seine Ideale leiden kann.» Die Beamten finden heraus, dass Lydia Hug am 10. April zu einem Besuch nach Zürich reist. Am Hauptbahnhof warten Zivilbeamte auf sie und heften sich an ihre Fersen.

Lydia Hug trifft sich bereits an diesem Tag mit Fritz Sperling. Sie wartet auf ihn im Café Uetli am Goldbrunnenplatz. Sperling ahnt, dass etwas nicht stimmt, als er ins Café tritt und fordert seine Freundin auf, schnell mit ihm wegzugehen. Doch es ist bereits zu spät. Sie werden von zwei Beamten der Kantonspolizei angehalten. Sperling gibt sich zuerst als Eduard Merle aus, da er einen gefälschten Pass mit diesem Namen auf sich trägt. Doch ihm ist klar, dass seine wahre Identität auffliegen wird. Nach Ankunft auf dem Polizeiposten sagt er zum Beamten: «Ich heisse nicht Merle, mein Name ist Sperling.»

Die Polizei geht rigoros gegen Sperlings HelferInnen vor: Eduard Merle, dessen Reisepass Sperling auf sich trägt, wird verhaftet und bleibt fast zwei Monate in Untersuchungshaft. Aufgrund der Hausdurchsuchung bei Lydia Hug gelingt es der Polizei zudem, ein Schweizer Ehepaar zu überführen, bei denen Sperling während seiner Illegalität Unterkunft bekam. Sperling kann aufgrund deren Einvernahmen nachgewiesen werden, dass er in der Wohnung des Ehepaars Susanne Schüle Artikel für illegale Zeitungen und Broschüren diktierte. Am 15. Juli verurteilt das Zürcher Bezirksgericht Sperling zu drei Monaten Gefängnis. Eduard Merle wird freigesprochen. Nach Anrechnung seiner Untersuchungshaft hat Sperling seine Strafe bei der Urteilsverkündung bereits abgesessen. Dennoch bleibt er noch zwei Monate in Polizeihaft, bevor man ihn in die Strafanstalt Regensdorf überführt. Dort wird er eineinhalb Jahre lang interniert und muss um sein Leben zittern.



Lesen Sie nächste Woche: Weshalb der Bundesrat beschliesst, Fritz Sperling den Nazis zu übergeben.

Fritz Sperlings 50. Todestag

Fritz Sperling starb am 21. April 1958 in Ostberlin. Zuvor musste er mehrere Jahre in DDR-Gefängnissen als angeblicher US-Spion verbringen. Die DDR hat ihn bis zu seinem Tod nicht rehabilitiert, obwohl seine Unschuld einwandfrei bewiesen war. Sperling blieb bis zu seinem Lebensende ein überzeugter Kommunist. Er wurde sowohl von den Nazis, der Schweizer Justiz wie auch der US-Besatzungsbehörde im befreiten Westdeutschland wegen seiner politischen Tätigkeit verfolgt und inhaftiert. Die WOZ schildert in drei Teilen Schlüsselereignisse aus dem Leben von Fritz Sperling.

Die Quellen

Der Text dieses ersten Teils stützt sich auf Akten der Bundesanwaltschaft, die heute im Bundesarchiv Bern zugänglich sind. Eine weitere Quelle bilden die Prozessakten gegen Sperling vor dem Bezirksgericht Zürich, die sich im Staatsarchiv Zürich befinden. Über die KPD im Schweizer Exil existiert Material im Bundesarchiv in Berlin. Im Archiv der Parteien finden sich dort Aufzeichnungen der KPD zur Schweizer Emigration, Untersuchungsakten der Parteikontrollkommission und Kaderakten. Für die Recherche wurden zudem verschiedene Nachlässe und Dokumentationen im Archiv für Zeitgeschichte und im Sozialarchiv (beide in Zürich) gesichtet. Weitere Quellen sind folgende Bücher: Karl Heinz Jahnke: «Ich bin nie ein Parteifeind gewesen», Pahl-Rugenstein Verlag, Bonn 1993. Mathias Knauer und Jürg Frischknecht: «Die unterbrochene Spur». Limmat Verlag, Zürich 1983. Hans Teubner: «Exilland Schweiz», Dietz Verlag, Berlin 1975. Hermann Wichers: «Im Kampf gegen Hitler», Chronos Verlag, Zürich 1994. Eine weiter Quelle bildet zudem die Lizentiatsarbeit von Alexandra Bröhm: «Zwischen politischem Kampf und Exilalltag», Uni Zürich, 1995.

Recherchierfonds

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